Herzschlag einer Community
Queere ukrainische Kunst im Schwulen Museum

18. Juni 2025 • Text von

Mit “A Heart That Beats” rückt das Schwule Museum queere ukrainische Kunst ins Zentrum. Dabei werden Unterdrückung, Unsichtbarkeit und Widerstand aufgedeckt: von der Repression unter dem Sowjetregime über die ersten Jahre nach der Unabhängigkeit bis hin zu heutigen künstlerischen Praktiken. Die Ausstellung macht beispielhaft sichtbar, was lange im Verborgenen lag.

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Svitlana Shymko & Galka Yarmanova. The Wonderful Years, 2018 Video, 9” min © the artist.

Die Ukraine ist seit dem russischen Angriffskrieg regelmäßig Thema in Politik und Medien. Auch wenn andere globale Krisen die Aufmerksamkeit zunehmend verschieben, ist der Krieg ebenso wenig vorbei wie das kulturelle Leben im Land. Queere Perspektiven finden jedoch bislang kaum Beachtung. Wie in den meisten Teilen der Welt wurden queere Menschen in der Ukraine lange unterdrückt, unter Strafe gestellt und unsichtbar gemacht.

Die Ausstellung “A Heart That Beats” im Schwulen Museum wirft einen Blick auf das queere Leben in der Ukraine. Eine begleitende Zeitachse zeigt wichtige historische Stationen. Präsentiert werden Werke von 14 Künstler*innen, die sich mit queeren Körpern, Identitäten und Geschichten auseinandersetzen. Die Ausstellung folgt dabei einer Zeitreise von 1991 bis heute: von der Unsichtbarkeit nach dem Ende der Sowjetunion über erste Aktivismen bis hin zur vielfältigen queeren Kunstszene der Gegenwart. Schnell wird klar, dass die queere Szene in der Ukraine ist größer und lebendiger ist, als diese Ausstellung zeigen kann. Dennoch lohnt sich ein Besuch.

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Anatoly Belov, Screenshot aus “Sex, Medicated, Rock’n’Roll”, Video (2013), © the artist.

Der Kurzfilm “The Wonderful Years” von Svitlana Shymko und Galka Yarmanova widmet sich einem bislang kaum erforschten Thema: dem Leben queerer Frauen in der sowjetischen Ukraine. Er verwebt Interviews zum Thema Sexualität mit Archivaufnahmen und privaten Heimvideos aus der Sammlung des Lwiw Center for Urban History. Im Fokus steht der gesellschaftliche Druck, den die “sozialistische Familie” als Leitbild der Sowjetzeit auf lesbische Paare ausübte. Privilegien, wie Wohnraum und ein Arbeitsplatz waren verheirateten Heteropaaren vorbehalten. Der Film zeigt eine Generation von Müttern und wie sie sich ihre Freiräume abseits der propagierten Lebensentwürfe suchten.

In der ukrainischen Kultur ist Queerness selten offen sichtbar, in Literatur, Kunst und Korrespondenz jedoch oft in subtiler, codierter Form spürbar. Die Siebdruckserie “Dear Sons and Daughters of Ukraine” des Künstlers Anton Shebetko, bei der weiße Farbe auf weißes Papier gedruckt wurde, porträtiert hauchzart bekannte Persönlichkeiten, die fest im nationalen Narrativ verankert und doch für die Betrachter*innen im Vorbeigehen nur zu erahnen sind. Ihre queeren Biografien bleiben dabei meist unerwähnt oder werden bewusst ausgeblendet. Diese Spannung zwischen Sicht- und Unsichtbarkeit verweist auf ein größeres Muster: Auch die ukrainische Kultur selbst wurde lange marginalisiert und durch imperiale Deutungen verfälscht.

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Vic Bákin, Fotografien, aus der Serie “To Be Who We Want To Be” (2021- ), © the artist.

Anatoly Belov zählt zu den bedeutenden Stimmen der ukrainischen Queer-Community. Als einer der wenigen Künstler*innen bekannte er sich früh zu seiner Identität und machte sie zum zentralen Thema seiner multimedialen Arbeit, die von Malerei über Skulptur bis Video reicht. Außerdem ist er Sänger und Texter der Band Lyudska Podoba. Seine im Rahmen des PinchukArtCentre-Preises 2013 entstandene Videoarbeit “Sex, Medicated, Rock’n’Roll” thematisiert Homophobie in der Ukraine. In Form eines fiktiven, queeren Musicals erzählt das Werk von Einsamkeit, Begehren und Vorurteilen und zeigt, wie sich Spott in Empathie verwandeln kann.

Der ukrainische Fotograf Vic Bákin ist vor allem für seine Porträts junger Menschen sowie seine Modefotografien bekannt. In der Serie “To Be Who We Want to Be” porträtiert er Mitglieder der ukrainischen queeren Community, unabhängig vom Alter, in ihren eigenen Wohnräumen. Die Protagonist*innen richten ihren Blick direkt in die Kamera. Die Interieurs wirken oft schlicht und sind teilweise vom postsowjetischen Alltag gezeichnet. Gerade dieser Kontrast macht sichtbar, wie queere Identität im privaten Raum Ausdruck findet – jenseits öffentlicher Repräsentation. Bákins Fotografien geben dieser Realität eine klare, persönliche Form.

Alina Kleytman Serie Bioinstallation Prosthesis Kunststoff Metall 2023 Schwules Museum gallerytalk
Alina Kleytman, Serie Bioinstallation_Prosthesis, Kunststoff, Metall, 2023-23, Foto: Yasmin Künze (Ansicht 1).

Die Gruppenausstellung “A Heart That Beats – Queere ukrainische Kunst im Fokus” im Schwulen Museum gibt in drei Kapiteln einen vielschichtigen Einblick in queeres Leben und Schaffen in der Ukraine. Sie spannt dabei einen Bogen von den historischen Spuren queerer Beziehungen vor 1991, einer Zeit, in der queere Körper aus der Öffentlichkeit gedrängt und Stimmen systematisch zum Schweigen gebracht wurden. Nach der Unabhängigkeit folgte eine Phase des Aufbruchs, in der erste queere Netzwerke entstanden und Künstler*innen begannen, gegen konservative und repressive Strukturen anzukämpfen – bis hin zur Annexion der Krim und dem aktuellen Krieg.

Die Arbeiten zeigen, wie eine neue Generation queerer Künstler*innen inmitten von Gewalt, Verlust und Vertreibung künstlerische Formen findet, um queeres Leben sichtbar zu machen und kollektive Erinnerung zu bewahren. Gerade jetzt, da queere Menschen weltweit wieder verstärkt ins Visier von Hass und rechter Ideologie geraten, sollten wir hier auf jeden Fall ganz genau hinschauen.

WANN: Die Ausstellung “A Heart That Beats – Queere ukrainische Kunst im Fokus” läuft bis zum 26. Januar 2026.
WO:
Schwules Museum, Lützowstraße 73, 10785 Berlin.

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