Quantenphysik für Dummies Carsten Nicolai in der Berlinischen Galerie
24. August 2018 • Text von Eva Beck
Kunst und Wissenschaft sind längst keine Rivalen mehr. Wie fruchtbar und sinnesbereichernd eine Brücke zwischen den Disziplinen sein kann, führt Carsten Nicolai in der Berlinischen Galerie vor Augen. Das dort verhandelte Phänomen: Teilchenverschränkung.
Zwei parallel zueinander angeordnete, schlanke Laserstrahlen in warmem Gelb dominieren den Raum. Sie bringen die Staubpartikel der Luft, die in ihre Bahn schweben, zum glitzern. Kontinuierlich werden sie zwischen zwei identischen geometrischen Gerüsten hin- und hergeworfen, die an den jeweiligen Enden der länglichen Ausstellungshalle im Eingangsbereich der Berlinischen Galerie aufgestellt sind. Seit 2011 lässt Thomas Köhler – Direktor des Museums – diesen schwierigen Raum mit ortspezifischen Installationen von in Berlin arbeitenden Künstler bespielen. Eine äußerst clevere Initiative, denn die Architektur birgt in seiner seltsamen Länge, den unverhältnismäßig hohen Wänden und der ein wenig an Großraumbüro erinnernden Decke, selbst für den ambitioniertesten Kunstschaffenden eine enorme Herausforderung. Doch dem Wahlberliner Carsten Nicolai, der als Musiker mindestens so erfolgreich ist wie als Künstler, ist es gelungen: In seiner eleganten, in diesem Umfeld trotz ihrer Monumentalität fast bescheiden wirkenden Installation tut sich ein eigenes Universum auf.
Die zwei einander zugewandten, verspiegelten Hexagone, aus deren Zentrum die Laserstrahlen sowohl geschossen als auch reflektiert werden, erzeugen über eine hohe Distanz hinweg eine bemerkenswerte Endlosspiegelung. Damit befördern sie den Besucher, der sich zwischen den Körpern bewegt, in eine ins Unendliche ausgedehnte Sphäre. Die Dunkelheit im Raum, die durch die hellen Strahlen durchbrochen wird, begünstigt diese Atmosphäre. Dennoch ist dieser Kosmos klar von zwei abweisend-kühlen Körpern begrenzt, die durch technische Präzision und minimalistische, aber dennoch äußerst sinnliche, poetische Ästhetik bestechen. Die hexagonale Oberfläche, die von einem archimedischen Rückbau getragen wird, trägt symbolischen Gehalt und lässt an Strukturformeln chemischer Verbindungen denken lässt.
Dass hier naturwissenschaftliche Gesetze am Werk sind, kann auch der Laie erahnen. Doch worauf genau verwiesen wird, muss der Künstler selbst durch einen Wandtext erklären. Nicolai visualisiert die Besonderheit der Quantenverschränkung, die Albert Einstein seinerzeit als „spukhafte Fernwirkung“ bezeichnete. Zwei räumlich voneinander getrennte Quantensysteme sind derart miteinander verbunden, dass die Veränderung eines Teilchens eine unmittelbare Angleichung des Anderen bewirkt und sich die beiden somit konstant im gleichen Zustand befinden. Nicolai spricht hier von einer telepathischen Verbindung, daher auch der Titel der Installation: „tele“.
In der Tat, die Bande zwischen den Hexagonen, die durch zwei so fragil und zart anmutende Strahlen hergestellt wird, wirkt dermaßen stark, dass man sich als Besucher zwar innerhalb dieser frei bewegen, jedoch nicht teilhaben kann an dem Austausch – dieser Telepathie – die sich ja genau dadurch auszeichnet, das zwei und nicht mehr Pole daran beteiligt sind. Auch Einfluss nehmen kann der Besucher nicht, die Laserstrahlen befinden sich außer Reichweite und schweben in sicherer Distanz über dem Menschlichen. Dieser kann eigentlich nur staunend zusehen, hochschauen, hin- und herblicken, obwohl die Installation auf den ersten Blick so einladend erscheint. Das vom Künstler geschaffene System ist autonom, es besteht mit oder ohne Betrachter.
Das bedeutet jedoch nicht, dass das Werk entsprechend der von ihm behandelten Materie nicht zugänglich wäre. Doch liegt darin schlichtweg nicht der künstlerische Fokus von Nicolais Praxis. Seine multisensorischen Werke erforschen häufig ein spezifisches wissenschaftliches Phänomen auf künstlerischer Ebene und schlagen somit eine Brücke zwischen den Disziplinen, die einst als Rivalen galten. Obwohl sie sich komplexen Themen widmen, liefern sie dennoch weder eine Erklärung noch einen konkreten Kommentar dazu. Hier geht es nicht um eine narzisstische Form der Wissens- und Meinungsäußerung zu hochgestochenen Themen, die in der zeitgenössischen Kunst nur allzu beliebt ist. Denn wer ist schon in der Lage, sich eine fundierte Meinung über Quantenphysik zu bilden außer dem Quantenphysiker?
Nein, man muss nicht auf dem Gebiet der Quantenkorrelation bewandert sein, um sich von seinen Arbeiten ansprechen zu lassen. Die Elemente der Installation funktionieren auch autonom, sie können erlebt werden. Und dennoch liefern sie – ohne jeglichen repräsentativen Anspruch – gewissermaßen eine Visualisierung von Theorien und Phänomenen, die gerade aufgrund ihres Abstraktionsgrades und ihrer Gegenläufigkeit zur Sinnlichkeit so schwer vom Laien zu begreifen sind. Indem er jedoch kein Ergebnis präsentiert, sondern einen Prozess materialisiert, dessen Ursprung und Ende nicht erläutert wird, gewährt Nicolai dem Besucher Raum für Spekulation und eigene Gedanken und spricht ihm innerhalb eines so komplexen Fachgebiets die entscheidende Mündigkeit zu.
WANN: Bilder werden dem Werk nicht gerecht, es muss erlebt werden. Dies ist nur noch bis Montag, den 3. September, möglich, also nichts wie hin. Zudem sei erwähnt, dass die Berlinische Galerie an der Langen Nacht der Museen teilnimmt, was bedeutet, dass die Tore am Samstag, den 25. August bis 2 Uhr nachts für euch offenstehen. Hier geht es zum speziellen Programm an diesem Abend.
WO: Berlinische Galerie, Alte Jakobstraße 124-128, 10969 Berlin-Kreuzberg.
In freundlicher Zusammenarbeit mit der Berlinischen Galerie.