Pornodarstellerin, blond, 536 Jahre alt
Pornhub provoziert Kunstinstitutionen

25. Juli 2021 • Text von

Pornhub verwandelt große Kunstfiguren in sexy Pornos, die etablierten Museen sind empört und ich bin verwundert. Ist es immer noch ein Tabu, dass Menschen Pornos schauen und bei Bildern von Nackten manchmal an Sex denken?

Die bekannten Malereien "Das Frühstück im Grünen", "Die Venus von Urbino" und "Die Geburt der Venus sind collagiert. Links oben ein Emoji mit spritzender Flüssigkeit, in der Mitte der Schriftzug "Show Me The Nudes".
Édouard Manet: “Das Frühstück im Grünen”, 1863, Öl auf Leinwand, 208 × 264,5 cm, Musée d’Orsay; Tizian: “Venus von Urbino”, Tizian, 1538, Öl auf Leinwand, 119 × 165 cm, Galleria degli Uffizi (Detail); Sandro Botticelli: “Die Geburt der Venus”, ca. 1485/86, Tempera auf Leinwand, 172,5 × 278,5 cm, Galleria degli Uffizi (Detail); Apple Emoji; Pornhub “Classic Nudes” (Detail). Collage: gallerytalk.net.

Eine kurze Weile nachdem ich meinen Freund kennenlernte, saßen wir abends zusammen, tranken Wein und spielten Wahrheit oder Pflicht. Er: Wahrheit, ich: Schaust du Pornos? Betroffenes Schweigen. Ich: Na, die Frage ist ja nun nicht so schwer. Vor allem nicht nach allem, was vorher schon ans Licht gekommen war. Blick auf den Boden. Ich war erstaunt. Warum so viel Scham? Wo doch offensichtlich ist, dass die meisten Leute Pornos schauen, es gerne würden oder mindestens damals in Zeiten von RTL 2, nachts um halb 1, kurz bei der lüsternen Sekretärin hängengeblieben sind, die nach allen Regeln der Kunst den strengen Chef zu einem folgsamen Hündchen werden ließ.

Ich erinnere mich selbst an meine frühere Tagesmutter, ich vielleicht acht und sie aus damaliger Sicht sehr alt. Sie las immer Bücher, auf deren Covern starke Prinzen und heißblütige Landmädchen, gut aussehende Ärzte und freizügige Krankenschwestern oder wilde Abenteurer und so weiter und so weiter abgebildet waren. Literatur allgemein bekannt als Groschenromane. Und wem das jetzt alles zu konservativ, sexistisch und frauenfeindlich ist – wirklich spätestens seit Erika Lust die Bühne der internationalen Freudenindustrie als Filmemacherin des feministischen Pornos betreten hat, ist es ja quasi schon en vogue geworden, ein Pornofilm-Abo zu haben. Dachte ich.

Nun hat Pornhub das Thema mit einer jedenfalls in meinen Augen brillanten Idee wieder in den öffentlichen Diskurs geworfen. Die Betreiber der kanadischen Pornowebsite haben kürzlich den interaktiven Guide „Classic Nudes“ veröffentlicht. Mit Website und App will Pornhub so durch die schärfsten Szenen der Kunstgeschichte in weltberühmten Museen führen. Versprochen wird eine Tour durch die prüde Kunst von Orten wie dem Louvre, den Uffizien und dem MET, mit dem Ziel, die wirklich guten Sachen zu entdecken – „representations of the naked body in all its artistic glory“. Im Promovideo dazu wandelt die Pornodarstellerin und ehemalige Freundin von Jeff Koons, Cicciolina, durch elegante Räume, um am Ende zur Venus von Botticelli zu werden. Dabei haucht sie: „Porn may not be considered art but some art may definitely considered porn“.

Die Museen sind empört. Und klagen auf Entfernung der Werke aus dem Guide aufgrund schwerer Urheberrechtsverletzung. Ich wundere mich, denn ich kenne viele Apps wie zum Beispiel „Daily Art“, die dafür gedacht sind, durch die Kunstgeschichte zu führen und dafür auch Werke aufzählen. Haben die das alle mit den Institutionen abgesprochen? Oder sitzt des Pudels Kern nicht eigentlich an anderer Stelle?

Die Prüderie der Institutionen steht, wahrhaftig aufgedeckt durch Pornhub, mitunter im Widerspruch zur ausgestellten Kunst. Ich möchte nicht jedem Akt erotische Gelüste der*s Künstler*in unterstellen, aber die Verbindung scheint mir doch an mancher Stelle recht offensichtlich. Warum wehren sich die großen Kunstinstitutionen also so steif gegen diese amüsante Bezugnahme? Zumal doch vielleicht eine neue Szene an Museumsbesuchenden angelockt werden könnte.

Etablierte Kulturinstitutionen umgibt nach wie vor der Charme des alten Konservatismus. Man nimmt sich sehr ernst, von Besuchenden wird erwartet, gedämpft zu sprechen, nicht laut zu lachen, keine jauchzenden Kinder mitzubringen, sich angemessen zu kleiden. Pornos sind all das, was dagegen spricht. Sie sind schmutzig, nach wie vor ein Tabuthema, etwas für Männer, was traditionell ja häufig mehr Spaß bedeutet, etwas, das von manchem bei Konsum des Partners oder Partnerin als Betrug gedeutet wird. Der Traum von Sex mit eine*r*m anderen. Ich verstehe ja: Zuzugeben, dass man Pornos schaut, ist schwierig, aber man gehört damit ja scheinbar eher zur Norm als zur Ausnahme. Sonst würde die Pornoindustrie ja nicht so gut laufen.

Pornhub hat mit „Classical Nudes“ die großen Kulturinstitutionen an einer empfindlichen Stelle erwischt und wurde dafür mit viel Öffentlichkeit belohnt. Die Prüderie der Museen hat das Thema erst so interessant werden lassen. Dabei würde es ihnen gar nicht schlecht stehen, schmunzelnd zuzugeben, dass Kunst auch verrucht sein kann. Und dass auch große Künstler*innen bei der Kreation wichtiger Werke gelegentlich an Sex gedacht haben.