Milch im Karton Patricia L. Boyd in der Heidi Galerie
31. März 2025 • Text von Lara Brörken
Eine Scheidung, ein Umzug von New York nach London und viele Kartons, die Symbole einschneidender Umbrüche wurden. Patricia L. Boyd würdigt ihre Boxen und all das, was sie für sie transportieren, emotional wie gegenständlich. Mit ihrer Soloausstellung “Contents in the Storage Problem” bei Heidi setzt sie Einschnitte und Abschnitte des Lebens ins Zentrum, feiert die Stärke der Frau und verabschiedet sich von ihrem Ehebett.

Ein grauer Donnerstagmittag, die halblegalen Geschäfte auf der Kurfürstenstraße laufen, jemand schreit Unverständliches und eine ältere Dame streichelt verzückt den winzigen Hund eines Mannes in glänzender Jogginghose. Beim aus der Zeit gefallenen Sexshop “LSD” abgebogen, erscheint die Fensterfront der Heidi Galerie. Eine Galerie wie ein Glaskasten, der mit absolutem Ein- und Ausblick die schwer durchschaubaren Machenschaften der Straße weder ein- noch auslädt. Schon von außen sind Umzugskartons und provisorische Sperrholzwände zu sehen, die eine kürzliche oder bevorstehende Bewegung andeuten. Die Galerieräume werden zu einer Box voller Boxen – rein da!

Drinnen ist es leise. Im glasummantelten Innenraum sind Besucher*innen ein bisschen isoliert von Berlin. Ein diffuses Licht, ein Halbdunkel umgibt die Umzugskartons im Raum, während ihr Inneres von nackten Glühbirnen, Schreibtischlampen oder indirekten Lichtquellen ausgeleuchtet wird. In ihnen ist es immer heller und wärmer als außen. Jeder der Kartons von Patricia L. Boyd wird von einer ihrer Geschichten bewohnt, angedeutet von Federn und Heu, Gläsern, Besteck, Milchpackungen, Fotografien anatomischer Studien, einem dekonstruierten Bett, Millais’ Ophelia und Gentileschis Lucretia. Jeder Karton hat schon einige Wege hinter sich und in sich aufgenommen, hier waren mal Bücher, Besteck und Gläser drinnen, jeder ist ein Micro-Schutzraum, Erinnerung an eine neu eingeschlagene Richtung – Moving Boxes sind Memory Boxes.

Den wohl größten, hier aufgearbeiteten Umbruch und Einschnitt bildet Boyds Scheidung, die sie veranlasste, von New York nach London zu ziehen. Sie trennte sich vom langjährigen Ehebett, ließ es zerschneiden und fotografierte den Prozess. Den in Kartons und an Sperrholzwänden klebenden Fotografien dieses zerstörerischen Prozesses haftet etwas sehr Körperliches an. Boyd beschreibt es gar als sexuell, wie dieser männliche Arm mit der Säge über das freigelegte Lattenrost fährt, erkennt in der aufgeschnittenen Matratze eine Vulva. Auch Gedanken an den Film “The Substance” werden wach. Eine zerschnittene Matratze nah am Body-Horror, Fleischeslust, ein Stück Erinnerung und ein dokumentierter Befreiungsakt? Ein neuer Abschnitt, soviel steht fest.
Zwei sporadisch zusammengeschraubte Wände bilden eine kleine Kabine, in der ein Karton steht, in dem ein neues Spülbecken glänzt, in ihm stehen zwei kleine H-Milchpackungen. Außerhalb, an der Holzwand steht eine große Glasflasche mit Vollmilch. Kurz scheint es, als würde die Vollmilch lässig an der Wand lehnen, während die zwei kleinen Haltbaren sich im isolierten Papp-Innenraum aneinander festhalten. So lebendig erscheint hier die Milch, die für Boyd ein Symbol der Fürsorge, des Lebens und der Mutter ist.

Fotografien von Fötus und Nabelschnur entstanden im Hunterian Museum in London, ausgestellt an den Pappwänden zweier Kartons. Die Stärke von Frauen, eine Stärke, die dem Leid trotzt, ist immer wieder Thema, nicht nur in der Milch symbolisiert, sondern auch in den starken Armen der Lucretia, die sich nach einer Vergewaltigung für den Suizid entscheidet und somit nicht in erster Linie sich, sondern auch ihren Peiniger richtet. Auch die im Wasser liegende Ophelia, die dem Fluch der Liebe erlag, im Wasser liegend entschlafen, wird zitiert.
Sich erlegen, abhängig fühlen, vor allem, wenn man liegen muss, ist ein Gefühl, dem sich Boyd ebenfalls widmet. Das Krankenbett ist ihr wohl bekannt und das Lange-liegen-müssen hat sie nachhaltig beschäftigt. Das Liegen bildet in ihrer Arbeit als Haltung des Träumens, der Erholung, aber auch der Ohnmacht und Abhängigkeit eine spannende Ambivalenz, die den bei Heidi kreierten psychologischen Raum durchzieht.

Ein Foto von Boyds Arm, noch liegend am Morgen zeigt einen roten Abdruck, vermutlich von einem Haargummi. Langhaarige kennen ihn nur zu gut, diesen kleinen Einschnitt, der immer wieder Symbol eines Drucks von außen ist, der auch im Schlaf keinen Halt vor dem eigenen Körper macht. Was der weibliche Körper alles aushalten kann, dass es ihm immer wieder gelingt, Einschnitte und Hürden zu überwinden, wird mir Boyds Arbeiten sehr eindrücklich. Sie isolieren und erhalten ihre eigene Bewegung durch das Leben, tragen Schmerz in sich, schaffen aber dennoch neue Räume, in denen Heilung möglich ist.
Wieder auf der lauten Straße bleiben die Blicke an jedem Stück Pappe hängen, das scheinbar lieblos am Straßenrand entsorgt wurde, doch auch ihm haftet eine Geschichte an, es hat vielleicht mal Einkäufe aus dem Rewe nach Hause getragen, vielleicht ist dieser Karton mal jemandes Matratze gewesen, hat einen Hauch Schutz vor kaltem Stein geboten. Eine tiefgehende Ausstellung, eine, die man eine Weile mit sich trägt, die in jeder Hinsicht bewegt.
WANN: Die Ausstellung “Contents in the Storage Problem” läuft noch bis Donnerstag, den 17. April.
WO: Heidi, Kurfürstenstraße 145, 10785 Berlin.