No hard feelings, Simone Niquille
Technologie und Emotionen im HeK Basel #3

21. September 2020 • Text von

Die Gesichtszüge anderer Menschen sind manchmal schwer zu deuten. Wie soll das einer künstlichen Intelligenz gelingen? Mit gallerytalk.net spricht Künstlerin Simone Niquille über automatisierte Bewerbungsverfahren und die Bedeutung der Vergangenheit.

Menschliche Silhouette, Teile des Gesichts mit Farbflächen ausgefüllt.
Simone C. Niquille: “Elephant Juice”, 2020, animation still. Commissioned by HeK and MU for “Real Feelings”.

gallerytalk.net: Was sind ganz grundsätzlich deine Gefühle gegenüber Technologie?
Simone Niquille: Mich interessiert die Technologie des Sehens. Meine Faszination hat mit der mechanischen Fotografie begonnen. Heutzutage beschäftige ich mich mit CGI (Computer Generated Imagery) und Computer Vision. Dabei bin ich sowohl fasziniert als auch beunruhigt über die Fähigkeiten und Einsatzmöglichkeiten.

Wann hat Technologie deine Emotionen einmal direkt beeinflusst?
Vor zwei Jahren, bei der Einreise im Flughafen von Guangzhou in China musste ich durch einen automatischen Körpertemperatur-Messer gehen. Dabei sieht man sich auf einem kleinen Bildschirm selbst samt eigener Körpertemperatur eingeblendet. Falls die Temperatur unter 37,5 Grad Celsius liegt, erscheint sie in Grün, eine erhöhte Temperatur hingegen wird rot angezeigt. Solcher Technologie oder, noch wichtiger, einem solchen Einsatz von Technologie ist man total ausgeliefert. Der Körper wird als reines Datenmaterial gesehen – ohne Kontext. In dem Beispiel wird Technologie eingesetzt, um Entscheidungen zu treffen, ohne dass man sie beeinflussen kann. Ich empfinde das als beklemmend.

Animiertes Waschbecken mit Spiegel dahin. Auf dem ist "Elephant Juice" zu lesen.
Simone C. Niquille: “Elephant Juice”, 2020, animation still. Commissioned by HeK and MU for “Real Feelings”.

Wahr oder falsch, dass Technologie uns Menschen einander näherbringt?
Hierbei denke ich an die virtuellen Welten von Second Life, Animal Farm oder World of Warcraft, also MMO’s (Massive Multiplayer Online Games), die Menschen abgesehen von physischer Distanz, Zeitzone und körperlichen Fähigkeiten zusammenbringt. Vom Frühling 2020 wird mir unter anderem die Wiederbelebung dieser Welten in Erinnerung bleiben. Während des Lockdowns haben Menschen diese virtuellen Räume als Erweiterung der eigenen vier Wände wiederentdeckt.

Wahr oder falsch, dass sich Emotionen leichter via Bildschirm zeigen lassen?
Wenn der Bildschirm in einer Videokonferenz das Eigenbild widerspiegelt, dann nein.

Zur Ausstellung “Real Feelings” hat du den Kurzfilm „Elephant Juice“ beigesteuert. Eine Arbeit, die sich mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz in Einstellungsverfahren befasst. Wie bist du zu dem Thema gekommen?
Mich hat interessiert, mit welchen Daten einer KI Emotionen beigebracht werden. Ich als Mensch finde ich es schon schwierig genug, Gesichtszüge zu interpretieren. Wie kann dies ein automatisiertes System lernen? Ist ein Lächeln glücklich, unsicher oder gemein? Für „Elephant Juice“ habe ich Daten genutzt, die zum Trainieren von KI verwendet werden, 3D-Dateien wie zum Beispiel „der Avatar“ oder „das Badezimmer“. Diese Daten informieren das „Weltbild“ der KI. Sie sind während der Entwicklung derselben meist unsichtbar. Sie sichtbar zu machen, entmystifiziert KI zu einem gewissen Grad.

Computer-animiertes Gesicht, verzogene, unnatürlich wirkende Mimik.
Simone C. Niquille: “Elephant Juice”, 2020, animation still. Commissioned by HeK and MU for “Real Feelings”.

Und nachdem du dich mit dem Thema befasst hast: Wie stehst du zu automatisierten Verfahren dieser Art?
Schon seit ein paar Jahren werden automatisierte Systeme eingesetzt, die die Gesichtszüge von Bewerber*innen im Rekrutierungsprozess analysieren. Als ich Ende 2019 die Recherche für den Film begonnen habe, mutete der Einsatz dieser Technologie noch dystopisch an. Jetzt befinden wir uns plötzlich in einer Zoom-Gegenwart, in der das Leben zu einem großen Teil vor Webkameras abläuft. Die Kamera, der Bildschirm, die Informationsflut – das alles ist erschöpfend. Wird die Interpretation der Bilder aber automatisiert, geht das auf Kosten des Menschlichen. Das sollte nicht die Antwort sein.

Es besteht noch immer ein gewisses Misstrauen gegenüber dem Einsatz moderner Technologie in der Kunst. Manche sehen das als Spielerei. Wie stehst du zu dieser Art Kritik?
Das ist ein pauschales Urteil über ein breites Spektrum von Arbeiten. Das „Elektronische“ gehört zum Alltag unserer Gesellschaft und die Kunst ist eine Disziplin, die sich kritisch mit dem Hier und Jetzt auseinandersetzt. Dabei ist Technologie unumgänglich, als Werkzeug und auch als Inhalt.

Werden wir in der Zukunft andere Wesen sein? Und wenn ja: Welche Rolle wird Technologie darin gespielt haben?
Mir ist es wichtig, in die Vergangenheit zu blicken, weil es ohne sie keine Zukunft gibt. Wenn wir uns weiterentwickeln wollen, müssen wir die Vergangenheit kritisch analysieren und verarbeiten. Neue Technologie ist nicht selbstverständlich auch im Kern eine neue Idee. Viele technologische Fortschritte des jetzigen Jahrhunderts bauen auf Erkenntnissen aus dem späten Mittelalter und der Renaissance auf. Die Entdeckung der Perspektive in Europa im 16. Jahrhundert zum Beispiel hat den Grundstein für moderne 3D-Software gelegt. Heute ist es für uns selbstverständlich, dass die Welt perspektivisch gezeichnet dargestellt wird. Aber andere Kulturen haben die Welt ohne Perspektive repräsentiert und alternative Visualisierungen kreiert. Wie würde 3D-Software funktionieren, die auf einem anderen Prinzip der Weltdarstellung basiert?

Die Ausstellung “Real Feelings” im Haus der elektronischen Künste Basel zeigt künstlerische Positionen zu Technologie und Emotionen. In unserer Interview-Reihe “No hard feelings” sprechen wir mit Künstlerinnen, deren Arbeiten im Rahmen der Schau zu sehen sein werden. Wir wollen wissen, wie kritisch sie Technik gegenüberstehen und wieweit sie sich in ihrem künstlerischen Schaffen, aber auch privat von ihr abhängig machen.

No hard feelings, Stine Deja: Technologie und Emotionen im HeK Basel #1
No hard feelings, Lucy McRae: Technologie und Emotionen im HeK Basel #2

WANN: Die Ausstellung “Real Feelings” eröffnet am Donnerstag, den 27. August. Sie ist noch bis zum 15. November zu sehen.
WO: Haus der elektronischen Künste Basel, HeK, Freilager-Platz 9, 4142 Münchenstein / Basel.

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