Tausche Kunst gegen Geschichte
Private Collectors Room in Chemnitz

31. August 2020 • Text von

Der Private Collectors Room zeigt Arbeiten namhafter Künstler*innen wie Tobias Zielony und Ai Weiwei. Kaufen kann man sie nicht. Die Werke werden getauscht. Gegen eine Geschichte können Nachbar*innen sie mit nach Hause nehmen.

Archivraum des Private Collectors Rooms in Chemnitz.
Archivraum des Private Collectors Rooms. Foto: Mandy Knospe.

Es wirkt irgendwie befremdlich, dass Kunst, die am Markt stramme Preise erzielen könnte, in Chemnitz für umsonst zu haben ist. Dabei liegt da ja schon das Problem. Das Projekt Private Collectors Room besinnt sich auf Kunst als verbindendes Element. Die Macher*innen sind angetreten, mit den Bewohner*innen eines Stadtviertels ins Gespräch zu kommen. Sie stellen Kunst aus, laden Anwohner*innen ein – und manchmal wechselt ein Kunstwerk im Tausch gegen eine Geschichte die Besitzer*in. Wir haben mit Galeristin Marie Donike und Mandy Knospe vom organisierenden Verein Klub Solitär über das Projekt gesprochen.

gallerytalk.net: Private Collectors Room – das klingt erstmal elitär, dabei verbirgt sich dahinter ein Nachbarschaftsprojekt. Was verändert sich beim Ausstellen von Kunst, wenn man auf einmal nicht mehr das typische Szenepublikum imaginiert?
Marie Donike: Eigentlich verändert sich überhaupt nichts. Es hat eher etwas mit einer inneren Haltung der beteiligten Personen zu tun. Wir öffnen uns auch für ein Publikum, das nicht ständig aktiv mit Kunst zu tun hat und nicht zwingend gelernt hat, über Kunst zu sprechen. Wir bemühen uns, dass sich alle Menschen bei uns wohl fühlen und sich als willkommene Gäste der Galerie verstehen können. Der Zugang zur Kunst ist hier frei gestaltet, oft nähern wir uns assoziativ an das jeweilige Werk an, in dem wir erstmal nicht über Kunst sprechen. So merken die Besucher*innen meist schnell, dass wir von ihnen wirklich nichts verlangen.

Die Galerist*innen vom Private Collectors Room: Marie Donike (links) und Johannes Specks (rechts). Unterstützt werden sie von Praktikantin Emma Dietrich (Bild mitte).

Wieso wählt ihr diesen Ansatz?
Marie: Wir möchten vermitteln, dass niemand die Kunstwerke verstehen muss. Das ist ja oft eine Angst, die Menschen haben: Aktuelle Kunst verstehen zu müssen. Wenn jemand mit mir eine Druckgrafik analysieren will, geht das, aber ich spreche auch gern über Marmelade. Natürlich stellen wir uns sprachlich und inhaltlich auf unser Gegenüber ein, aber ohne Wertung. Wir versuchen, eine Basis zu finden, mit der sich alle Beteiligten gut fühlen. Nur so entwickelt sich ein interessantes Gespräch mit Mehrwert. Das ist ein Ansatz, der offenbar ungewöhnlich ist.

Warum eigentlich?
Marie: Das frage ich mich auch. Warum wirkt es auf ein breites Publikum ungewöhnlich, in einer Galerie für zeitgenössische Kunst herzlich empfangen zu werden? Wir trauen uns, einfach mal nett zu sein und unseren eigenen Kunsthabitus zu hinterfragen.

Ihr bietet Kunst zum Tausch gegen Geschichten an. Wie seid ihr auf die Idee gekommen?
Mandy Knospe: Robert (Verch; der andere Vorstand des Klub Solitär; Anm. d. Red.) und ich wurden im letzten Jahr von den Kurator*innen Florian Matzner und Sarah Sigmund angefragt, ob wir im Rahmen des internationalen Kunstprojektes „Gegenwarten | Presences“ eine der 21 künstlerischen Positionen umsetzen wollen. Anders als sonst waren wir also in der „Luxus-Situation“, dass die Finanzierung vorab stand. Wir haben uns mit der Frage nach der Wertbemessung von Kunst beschäftigt – und wer sich diese „leisten“ kann. Außerdem wollten wir die Künstler*innen in unseren Atelierhäusern, aber auch das Viertel, in dem unser Verein aktiv ist, partizipieren lassen. Aus diesen Gedanken heraus entstand die Idee, von dem zur Verfügung stehenden Budget künstlerische Arbeiten aus unserem Netzwerk anzukaufen und diese dann im Tausch gegen Geschichten und Begegnungen in unsere Nachbarschaft zu vermitteln.

Johannes Specks: Streichhölzer, 2015, Maße Variabel je 100 x 10 x 10 cm, Objekte (Kiefernholz, Steingut). Foto: Mandy Knospe. // Ausstellungsansicht Private Collectors Room mit Arbeiten von Bastian Hoffmann, Marie Donike und Mischa Kuball. Foto: Mandy Knospe.

Wie genau funktioniert das Tauschgeschäft?
Mandy: Dokumentiert wird der Tausch mit einer Fotografie der installierten Arbeit im neuen zu Hause, welche wiederum das Kunstwerk in der Galerie ersetzt. Somit wandelt sich der Ausstellungsraum nach den Vermittlungen zu einem dokumentarischen Abbild des Viertels und seiner Bewohner*innen. Wir sind hier inzwischen seit zehn Jahren aktiv. Dennoch gelingt es uns oft noch nicht, mit unseren künstlerischen Angeboten an die Bewohner*innen „heranzukommen“.

Was könnte das dieses Mal erleichtern?
Mandy: Marie und Johannes (Specks, das andere Galerist des Private Collectors Rooms; Anm. d. Red.) konnten schon 2018, im Rahmen ihrer Residenz bei den Dialogfeldern mit dem Projekt „SPÄTI“ eindrucksvoll zeigen, wie ein niedrigschwelliger Zugang und ein vertrauensvolles Verhältnis Barrieren abbauen können. Kunst gilt oft als etwas Elitäres, was man sich nicht leisten kann oder was man nicht versteht, und grenzt damit aus. Diese Barrieren abzubauen, ist eines der Ziele des Projektes. Ob die eingetauschte Geschichte „gut“ ist, spielt dabei keine Rolle. Das Wichtige ist die Begegnung, die dahintersteht und bei der Person vielleicht etwas im Umgang mit Kunst verändert.

Sind Geschichten vielleicht der einzige fair verteilte Besitz in unserer Gesellschaft, weil alle etwas zu erzählen haben?
Marie: Finde ich nicht. Das ist eine verklärte Sicht auf ein vorherrschendes Ungleichgewicht. Klar, alle Menschen haben Geschichten zu erzählen, aber die wenigsten trauen sich dazu. Wer die Erfahrung macht, kein Gehör zu finden, der schweigt. Das ist doch ein mitunter historisch gewachsenes Phänomen. Geschichten erzählen, das ist kein innerer Monolog, sondern etwas in die Welt hinaustragen, wenn auch nur vor die Tür, aber es muss dir jemand zuhören.

Drei pinkfarbene, rechteckige Arbeiten der Künstlerin Jenny Schäfer im Private Collectors Room.
Arbeiten der Künstlerin Jenny Schäfer im Private Collectors Room.

Wie wird entschieden, an welche Personen Kunstwerke vermittelt werden?
Marie: Wir haben knapp 50 Kunstwerke in unserer Sammlung, die wir an die erweiterte Nachbarschaft vermitteln. Der größte Schritt ist durch das Betreten der Galerie getan, alles Weitere kann sich dann schnell ergeben. Eigentlich überlegen wir, also Johannes und ich, wer welches Kunstwerk bekommen soll. Einige Besucher*innen wissen aber schon genau, was sie gern hätten. Die kämpfen dann einen kleinen Argumentationskampf, obwohl der nicht nötig wäre, sondern es passt dann einfach. Manchmal schwatzen wir Kunst aber auch regelrecht auf.

Ihr müsst Überzeugungsarbeit leisten?
Marie: Ja, es gibt Fälle, da möchten Klient*innen gar keine Kunst haben, sondern vielleicht nur einen Kaffee mit uns trinken. Toll ist, wenn sich das Gespräch so entwickelt, dass man durch das Betrachten anderer Kunstwerke gemeinsam herausfindet, welche Arbeit es letztendlich werden wird, da gibt es richtige Spannungsbögen und Wendungen.

Gleich in der ersten Woche nach der Eröffnung hat eine Arbeit ein neues Zuhause gefunden. Welche war es?
Marie: Es waren sogar mehrere. Eins davon war „Gravel Stone“ (2016) von Bastian Hoffmann. Eine Edition. Es ist ein Betonabguss eines Steins, bemalt, bepudert. Es sieht aus wie ein Stein eben aussieht. Dazu gehört ein gravierter, nummerierter, signierter passgenauer Kartonschuber. Mit 10x6x5cm eine kleine feine Sache.

Edition von Bastian Hoffmann: ein Stein sowie eine graue Box.
Bastian Hoffman: “Gravel Stone”, 2016.

Wie lief der „Umzug“ ab?
Marie: Der Klient kam in die Galerie, wir haben uns unterhalten. Es kam nicht dazu, dass er sich konkret ein Kunstwerk ausgesucht hätte, aber ich hatte eine genaue Idee. Er verließ die Galerie und wollte an einem anderen Tag nochmals kommen. Am nächsten Tag rief ich ihn an, dass wir ein Kunstwerk für ihn hätten und fragte, ob wir es am Tag darauf vorbeibringen könnten. Wir waren uns einig und lieferten. Das ging ziemlich flott.

Was war der Klient denn für ein Typ?
Marie: Ein offener. Er kam völlig unverfänglich in den Private Collectors Room, einfach weil er sich dafür interessierte, was da in seiner Nachbarschaft eröffnet hat. Er hat begeistert von seinen Interessen erzählt und so habe ich schnell gemerkt, dass ich da den idealen Menschen für die Stein-Arbeit vor mir habe.

Welche Geschichte gab es denn im Tausch gegen die Arbeit?
Marie: Ich hatte mir im Vorfeld überlegt, dass die Arbeit in einer Steinsammlung am besten aufgehoben wäre. Am Tag nach der Eröffnung erzählt mir der Klient, dass er viel reist. Und dass er neben einer Souvenir- und einer Sandsammlung auch noch eine Sammlung Steine aus aller Welt in seiner Vitrine hat, das war einfach fantastisch! Als wir ihm die Kunst nach Hause geliefert und sie gemeinsam zwischen den Steinen platziert haben, waren wir alle sehr glücklich.

Eine Frau und ein Mann tragen Kunst durch die Straßen von Chemnitz.
Die Galerist*innen Marie Donike und Johannes Specks bringen Kunst zu neuen Besitzer*innen aus der Nachbarschaft.

Mit dem Eröffnungsrummel, aber sicher auch ein paar ruhigeren Tagen im Rücken: Gab es schon Rückmeldungen zu eurem Projekt seitens der Anwohner*innen?
Mandy: Positive Rückmeldungen gab es bisher größtenteils von denjenigen, die uns bereits kennen. Nun gilt es Strategien zu finden, jene Menschen zu gewinnen, die noch keinen Zugang zu uns und zur Kunst haben. Es geht nicht darum, zu missionieren, sondern auf vielfältige Weise Berührungspunkte zu schaffen. Diese können in der direkten Ansprache von Passant*innen liegen, durch die Berichterstattung in der lokalen Presse, aber auch durch das Verteilen von Postwurfsendungen in der Nachbarschaft hergestellt werden. Wir sind gespannt, wie sich alles weiterentwickelt. Im besten Fall erzählen unsere Klient*innen von ihrer Vermittlung im Bekannten- und Freundeskreis und empfehlen uns weiter.

WANN: Donnerstags bis sonntags zwischen 15 und 19 Uhr können Interessierte im Private Collectors Room vorbeischauen und mit den Galerist*innen ins Gespräch kommen. Das Projekt läuft noch bis zum 25. Oktober.
WO: Private Collectors Room, Adelsbergstraße 4, 09126 Chemnitz.