Archiv der verpassten Chancen
Wie Raum www Enttäuschung ummünzt

12. August 2020 • Text von

Die Abwesenheit von etwas, lässt sich nur schwer abbilden. Daniel Hahn und Johannes Mundinger ist es in einem speziellen Fall geglückt. Als Corona-bedingt alle Ausstellungen schließen und etliche anstehende Projekte abgesagt werden, sorgen sie mit Raum www dafür, dass die Kunst trotzdem sichtbar bleibt.

Screenshot der Website von Raum www. Zu sehen sind verschiedene Kunstwerke auf weißem Grund. Jedes einzelne ist mit einem schwarzen Punkt versehen. Klickt man den an, erhält man Informationen.
Screenshot der Website www.raumwww.de.

Raum www stellt eine Art visuelle Map von Ausstellungen zur Verfügung, die Corona-bedingt nicht wie geplant stattfinden konnten. Jedes Bild steht für eine Show. Über die schwarzen Punkte erhalten Besucher*innen der Website weitere Informationen. Die W-Fragen werden geklärt – wer, was, wann und wo? Manchmal gibt es ein paar lose Infos, meist Links zu den Websites der Künstler*innen und Institutionen. Das Ganze ist sachlich, dabei optisch höchst ansprechend gestaltet.

gallerytalk.net: Als Anfang März aufgrund von Corona alles abgesagt wurde, wurde wild mit glossy Begriffen um sich geworfen. Es gab Viewing Rooms, Lives oder Talks. Ihr habt stattdessen ein Archiv aufgesetzt. Klingt erstmal unsexy – oder nicht?
Daniel Hahn: Sexy sein war nicht das Kriterium.
Johannes Mundinger: Wir fanden das Konzept Archiv spannend und wollten spielerisch damit umgehen. Am Anfang war auch noch nicht abzusehen, dass wirklich alle Ausstellungen geschlossen oder gar nicht erst öffnen würden.
DH: Wir haben mit Raum www ein freies Zeitdokument angelegt, um diesen sehr ungewohnten Zustand einfach erst einmal nur zu dokumentieren.

Ging es dabei auch um Fairness?
DH: Ja, das war die Grundidee des Layouts der Seite: Keine Hierarchien, Museum neben Projektraum – alle sind betroffen.
JM: In meinen Augen stand Fairness als Begriff nicht im Raum. Ich denke, unserer Grundhaltung entsprach es, solidarisch zu handeln. Wobei es mich nicht wundert, dass Daniel als Sportler von Fairness spricht.
DH: Schön, dass wir uns hier uneinig sind.

Die Künstler Johannes Mundinger und Daniel Hahn tragen ein Bild.
Johannes Mundinger und Daniel Hahn. Foto: raum www.

Wie wählt ihr die Künstler*innen aus, die ihr featured?
JM: Am Anfang haben wir Personen angeschrieben, wenn wir ihre Arbeit gut fanden und teilen wollten – sowohl aus dem Bekanntenkreis als auch Leute, die wir nicht kannten, aber spannend fanden.
DH: Wir sind dann immer mehr gewachsen und es kamen auch ungefragt Zuschriften. Das hat uns gefreut. Bis auf ein oder zwei Einsendungen, die im E-Mail-Postfach untergegangen sein könnten, haben wir wirklich alles auf die Website gepackt, was reinkam. Wir wollten diesem „alle miteinander“ gerecht werden. Nur auf Instagram haben wir aus Zeitgründen nicht alle Updates gezeigt.

Also gab es keinen Selektionsprozess?
JM: Nun ja … Bei einer Einsendung habe ich mir gedacht: „Boah nee, das möchte ich nicht zeigen müssen.“ Und es gibt natürlich Arbeiten, die uns persönlich nicht unbedingt gefallen.
DH: Aber circa 92 Prozent sind super!

Raum www scheint in der Kunstwelt richtig gut anzukommen. Woran liegt das?
DH: Wir haben unsere Künstler-Egos hintangestellt. Vielleicht war es für viele überraschend, dass jemand Zeit nicht für sich selbst nutzt, sondern sie in Andere investiert? Vielleicht liegt es auch daran, dass wir Verbundenheit unter Künstler*innen geschaffen und visualisiert haben? Das Thema Sichtbarkeit ist in den vergangenen Monaten dominierend gewesen. Weil wir Sichtbarkeit angeboten haben, sind wir in den Augen mancher womöglich „wichtig“ geworden. Allerdings wurden wir auch schon missverstanden: Leute haben gedacht, wir seien eine Verkaufsplattform.

Screenshot der Instagram-Seite von Raum www. Zu sehen sind verschiedene Kacheln, jede zeigt ein Kunstwerk sowie den Namen der Künstler:in.
Screenshot Instagram/raumwww.

Und was hat euch das Projekt gegeben?
JM: Wir haben sehr viel positive Rückmeldung bekommen. Aber es haben auch Leute geschrieben: „Es ist gerade alles so traurig. Ich brauche Zeit für mich.“ Uns war dann klar: Da hat es jemand gerade wirklich schwer. Für uns war es spannend, mit so vielen Kolleg*innen in Kontakt zu sein und mitzubekommen, wie es ihnen geht. Auch wenn jeder einzelne Beitrag natürlich auch aus einer Enttäuschung heraus geschickt wurde, wurde die Enttäuschung doch nochmal umgemünzt.
DH: Unsere Arbeit hatte keinen schönen Anlass. Wir haben Werke und Informationen sachlich und schön aufbereitet und so im besten Falle dafür gesorgt, das Geplantes nicht vergessen wird. Es war schön, vielen Künstler*innen eine Plattform zu bieten. Die Zeit, die wir investiert haben, hat sich gelohnt!

Wie viel Zeit habt ihr denn in das Projekt gesteckt?
JM: Puh. Über drei Monate mehrere Tage die Woche, würde ich sagen.
DH: Ich hatte zeitweise vergessen, dass ich ja auch noch einen eigenen Instagram-Account habe.
JM: Was man von außen nicht sieht: Es ist ein Riesenaufwand, jeden einzelnen Beitrag online zu stellen und die Instagram-Fotos und -Infos vorzubereiten.

Ausstellungsansicht "Ok Park" im Berliner Auerpark. Ein Bild wird von drei schwarzen Luftballons in der Luft gehalten. Eine Arbeit von Anne Duk Hee Jordan: „Lord of the wizard — Last judgement“.
Installationsansicht “Ok Park”, eine Ausstellung im Freien, 2020, Auerpark Berlin. Arbeit von Anne Duk Hee Jordan: “Lord of the wizard — Last judgement”, 2020. Foto: raum www.

Aktuell läuft der Ausstellungsbetrieb wieder. Auch ihr habt mit „Ok Park“ offline eine Ausstellung organisiert – Corona-konform, unter freiem Himmel. Wie passt das ins Konzept von Raum www?
DH: Wir haben lange hin und her überlegt, ob es das Richtige ist, eine Ausstellung zu organisieren, oder ob unsere Arbeit an dem Punkt hätte enden sollen. Aber im Austausch mit anderen Künstler*innen haben wir in den Wochen zuvor so oft gedacht: Lasst uns etwas machen, wenn das alles vorbei ist! Es wäre doof gewesen, das nicht zu probieren.

Hattet ihr zu Beginn einen Plan, ob und wie ihr euer Projekt einmal beenden würdet?
JM: Anfangs ging es uns nur ums Machen und Sammeln. Uns war aber klar: Raum www wächst, solange Ausstellungsprojekte abgesagt werden, und pausiert oder endet, sobald sie wieder stattfinden können. Und deswegen pausiert die Website www.raumwww.de gerade. Wir warten auf die zweite Welle …

Wie es mit Raum www weitergeht, ist noch nicht spruchreif. Bis es so weit ist, könnt ihr euch das Archiv unter www.raumwww.de anschauen oder euch auf Instagram durch die Features klicken.

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