Schraubt euch zusammen Rachel Fäth und Cinthia Marcelle bei Shahin Zarinbal
27. Oktober 2022 • Text von Lara Brörken
Stahlträger, die nichts tragen. Schrauben und Muttern, die zusammenhalten. Versteckte Münzen, scharfe Kanten und vulnerables Metallrohr. Rachel Fäths Kunst, die sie in der aktuellen Show “Haus” bei Shahin Zarinbal zeigt, betont den Zusammenhang von Trennung und Verbindung, geht sensibel mit dem Raum um, reflektiert und verschwindet bescheiden in ihm. Cinthia Marcelle ergänzt die Show mit einer bestechend klaren Videoarbeit.
Weiße glattgespachtelte Wände, grüner glatter Fußboden, eine Neonröhre zieht sich über die Decke und an der hinteren linken Wand eine aufgeklappte grüne Holz-Luke, die Zugang zu einer Treppe, einem Schacht gewährt. Es ist ein purer Raum, in dem Besucher*innen Ausschau nach Rachel Fäths Kunst halten. Sie ausfindig zu machen ist nicht die leichteste Aufgabe, denn ihr Ziel ist es, sich einzufügen, immer wieder auf dem Raum zu verweisen. Sie betont ihn, zieht unsichtbare Linien durch ihn hindurch, ist Raumtrenner und -verbinder gleichermaßen.
“Mount with Extender a-f” sind sich gegenüberstehend oder über Eck an den Wänden des Ausstellungsraumes angebracht. Die quadratischen Stahlrohre sind auf Stahlplatten geschweißt und ragen in 45-Gradwinkel zur Wand, beinahe phallisch in den Innenraum. Was in der Architektur für Stabilität sorgt, was innenliegt und Statik bringt scheint nach außengekehrt. Von a nach b, von c über d zu e lassen sich Linien imaginieren, die den Raum einteilen oder ihm einen weiteren 90-Gradwinkel hinzufügen. Was sonst innen und unsichtbar in der Wand verschwindet ist sichtbar geworden und schafft heimlich still und unsichtbar neue Wände innerhalb der sichtbaren vier Wände.
Zudem weist jeder “Mount with Extender” eine ganz eigene Persönlichkeit auf. Jeder hat andere Charakteristika, die erkannt werden, wenn nah an das Objekt herangetreten wird. “Mount with Extender a+b” sind vielschichtige Modelle, ihnen wurden verschieden große Platten mit kleinen Schrauben und Muttern angeschraubt. Um das so schon hohle Hauptrohr herum, zwischen den Schichten haben sich Hohlräume gebildet, wie Jahresringe eines Baumes die Lebensgeschichten erzählen, wie Schächte, in den Schätze zu finden sind. In diesem Fall sind die Schätze Papierschnipsel, Schlüssel zu unbekannten Schlössern oder auch Münzen, die teils angesägt wurden.
Die scharfen Kanten schneiden die kleine Stahl-Architektur radikal ab, sodass sie sich dem realen Raum rasant öffnet. Der Blick in den Extender wird zu einem fast voyeuristischen Einblick, ein Blick ins Innere eines Individuums. Etwas ungewohnt menschliches haftet den zusammengeschraubten und -geschweißten Teilen an. Sie sind Hohlraum, haben dadurch etwas empfangendes und gleichzeitig geben sie dem Raum neue Konturen, ragen heraus und verhalten sich dem Raum gegenüber sehr human. Diese Stahlobjekte verhalten sich beinahe urbiologisch, Bienchen und Blümchen-Prinzip, nur hier eben Stahl und Wand.
Den Schacht hinunter kraxelnd am Treppenabgang versteckt sich ein ganz schüchterner „Mount“. Ihm ist ein blauer Fleck Emaille auf das Haupt gekleckst. Ansonsten ist er nackt, keine angeschraubten Schichten, keine Geheimnisse. Am Fuße der Treppe hängt eine kleine Fotografie, die die der Galerie gegenüberliegenden Häuserfronten zeigt. “Keithstraße 15 & 16” ist eine weitere Klammer, wie hier alles Klammer, Schraube, Zwinge ist, jedes Werk verknüpft Raum, Wand, Schicht, innen und außen und oben und unten.
Eine weiße Zwinge hält die grüne Schachttür offen, sie hat sich in einen breiten Türrahmen, zwischen Raum eins und zwei geklemmt und zwingt sie zum Zusammenhalt und zur Offenheit. Ihr Weiß passt sich der Wandfarbe chamäleonartig an, könnte als Kunstwerk übersehen werden. Offene Türen, offene Räume, niedrigschwellige Strukturen – die integrative Aussage der Zwinge tarnt sich anrührend in den Raum hinein.
In Raum zwei bilden “Mount with Extender c-e” eine dreieckige Einheit. C und d haben einen pieksigen Charakter, sie stechen aufgrund ihrer angeschraubten, eingesteckten Metallstäbe buchstäblich heraus. Das Fenster steht offen und ein weiterer Extender guckt raus. Er ist “Passage 15 to 15”, zieht eine Linie zum Innenhof des Hauses, er ist ein Guckloch, ein Fenster nach draußen, das so weit oben liegt, dass nur 2,5m-Menschen wirklich hindurchgucken könnten. Vielleicht auch ein besonders schickes und stabiles Vogelhäuschen? Er sieht einladend aus und doch wie ein Beobachter, ein neugieriger Nachbar, der sein Umfeld stets im Auge behält.
Im Flur zu Raum drei taucht “Mount with Extender f” aus der Wand hervor. Er hat sich den Weg durch Mauerwerk und Raufasertapete gebahnt und streckt seine harten, raffiniert eleganten Körper, der teils aus Glas geschichtet wurde, heraus. Er wirkt mobiler als die anderen, als könnte er sich ein- und ausfahren, seine Schichten wie eine Markise, mechanisch klickend vor- und zurückklappen. Eine besondere kleine Schraube erinnert an einen geschrumpften Wasserhahn. Sie könnte eine Markisenfunktion sicher regeln. So gerne würde man hier und da mal drehen oder darüberstreichen.
Der hinterste dritte Raum der Galerie ist für Cinthia Marcelles Videoarbeit “Cruzada” ein kleines Kino geworden. Ihre Arbeit besticht durch Klarheit, das 8-minütige Video hat keinen doppelten Boden, steht für sich selbst und die durch die Stahlfreunde, die zu ihr geführt haben, bereits erzeugte Wichtigkeit des Zusammenhalts und der Integration. Vier Gruppen á vier Musiker*innen treffen auf einer Kreuzung aufeinander und posaunen und trommeln den Sound einer Marschkappelle. Zunächst jede Gruppe farblich voneinander getrennt in Rot, Gelb, Rot und Grün, verlassen sie die Kreuzung in farblich gemischten Konstellationen.
Dieses “Haus” kann beschwingt stapfend verlassen werden. Der Blick auf die Umgebung wird von Rachel Fäths Kunst geschärft, sie sensibilisiert für die Zusammenhänge von a und b, von Mensch und Lebensraum, von Wand, Boden, Decke und Fassade. In Gedanken bei der Zwinge, die stets auf Spannung ist, sich aber nicht anmerken lässt, wie viel Kraft es sie kostet die Türen offen zu halten und mit einer fröhlichen Posaune im Ohr treten Besucher*innen aus diesem Innenraum heraus auf die laubverwehte Keithstraße.
WANN: Die Ausstellung “Haus” läuft noch bis Samstag, den 12. November.
WO: Shahin Zarinbal, Keithstraße 15, 10787 Berlin.