7 Gedanken zu Nicolás Lamas
"fluid minds" bei Max Goelitz

21. Mai 2025 • Text von

In”fluid minds” bringt Nicolás Lamas das Konzept der Zeitlichkeit durcheinander: Die Vergangenheit trifft auf die Gegenwart – oder auf Zukunftsvisionen? Natürliche, teils menschliche und tierische Überreste treffen auf Technologie und Synthetik. Was genau ist hier eigentlich los? Sieben Gedanken zur aktuellen Ausstellung bei Max Goelitz.

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Installation view Nicolás Lamas “fluid minds”, 2025, Courtesy of max goelitz and Meessen, Copyright the artist, Photo: Marjorie Brunet Plaza.

1. Denken, Kategorisieren und Sortieren
Die labyrinthartige Ausstellungsarchitektur von Nicolás Lamas Ausstellung “fluid minds” erinnert an Depots, archäologische Sammlungen oder Labore: Orte des Ordnens, Archivierens und Vermessens. Menschliche Spuren sind sichtbar, aber nie ganz spürbar – wie Relikte aus einer anderen Zeit. Das menschliche Denken manifestiert sich im Akt des Zusammenstellens: Dinge werden gesammelt, sortiert, neu kombiniert, scheinbar systematisch und doch ohne erkennbare Logik. Was hier entsteht, ist kein abgeschlossenes Wissenssystem, sondern ein fragiles Gefüge aus Forschung, Fiktion und Fundstücken.

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Nicolás Lamas, Posthuman flows 2, 2021, Diverse materials, Courtesy of max goelitz and Meessen, Copyright the artist, Photo: Marjorie Brunet Plaza.

2. Mensch mit Maschinen
Knochen treffen auf Plastik, Aluminium auf Insektenkörper. In Lamas Assemblagen verschmelzen organische und technische Elemente. Der Mensch erscheint nicht als beherrschende Instanz, sondern als Teil eines vielschichtigen Gefüges aus Dingen, Materialien und Prozessen. Technologie wird dabei nicht als Gegensatz zur Natur verstanden, sondern als Teil von ihr – beide folgen ähnlichen Prinzipien von Wachstum, Reproduktion, Transformation. Ein bemerkenswerter und gleichzeitig herausfordernder Denkansatz.

3. Materialitäten
Der Materialmix irritiert: Leichtes wird mit Schwerem, Glattes mit Rauem sowie Künstliches mit Organischem konfrontiert. Lamas lädt ein, Material nicht nur als Träger von Funktion, sondern als Bedeutungsträger zu verstehen. Die Frage steht im Raum: Welche Informationen tragen diese Dinge in sich – und welche verschweigen sie? Auch wenn es nicht der Anspruch der Ausstellung ist, entsteht aus der Vielfalt der Objekte dennoch ein überraschendes ästhetisches Ganzes, das den Raum prägt und die Wahrnehmung herausfordert.

Nicolas Lamas The Agony of the Past 2023 NLa51 Marjorie.Brunet.Plaza  gallerytalk 3
Nicolás Lamas, The Agony of the Past, 2023, Portoro Leonardo marble and book, Courtesy of max goelitz and Meessen, Copyright the artist, Photo: Marjorie Brunet Plaza.

4. Zeit in Auflösung
Es gibt keine lineare Geschichte in “fluid minds”, Zeitlichkeit wird kombiniert und neu zusammengesetzt. Die Objekte wirken wie Überreste zukünftiger Archäologien, präsentiert in einem Zukunftslabor – als würde jemand in 1000 Jahren unsere Gegenwart rekonstruieren und dabei völlig neue Bedeutungen erfinden. Zeit wird relativ, räumlich, spekulativ. Nicolás Lamas interessiert sich nicht für ein eindeutiges Vorher und Nachher. Geschichte zeigt sich seiner Auffassung nach als komplexes Geflecht aus Wiederholungen, Rückkopplungen und Verschiebungen – als etwas, das nicht einfach vergeht, sondern sich in veränderter Form immer wieder einschreibt.

5. Sprache ohne Worte
Viele der Werke funktionieren wie Sätze, deren Grammatik wir nur erahnen können. Lamas konstruiert Bedeutungsfelder, ohne sprachlich genau festzulegen, was sie bedeuten. Was bleibt, ist ein semantisches Flirren – wie ein Denken ohne eindeutige Sprache. Ein merkwürdig beschwerlicher Zustand, der die Kunstbetrachtung begleitet.

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Installation view Nicolás Lamas “fluid minds”, 2025, Courtesy of max goelitz and Meessen, Copyright the artist, Photo: Marjorie Brunet Plaza.

6. Hoffnung statt Techno-Dystopie?
Trotz der technoiden Ästhetik ist “fluid minds” keine düstere Zukunftsvision, sondern öffnet Raum für eine andere Erzählung. In den hybriden Arrangements schwingt ein utopischer Moment mit: Die Ausstellung denkt Kollektivität neu – nicht als Dominanz des Einzelnen, sondern als Netzwerk aus Lebendigem, Technischem und Materiellem. Biologische Netzwerke und künstliche Systeme erscheinen hier als verwandte Phänomene, beide folgen ähnlichen Prinzipien von Vernetzung, Anpassung und Selbstorganisation.

Technologie wird nicht als Abweichung von der Natur verstanden, sondern als deren Teil und Fortsetzung. Intelligenz entfaltet sich nicht isoliert im menschlichen Gehirn, sondern entsteht in den Verbindungen zwischen Körpern, Werkzeugen, Infrastrukturen und Umwelten. Vielleicht bedeutet Zukunft deshalb nicht Herrschaft oder Kontrolle, sondern ein komplexes Miteinander – eine Koexistenz, in der Mensch, Maschine und Natur ineinanderwirken, ohne dass der Mensch alles bestimmt oder zerstört.

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Nicolás Lamas, Extended mind, 2025, Hockey, Hockey helmet and coral, Courtesy of max goelitz and Meessen, Copyright the artist, Photo: Marjorie Brunet Plaza.

7. Noch Fragen?
Ehrlich gesagt: ja. Die Ausstellung verweigert sich eindeutigen Lesarten. Sie lädt ein zum Fragen, Zweifeln, Weiterdenken. Vielleicht ist das die größte Qualität der Ausstellung: Sie entzieht sich einer bestimmten Ordnung – und bleibt dadurch lange im Kopf.

“fluid minds” ist vor allem ein komplexes Gedankenexperiment, auf das sich die Betrachtenden einlassen können – oder eben nicht. Vielleicht geht es weniger darum, die Sichtweise des Künstlers zu übernehmen, als vielmehr darum, die Betrachtenden herauszufordern: zum kritischen Denken, zum Hinterfragen und zum Neudenken von Verbindungen und Zusammenhängen. Genau darin liegt die Stärke der Ausstellung.

WANN: Die Ausstellung “fluid minds” läuft noch bis zum 5. Juli.
WO: Galerie max goelitz, Rudi-Dutschke-Straße 26, 10969 Berlin.

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