Wer sieht hier was? Quivid: Kunst im öffentlichen Raum
24. Juni 2024 • Text von Quirin Brunnmeier
Kunst findet in München nicht nur in Museen oder Galerien statt, es gibt auch eine überraschend große Anzahl von Kunstprojekten im öffentlichen Raum. Quivid heißt das städtische Programm, das sich der Kunst am Bau widmet, Künstler*innen fördert und die städtische Baukultur bereichert. Wir zeigen eine Auswahl aktueller Projekte.
Vielleicht irritieren die künstlerischen Interventionen zunächst ein bisschen, doch schnell werden sie zu etwas, das Identität stiften kann und den Charakter des Ortes bereichert. Die Kunst wird Teil des Stadtraumes. Quivid steht für eine fast hundert Jahre alte kommunale Kunst-am-Bau-Tradition und realisiert im Rahmen kommunaler Bauvorhaben zeitgenössische Kunst. Im digitalen Archiv sind 288 Kunstwerke von 259 Künstler*inen im gesamten Stadtgebiet dokumentiert. Zudem gibt es jetzt eine gedruckte “Review” der Projekte aus dem Jahr 2023. Hier unsere Favoriten:
Albert Hien
Die Zeit fliegt, ist kostbar und das Leben ist vergänglich. Das wussten auch die antiken Römer und Griechen. “Carpe Diem” verkündet also die Lichtinstallation von Albert Hien im historischen Turm des Oskar-von-Miller-Gymnasiums in Schwabing. Neben dieser hedonistischen Mahnung, jeden Tag zu genießen, hat der Künstler sieben weitere philosophische Weisheiten über unseren Umgang mit Zeit in seine Arbeit integriert. Zwei leuchtenden Neonschriftbänder, die einander teilweise überlappen, begleiten die Rundungen einer mehr als 16 Meter hohen mehrgeschossigen Wendeltreppe. Durch eine programmierte Lichtsteuerung können wechselnde Lichtrhythmen und -stimmungen erzeugt werden. Die Arbeit ist eine strahlende Aufforderung, das Leben als Chance zu begreifen und das große Ganze nicht aus dem Blick zu verlieren. Denn: Tempus Vincit Omnia – Die Zeit besiegt alles.
WANN: Auf Anfrage zugänglich.
WO: Oskar-von-Miller-Gymnasium, Siegfriedstraße 22, 80803 München.
Nigin Beck
Manchmal müssen Kinder daran erinnert werden, ihr Obst und Gemüse zu essen. Positive Emotionen mit den oft verschmähten Lebensmitteln weckt Nigin Becks Arbeit “Obst & Gemüse” im Neubau des Hauses für Kinder an der Albert-Camus-Straße. Hier hüpfen fröhliche Erbsen umher und eine sauer dreinblickende Zitrone verschränkt die Arme vor der Brust. Ein dynamisches Radieschen folgt einer Himbeere, zwei schlafende Auberginen schmiegen sich aneinander und eine Schalotte kneift lachend die Augen zusammen. Die von der Künstlerin modellierten 44 Keramikobjekte zeigen anthropomorphe Lebensmittel mit lebendigen Gesichtsausdrücken. Die Arbeit bringt den Kindern auf unterhaltsame und subtile Weise nonverbale Interaktionen näher und schärft das Bewusstsein für eine ausgeglichene Ernährung.
WANN: Auf Anfrage zugänglich.
WO: Haus für Kinder in der Albert-Camus-Straße 24, 81248 München.
Olaf Nicolai
Nachts und in der Abenddämmerung scheint der Bildungscampus und Sportpark von Freiham förmlich zu leben. Die künstliche Beleuchtung ist nicht wie gewohnt statisch, sie verändert sich. Subtil schwanken Helligkeit und Temperatur des Lichts, der gesamte Park scheint ein- und auszuatmen. Ein Park als Organismus ist tatsächlich der Gedanke hinter dem Lichtkunstwerk “Freiham illuminata // Luce del respiro“ von Olaf Nicolai und den Lichtplanern Daniel Slota und Jan Dinnebier. Dabei ist die Installation unmittelbar mit den Bewohner*innen des Stadtteils verbunden. Die Beleuchtungskomposition wird durch Daten gespeist, die im Viertel erzeugt werden: Daten von lokalen Bewegungsmeldern, Temperaturverläufe, aber auch die Anzahl der Bewohner*innen oder neu zugelassener Autos in Freiham fließen in ein System das diese rohen Fakten ein poetisches, beseeltes Licht übersetzt.
WANN: Jederzeit öffentlich zugänglich.
WO: Bildungscampus & Sportpark in Freiham, Bodenseestraße 400, 81249 München.
Ilit Azoulay
Was wird erinnert und was wird vergessen? Welche Rollen spielen digitale Techniken in der Gedächtnispolitik und wie kann ein kritisches Bewusstsein für Geschichtsvermittlung geschaffen werden. In ihrer vielschichtigen Arbeit “Digital Amnesia and Constructed Memory” widmet sich Ilit Azoulay einer Vielzahl miteinander verwobener Ebenen. Im grundlegend sanierten Gebäude des Maximiliansgymnasium schuf die Künstlerin eine in einen Steinrahmen eingefasste großformatige Fotomontage. In diesem konstruierten Raumgefüge sind Architekturelemente, repräsentative Objekte oder Alltagsdinge wie ein Müllsack nebeneinander dargestellt. Den einzelnen Bildelementen sind Soundstücke zugeordnet, die über einen reliefartigen QR-Code an der linken Seite des Wandbildes mittels einer für das Kunstwerk entwickelten Projektwebseite erfahrbar sind. Das Nebeneinander der unterschiedlichen Bild- und Klang-Elemente des Panoramas im Steinrahmen zeigt, dass überlieferte Geschichte in andauernden Umbau und nicht für immer in Stein gemeißelt ist.
WANN: Auf Anfrage zugänglich.
WO: Maximiliansgymnasium, Karl-Theodor-Straße 9, 80803 München.
Es kreucht und fleucht und wuchert am Krautgarten in Pasing. Die in Deutschland lebende und arbeitende norwegische Objekt- und Installationskünstlerin Verena Issel hat für den Neubau des Kindergartens Am Krautgarten im 21. Stadtbezirk ein Objekt-Tableau entwickelt, das gleichzeitig einladend, verspielt und ein bisschen unheimlich wirkt. Lebhafte Formen in unterschiedlichen Materialien, abstrahierte Pflanzen, Augen und Münder dominieren die Intervention, die Bezug auf die Architektur des Ortes nimmt und die Zielgruppe des Kunst-am-Bau-Projektes, die Kinder, in den Fokus rückt. Auch die Themen Ökologie und Klima spielen eine wichtige Rolle, dabei nutzt die Künstlerin Zuschreibungen und Vermenschlichung, Bäume und Pflanzen werden zu Akteuren, haben ihren eigenen Charakter.
WANN: Jederzeit öffentlich zugänglich.
WO: Kindergarten Am Krautgarten 8, 81243 München.
In den jährlich erscheinenden QUIVID-Reviews werden alle Kunst-am-Bau-Projekte versammelt, die innerhalb eines Jahres in München im Rahmen von QUIVID entstanden sind. Die Review #1 wurde von der Agentur PARAT.cc gestaltet. Informationen zu den einzelnen Kunstwerken der ersten Ausgabe inklusive zweier Interviews mit Künstler*innen findet man hier.
In freundlicher Zusammenarbeit mit QUIVID.