Production Chain Ecstasy
Jan Berger schickt Künstler*innen in den Survival Mode

27. Juni 2020 • Text von

Immer schon mal Lust drauf gehabt, mit einer kleinen Spitzhacke Bäume zu fällen und nebenbei Satan zu huldigen? Der Kurator Jan Berger machts möglich – er hat das Spiel “Minecraft” zum Ausstellungsraum der “Landesgartenschau 2020” gemacht.

Installation im Wasser in Mindcraft

‘Spira666 Jett999’, Johannes Büttner und Nicholas Warburg (c) Mythical Institution

gallerytalk.net: Wieso hast du das Spiel “Minecraft” als Grundlage für die Ausstellung “Landesgartenschau 2020” genommen?
Jan Berger: Mir ging es darum, dass Minecraft” eine eigene Psychologie und Ästhetik hat, die im Gegensatz zu dem stehen, was man sonst meist im Kunstbusiness vorfindet. Das ist nicht der klassische White Cube”, sondern eine verspielte Welt. Außerdem gibt es einen “Code of Conduct”, also gewisse Benimmregeln. Der Spielende verwandelt eine Landschaft in ein kapitalistisches System und muss sich währenddessen den Regeln der Macher*innen beugen.

Könntest du mir eine Einführung in “Minecraft” geben?
Die Welt wird “procedurally generated”. Das heißt, sie ist immer anders und fast endlos. Es werden
sogenannte “Biome” generiert, Areale die verschiedene Klimazonen darstellen. Es gibt tropische Strände sowie verschneite Berge und der Spielende wird in einer Welt abgeliefert, die er fast komplett leer vorfindet. Das Terrain wird vorgegeben und muss dann gestaltet werden. Die Basis vom Spiel ist, dass man alles “abmined” – dafür muss man am Anfang Werkzeug bauen und Bäume fällen. Das ist der absolute Optimierungswahnsinn. Am Ende hat man dann eine riesige Villa oder sogar eine eigene Stadt.

Turm auf Wiese in Mindcraft

‘Score for Promenade, Loop nr.1’, Nina Kettiger (c) Mythical Institution

Ich wurde am Anfang auch gefragt, ob ich im Survival Mode oder im Creative Mode spielen will. Ich habe natürlich Survival gewählt. Bedeutet das, dass ich ums Überleben kämpfe?
Genau, das ist der normale Spielermodus. Man muss essen und alles selber “minen”, baut Erze ab und fällt Bäume. Im “Creative Mode” bekommt man Zugang zum gesamten Material und kann das dann generieren. Die Künstler*innen haben auch alle im “Survival Mode” gearbeitet und ich als Kurator im “Creative Mode”. Es war mir wichtig, dass die Künstler*innen ums Überleben kämpfen und sich dem Willen des Kurators beugen.

Könntest du mir etwas zu der Ausstellung und dem Konzept erzählen?
Die erste Ausstellung der Mythical Institution war super institutionell und wurde in unserem alten Galeriegebäude abgehalten, das sehr prestigeträchtig ist (Anm. der Redaktion: Die Galerieräume sind nur online zugänglich). Ich habe die Künstler*innen auch darauf vorbereitet, dass die Ausstellung sehr renommiert ist und dann sind lustigerweise auch sehr institutionelle Arbeiten entstanden. Und jetzt in der zweiten Ausstellung der “Landesgartenschau 2020”, habe ich kuratorisch stärker gelenkt. Es ist ja so, dass Bienen in die alte Galerie eingezogen sind. Die überwachen den kompletten künstlerischen Prozess, der eine Art Opfergabe für sie ist. Eine Ausstellung für die Bienen. “Minecraft” hat die gerade erst eingeführt – die sind brandneu, passend zum politischen Klima. Natürlich findet die Landesgartenschau auch in einer legendären Venue statt, die wohl von den Babylonischen Gärten des antiken Griechenlands inspiriert ist.

Bienenstöcke in Garten bei Mindcraft

Jan Berger (c) Mythical Institution

Also wurden die Künstler*innen in die Welt geschickt und gebeten anhand dessen ihre Arbeiten zu entwerfen?
Genau, die Künstler*innen hatten ja einiges zu entdecken. Zum Beispiel das legendäre Bernsteinzimmer, eine Souterrain-Pilzfarm oder ein Unterwasser-Artist-Retreat. Das ist so eine Art Disneyland für Künstler*innen. Die mussten die Welt erkunden und dann schauen, was sie bauen.

Was ist die Mythical Institution?
Die Mythical Institution ist eine uralte, renommierte Institution mit einem Art Education Programm über das Residencies vergeben werden.

Wie kann man sich bewerben? Und wonach werden die Künstler*innen ausgesucht?
Für die erste Ausstellung konnte man sich mit Pseudonym bewerben und das hat dazu geführt, dass beispielsweise Mila Slominsky mitgemacht hat, die in ihrer Bewerbung geschrieben hat, dass sie 1899 geboren und beim Hindenburg Disaster gestorben sei, dann aber von zwei Kunststudenten beim sexuellen Akt aus Versehen wiederbelebt wurde (Anm. der Redaktion: Beim Hindenburg Disaster ist 1937 der luxuriöse Zeppelin LZ-129 “Hindenburg” verunglückt). Seitdem ist sie sehr berühmt und macht liturgische Performances und Holzschnitte. Also total wild. Es geht ja um die Phantasie. Daneben gab es noch die 12 jährige Lola Mae, bei der niemand bemerkt hat, dass sie so jung ist. Im Internet sind alle gleich, das ist prima! Bei der “Landesgartenschau 2020” war es dann “invitation only”.

Steingebäude als Installation bei Mindcraft

‘Chemex Coffeemaker’ , Nicola Arthen (c) Mythical Institution

Ist “Minecraft” so ein ewiges Spiel, an dem man endlos weiterarbeiten kann?
Ja, es ist “sandbox” und das bedeutet, dass man alles machen kann, was man will. Ganz nach der Logik
des Spiels. Die ganze Welt in “Minecraft” besteht aus Blöcken. Wenn man mit der Schaufel einen Block Erde abträgt, kann man diesen Block woanders wieder hinsetzen. Es ist wie Lego. Mich interessiert weniger der Look von “Minecraft” oder, dass es da eine Online-Komponente gibt, sondern mir geht es eigentlich um die “Behavioural Codes”, die dort existieren. Diese sind sehr stark.

Welche “Behavioural Codes” gibts es da?
Ähnliche wie im Kunstbetrieb − da geht es um Selbstoptimierung und “Raushauen”, was das Zeug hält. In “Minecraft” steht diese globalisierte “Production Chain Ecstasy” im Mittelpunkt. Man baut ja alles immer mit einer Spitzhacke und anderen Werkzeugen ab und verwandelt diese unberührte Welt quasi in eine Maschine, die dann produziert.

Feuerwerk bei Eröffnungszeremonie von Ausstellung

Opening ceremony (c) Mythical Institution

Wie ist die Ausstellung für Besuchende zugänglich? Müssen die sich “Minecraft” extra kaufen?
Ja, man muss “Minecraft” kaufen, aber die Leute bezahlen ja für die Tate Modern auch 25 Euro Eintritt. Wir haben aber extra eine Dokumentation gemacht, auf der alle Infos zu finden sind. Die Bienen, als Überwacher*innen der Ausstellung haben auch eigene Reviews geschrieben und bis zu fünf Honigtöpfe vergeben nach Kriterien wie Biodiversity, Bodenversieglung oder Wifi-Signalen. Und die Ausstellung soll natürlich auch ein bisschen exklusiv bleiben. Die Bienen wollen nicht, dass jeder in ihre Welt kommt.

WANN: Noch bis Freitag, den 17. Juli.
WO: In der Welt von “Minecraft”. Alle Infos zum Zugang gibt es hier. Und hier findet ihr einen Livestream zum legendären Opening.