Einer unbestimmten Macht gegenüber Noémi Barbaglia im Kunstverein Harburger Bahnhof
29. Juli 2024 • Text von Katrin Krumm
Weiße Wände, die fast bis zur Decke reichen, rhythmisch durchzogen von lichtdurchfluteten Vertiefungen: Noémi Barbaglias Rauminstallation “The Hallway” nimmt den gesamten Innenraum des Kunstverein Harburger Bahnhof ein. Der strenge Flur verdeckt nicht nur die historische Architektur des ehemaligen Warteraums für Bahnreisende, sondern ersetzt auch den Ausstellungsraum selbst.
Als Aufenthaltsraum für wartende Passagiere war die große Halle, die heute den Kunstverein Harburger Bahnhof bildet, einst eine Transitzone für Reisende. Obwohl sich die Rauminstallation von Noémi Barbaglia auf die Geschichte des Ortes bezieht, verdeckt sie diese architektonischen Verweise fast vollständig. Durch ihre beinahe deckenhohen Wände verweigert die Installation die Sicht auf den Innenraum des Kunstvereins, dessen Fenster, seine Wände und den Boden.
Stattdessen bilden die schlichten Wände einen Korridor, der links und rechts durch gegenüberliegende, lichtdurchlässige Aussparungen gegliedert wird. Entgegen einer ersten Assoziation handelt es sich dabei nicht um Fenster, da die eigentlichen Fenster des Gebäudes hinter der Installation verborgen bleiben.
Die Lichtdurchlässigkeit der Aussparungen entsteht, indem Barbaglia die Glasfaserbahnen mit Epoxidharz bearbeitet, was den Werkstoff durchscheinend macht. Die textilen Bahnen legen sich wie ein Schleier auf die räumliche Wahrnehmung der Besuchenden: Sie suggerieren zwar den Blick nach außen, sind aber in ihrer Funktion Attrappen.
Indem sie fast den gesamten Blick einnimmt, verweigert sich die Installationsarchitektur auch der Sehgewohnheit innerhalb von Ausstellungsräumen. Während diese gewöhnlicherweise den Unterschied zwischen Präsentationsfläche und Werk leicht unterscheidbar machen, sprengt Barbalias Korridor die Dimensionen dieser Konditionierung. Zwar bildet die Installation durchaus neue potentielle Wandfläche, entzieht sich aber dieser Erwartung direkt, indem sie diese in ihrer Funktion als Flur unnutzbar macht.
Als architektonisches Element kann der Korridor als Transportraum betrachtet werden, in dem sich der Körper zwischen einem Ausgangspunkt und Ziel befindet. In Barbaglias Installation entsteht das Gefühl eines andauernden, unendlichen Gangs, das durch die sich rhythmisch wiederholenden, bodenlangen Aussparungen verstärkt wird. Insofern wirkt er abweisend gegenüber einem Innehalten und zwingt zur Bewegung – wenngleich es eine wartende ist.
Dies kann beispielsweise in der Bedeutung des Flurs als Ort der Bestrafung und des Ausschlusses sichtbar gemacht werden. Wird man sozusagen auf den Flur verbannt, stellt dieser Ort kein eigenständiges Ziel dar, sondern fungiert als untergeordnete Instanz. Diese steht stets in Verbindung zu dem Raum, aus dem man ausgeschlossen wurde. In dieser Betrachtungsweise ist der Flur – im Gegensatz zu einem Zimmer – jeglicher subjektiver Komponente beraubt, die eine Begegnung auf Augenhöhe möglich machen würde.
Im dialogischen Abgleich können Verständnis, Sicherheit und Beschwichtigung erlangt werden – eine Konfrontation wird in einem derart anonymen Raum verneint. Das Fehlen eines Gegenübers erschwert es, eine klare Position zu finden. Macht in institutionellen Apparaten entsteht genau in diesen Grauzonen der Verantwortlichkeit, die sich in den Zwischenräumen zu einem riesigen, intransparenten Gebilde aufbauen.
Ähnlich verhält es sich mit Barbaglias Rauminstallation im Kunstverein Harburger Bahnhof. Das Machtverhältnis zwischen Installationsarchitektur und Betrachtenden wird nicht nur mit der Bewegung durch den Flur verhandelt, sondern auch durch die schiere Größe der Installation. Dies wird vor allem in dem Moment sichtbar, indem Besuchenden der Ausstellung die Räumlichkeiten des Kunstvereins nicht vertraut sind: Nicht nur schafft die Installation es, die architektonischen Verweise des Kunstvereins zu verdecken. Sie ist so groß, dass sie sich von einem Werk zu einer Umgebung wandelt und dadurch ein Teil der Institution zu scheinen wird. Letztendlich schafft Barbaglia somit einen Raum im Raum, der seinen eigenen strukturellen Kontext verhandelt.
WANN: Die Ausstellung “The Hallway” läuft noch bis Sonntag, den 25. August.
WO: Kunstverein Harburger Bahnhof, Im Fernbahnhof über Gleis 3 / 4, Hannoversche Straße 85, 21079 Hamburg.