Per E-Mail infiziert
Gerrit Frohne-Brinkmann in der Galerie Noah Klink

13. Juni 2021 • Text von

Vor über 21 Jahren jagte ein Virus durch die Welt und zerstörte schamlos elektronische Daten von über 50 Millionen Menschen – ein unersetzbarer wirtschaftlicher und emotionaler Schaden. Gerrit Frohne-Brinkmann gibt dem Virus einen Platz in den Ausstellungsräumlichkeiten der Galerie Noah Klink und zeigt damit eine historische Reliquie, die für die heutige Welt an Bedeutung verloren hat. (Text: Olga Potschernina)

Edition von Gerrit Frohne-Brinkmann zeigt ein altes Windows-Pop-up-Fenster. Der Text: "kindly check the attached LOVELETTER coming from me".
Gerrit Frohne-Brinkmann: ILOVEYOU, 2021. Inkjet print, framed. 45,7 x 61 cm. Unlimited edition.

Ein wenig nostalgisch wird man beim Besuch der Ausstellung „ILOVEYOU“. Im ersten Raum hängt eine Printarbeit und sofort ist klar: Das kann nur die Oberfläche von Windows 98 sein. Das Bild ruft Erinnerungen an stundenlanges Zocken von Solitär und Minesweeper hervor – und natürlich an die ersten Erfahrungen mit dem World Wide Web. Es zeigt ein Pop-up-Fenster mit Handlungsanweisung: „Kindly check the attached LOVELETTER coming from me“, eine E-Mail von einem anonymen Absender mit VBS-Datei im Anhang. Wir erinnern uns: Ein aufgepopptes Fenster und der iconlose, einfarbige Hintergrund hatten oft nichts Gutes zu verheißen und der Aufruf, einen angehängten Liebesbrief zu öffnen, würde heute wohl die meisten stutzig machen.

„ILOVEYOU“ ist die vierte Ausstellung von Gerrit Frohne-Brinkmann in der Galerie Noah Klink. Der Künstler arbeitet raumgreifend und bewegt sich in den Randbereichen der Kulturwissenschaften. Hier untersucht er Phänomene, die eine unerklärbare Anziehungskraft ausüben. In früheren Arbeiten etwa thematisiert er seine Verständnislosigkeit über die Touristenmengen bei Madame Tussauds. Oft geht es ihm um die Beziehung zwischen Mensch und Maschine. Letzteres bildet auch in dieser Ausstellung den Rahmen.

Fünf alte Computer-Tower auf pinkfarbenem Teppichboden.
Installation view, ILOVEYOU, Gerrit Frohne-Brinkmann, 2021.

Das Internet war eine Revolution und spätestens seitdem US-amerikanische Film „e-m@il für Dich“ bekam das globale Netzwerk eine romantische Note. So war es auch kein Wunder, dass der vermeintliche elektronische Liebesbrief so oft geöffnet wurde – er konnte ja vom potenziellen Traummann stammen. Tatsächlich aktivierten Nutzer*innen mit ihrem Klick einen Computerwurm. Der konnte durch eine Sicherheitslücke im Outlook-System das komplette Betriebssystem lahmlegen. Es brach eine gigantische Lawine aus und man wurde selber zum Träger. Erstmals berichteten Medien weltweit über den „Love Bug“.

„Wer ist verantwortlich für die Verbreitung eines Virus? Der Mensch, eine emotionale Manipulation von Sehnsüchten oder ist das Virus selber schuld?“, fragt Galerist Noah Klink. Hier war es Frohne-Brinkmann. Die raumgreifende Installation im nächsten Raum zeigt acht alte Computer-Tower auf grellpinken Teppich. Die Computer ächzen laut, ein Rauschen erfüllt den Raum. Frohne-Brinkmann hat sie mit dem ILOVEYOU-Virus infiziert. Es sind liebestolle Geräte, die sich in einer nutzlosen Parallelwelt befinden und hier um die Aufmerksamkeit in der Kunstwelt buhlen. Der Anblick wirkt beinahe tröstend. Die rasante Entwicklung von Technologien prägt unsere heutige Welt. Im Vergleich dazu hat so eine überschaubare Datenmenge etwas Beruhigendes.

WANN: Die Ausstellung “ILOVEYOU” läuft bis Sonntag, den 27. Juni 2021.
WO: Galerie Noah Klink, Kulmer Straße 17, 10783 Berlin

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