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„We=Link: Sideways“ verbindet Netzkunst aus drei Jahrzehnten

21. Januar 2021 • Text von

Die Gruppenausstellung „We=Link: Sideways“ umspannt drei Jahrzehnte digitaler Kunst und zeichnet den Weg der Netzkunst von den frühen 1990er-Jahren bis heute nach. Die Spuren bestimmter Haltungen und ästhetischer Formen kann man auch in den aktuellen Positionen der Post-Internet Künstler*innen wiederfinden.

Zu sehen ist ein Screenshot der Arbeit BREITBART RED von UBERMORGEN.
UBERMORGEN: BREITBART RED, webpage, 2020.

Öffnet man die Webseite der Ausstellung lädt erstmal Code im Hintergrund. Giftgrüne Textelemente schwirren vor schwarzem Grund und erinnern an die klischeehaften Darstellungen von Hackern in Filmen, von Matrix bis Tron. Der Rückgriff auf Retroelemente bleibt auch bei der geladenen Seite erhalten, im Stil von Windows 95 erscheinen Ordner, die man anklicken und von denen aus man die für die Ausstellung ausgewählten Arbeiten starten kann.

Das Chronus Art Center präsentiert in Zusammenarbeit mit anderen internationalen Institutionen die digitale Gruppenausstellung „We=Link: Sideways” mit 22 Werken von 28 Künstler*innen und Künstlerkollektiven, von den Pionieren der Netzkunst bis zu höchst aktuellen Positionen. Die von Zhang Ga kuratierte Ausstellung kombiniert dabei unterschiedliche Manifestationen netzbasierter Kunst, ohne zu enge Definitionen vorschreiben zu wollen. Die Präsentation will die vielfältigen Entwicklungen und die unterschiedlichen Herangehensweisen und Strategien von Künstler*innen aus verschiedenen Generationen an einem virtuellen Ort zusammenbringen.

Zu sehen ist die Arbeit Miasma of the Rocks von CHEN Pengpeng, LIU Xing, LIANG Yuhong, XU Haomin und ZHAO Hua.
CHEN Pengpeng, LIU Xing, LIANG Yuhong, XU Haomin, ZHAO Hua: Miasma of the Rocks, Webpage, 2020.

Den ersten großen Boom hatte netzbasierte Kunst zu einer Zeit, in der das Internet zum ersten Mal in der Gesellschaft und der Wirtschaft zu einem beträchtlichen Faktor wurde. Aber der Crash der Dot.com-Blase um die Jahrtausendwende entzog auch der Netzkunst zunächst die Aufmerksamkeit. Doch zeigen Arbeiten aus dieser frühen Phase oft eine feine Sensibilität für Themen, die heute nicht relevanter sein könnten: Das Projekt „TraceNoizer – Disinformation on Demand“ aus dem Jahr 2001 zum Beispiel ermöglichte es dem User, automatisiert Falschinformationen über die eigene Person in den digitalen Umlauf zu bringen, um sich so einer etwaigen Überwachung zu entziehen.

Zu sehen ist die digitale Arbeit Lacework von Everest Pipkin.
Everest Pipkin: Lacework, Webpage, 2020.

Subversion, ein experimenteller und gleichzeitig kritischer Umgang mit den Informationstechnologien ziehen sich als Motive durch viele der präsentierten Arbeiten. Als nach dem Ende der Dot.Com-Euphorie zunehmend größer werdende Konzerne den digitalen Raum zu dominieren begannen, reagierte die Netzkunst ebenfalls auf diese vom Neoliberalismus und dem Kapitalismus getriebenen Entwicklungen. Im browserbasierten Spiel „The Internet.click“ von Thomas Lund aus dem Jahr 2017 sind die Spieler*innen dazu angehalten, auf die fallenden Logos von Internetfirmen zu clicken, damit sie verschwinden. Kommt man nicht hinterher, wird der eigene Bildschirm recht schnell durch nervige, echte, Pop-Up-Werbung blockiert.

Zu sehen ist eine "Werbung" für die App pplkpr von Lauren Lee McCarthy und Kyle McDonald.
Lauren Lee McCarthy und Kyle McDonald: pplkpr, App, 2015.

Die in der Ausstellung kompilierten Arbeiten bilden einen beeindruckenden Einblick in ein Kunstgenre, das oft schon früh Entwicklungen und potenzielle Probleme voraussah, die später im digitalen „Mainstream“ ankamen. Gefahren durch die wissentliche Verbreitung falscher Informationen, die Dominanz der Mega-Konzerne, die Möglichkeiten flächendeckender Überwachung und die Privatisierung der Netzwerkinfrastruktur sind Themen, die schon früh in der Netzkunst aufgegriffen und darin spielerisch und provokant verhandelt wurde. Die Ausstellung wird von einem ausführlichen Essay begleitet, um die Werke und ihre individuellen Referenzrahmen mit der historischen Tradition der Netzkunst weiter zu kontextualisieren.

Zu sehen ist die Arbeit We Leak Too von Leon Eckert, Vytas Jankauskas.
Leon Eckert, Vytas Jankauskas: We Leak Too, Software und Webseite, 2020.

Die Ausstellung bildet eine ergiebige Ressource, um sich netzbasierter Kunst zu nähern und sie in einem größeren historischen Kontext zu verorten. „We=Link: Sideways“ ist die zweite Ausgabe des We=Link-Programms, einer Plattform zur Präsentation von Online-Kunst. Dieses Projekt wurde ursprünglich vom Chronus Art Center im Februar 2020 als Reaktion auf den Ausbruch der Covid-19-Pandemie konzipiert. Dass Kunst im, für und über das Internet auch schon vor dieser Pandemie existiert hat, beweist das Projekt auf eindrucksvolle Art. Einen ergänzenden und vielleicht noch tieferen Einblick in das Thema bietet auch die „Net Art Anthology“ von Rhizome, auf die wir schon im März hingewiesen haben.

WANN: Noch zu sehen bis zum 23. Mai.
WO: Webseite des Chronus Art Center.