No more Jingle Bells Christian Boltanskis Freiluft-Installation Animitas
18. Dezember 2017 • Text von Ann-Kathrin Ntokalou
Betritt man den Verkaufsraum des Louis Vuitton-Shops ist wie überall in der Münchner Innenstadt der vorweihnachtliche Konsumterror spürbar. Wuselnde Kunden, Gold und Stoff. Nur wenige Meter vom Trubel entfernt jedoch, liegt ein fast meditativer Ausstellungsraum, der einen Glöckchen klingelnd zum Eintreten einlädt. Was dort ertönt sind jedoch keine Jingle Bells, sondern die Videoarbeiten des französischen Künstlers Christian Boltanski.
Eingebettet in ein rechteckiges Feld aus Erde, Geäst und Getrocknetem läuft Boltanskis Videoarbeit „Animitas“, die seine Freiluft-Installation in der chilenischen Atacamawüste zeigt. Hunderte filigraner Metallstäbe bewegen sich dort wie Seegras sachte im Wind. An den Spitzen der Stäbe hängen kleine japanische Windglöckchen, an deren Klöppel Zettel mit haikus befestigt sind. Es ist ein sanftes und dennoch raumfüllendes Geläut, das einen magisch anzieht. Unter freiem Himmel, im zunächst gleißenden Licht, wehen die rund 800 Glöckchen, bis der Tag zu Ende geht – die Videoarbeit dauert über 13 Stunden in einer einzigen Einstellung – und bis sie selbst irgendwann vom Wind davongetragen werden und die Installation sich in der natürlichen Umgebung auflöst.
Die Wüste, eine stille, menschenleere Weite wird für Boltanski zum Plateu, zur Projektionsfläche für eine kollektive und individuelle Erinnerung. Kollektiv, da hier seit Jahren der verschwundenen Opfer der Pinochet-Diktatur gedacht wird. Für die zudem, wenn auch nicht nur für sie, kleine Altäre am Straßenrand – die animitas – errichtet wurden. Und individuell, da der Künstler die Glocken in der Sternkonstellation angeordnet hat, wie sie in der Nacht seiner Geburt im September 1944 in der südlichen Hemisphäre zu sehen war. Boltanski verknüpft hier den ewigen Kreislauf von Geburt und Tod und schreibt der Arbeit zugleich die eigene Autorenschaft ein.
Die wesentlichen Antonyme der irdischen Existenz Tag und Nacht, Klang und Stille, Werden und Vergehen bilden den maßgeblichen Rahmen für die Ausstellung. Während die ursprüngliche Version der „Animitas“-Installation in der Wüste den Auftakt liefert, endet die Ausstellung mit einer weißen Interpretation auf der Île d’Orléans im Sankt-Lorenz-Strom bei Québec. Glockenkonstellation und Bildausschnitt bleiben gleich, während das Setting sich maßgeblich verändert. Im tiefen, reinen Schnee klimpern die Glöckchen sanft metallisch wie einst von Sand umgeben und finden auch hier eine fast unberührte natürliche Basis, der sie Bedeutung einschreiben können.
Verknüpft werden beide Videos durch zwei Lichtinstallationen, die die Worte „Arrivée“ und „Départ“ formieren. Lange, geschwungene Kabel verschnüren die einzelnen Buchstaben miteinander und unterstreichen über Ähnlichkeitsbeziehungen die semantische Verknüpfung der beiden Wörter wie der gesamten gezeigten Arbeiten. Christian Boltanskis Werke bestechen durch ihre sehr persönlich, sinnliche, fast spirituelle Natur, die sich dann nach näherer Betrachtung als emotionale Grundlage für die Auseinandersetzung mit universellen Zusammenhängen kultureller wie sozialer Art entpuppt.
WANN: Die Ausstellung ist noch bis 31. März 2018 zu sehen.
WO: Espace Louis Vuitton München, Maximilianstraße 2a, 80539 München.