Erinnerungen, weich gebettet
Neringa Vasiliauskaitė im Kunstraum München

19. Juli 2024 • Text von

Glitzernde Augen, hölzerne Knochen und platte Telefonschnüre bevölkern den Kunstraum München. Neringa Vasiliauskaitė präsentiert in ihrer Einzelausstellung “Repetitions & Rituals” einen neuen Zyklus verträumter, raumbezogener Arbeiten: Wiederkehrende alltägliche Rituale und Erinnerungen manifestieren sich in skulpturalen Wand- und Raumobjekten, gespickt mit Querverweisen und fantasievollen Details. 

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Neringa Vasiliauskaitė, Sterne in den Augen (1), Ausstellungsansicht Repetitions & Rituals, Kunstraum München 2024 Foto: Thomas Splett.

Verträumt blickt ein Auge den Besucher*innen von der Wand entgegen. Wie auf ein Kissen gebettet versinkt die Abbildung hinter Glas in einem gepolsterten, bedruckten Textil. Gerahmt wird die rechteckige, skulpturale Flachware von einem hellen, abgerundeten Holzrahmen, der mit dreieckigen Ausläufern versehen, die Form eines Sternes andeutet. Das Motiv des Sterns ist bei Neringa Vasiliauskaitė ein wiederkehrendes – viele kleine sternförmige Nieten verteilen sich hinter dem Glas und auf dem Textil. Erinnerungen an mit Stern-Nieten versehene Kleidung erscheinen nun vor dem inneren Auge. Mit ihrer Arbeit “Sterne in den Augen (1)” kreiert Vasiliauskaitė einen Sternenhimmel der 1990er Jahre.

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Neringa Vasiliauskaitė, Bring mir Glück, Ausstellungsansicht Repetitions & Rituals, Kunstraum München 2024 Foto: Thomas Splett.

Inhaltlich knüpft Vasiliauskaitė für ihre Ausstellung “Repetitions & Rituals” im Kunstraum München an Kindheitserinnerungen an. Die in Litauen geboren und aufgewachsene Künstlerin greift dafür auf die Praxis der “Sekretas” zurück, eine Freizeitbeschäftigung von Kindern und Jugendlichen in ihrer Heimat. Kleine, gefundene Gegenstände wie Blumen oder Flaschendeckel werden unter Glas oder Glasscherben gelegt und anschließend mit Erde und Staub bedeckt. Die sorgsam drapieren Fundstücke bleiben entweder für immer im Verborgenen, oder sie werden zufällig von Passant*innen entdeckt. 

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Neringa Vasiliauskaitė, unter die Haut, Ausstellungsansicht Repetitions & Rituals, Kunstraum München 2024 Foto: Thomas Splett. // Neringa Vasiliauskaitė, Ausstellungsansicht Repetitions & Rituals, Kunstraum München 2024 Foto: Thomas Splett.

Für ihre Einzelausstellung hat Vasiliauskaitė ihre eigenen Versionen der “Sekretas” kreiert, die von den Besucher*innen im Ausstellungsraum gefunden werden können. Ebenso wie die kindlichen Kompositionen aus Litauen, ist auch ihre Arbeit “unter die Haut” am Boden platziert. Das Werk besteht aus übereinander gestapelten Textil- und Holzelementen. Wie eine Pfütze zerfließen die Ränder der untersten Holzplatte am Boden. Schicht auf Schicht setzt sich ein kleiner Turm aus Knochen zusammen: Assoziationen von Hundekuchen und Tierspielzeug entstehen beim Betrachten.

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Neringa Vasiliauskaitė, Ausstellungsansicht Repetitions & Rituals, Kunstraum München 2024 Foto: Thomas Splett.

Auf den zwei Ebenen des Kunstraumes verteilt ist das wiederkehrende Motiv einer weiteren Erinnerung zu finden: Die Abbildung eines klassischen Spiralkabels, wie es bei schnurgebundenen Telefonen verwendet wird. Am Boden, um Ecken und an Wänden setzt Vasiliauskaitė zweidimensionale Akzente, die im Kontrast zu den skulpturalen Wand- und Raumobjekten stehen. Wie eine kontinuierliche Erinnerung, die immer wieder einen Weg zurück ins Gedächtnis findet, ziehen sich die Drucke durch die Ausstellung. Es entstehen nostalgische Gedanken an eine Zeit vor dem Smartphone – an eine Zeit der langen Telefonate, physisch gebunden ans Festznetztelefon.

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Neringa Vasiliauskaitė, Selbstporträt mit Erbsen, Erbsenblüte, Ausstellungsansicht Repetitions & Rituals, Kunstraum München 2024 Foto: Thomas Splett.

Vasiliauskaitės Arbeiten im Kunstraum München wirken dabei vertraut und anziehend. Die bedruckten Textilien, mit denen ihre groß- und kleinformatigen Objekte bespannt sind, erscheinen gleichzeitig hart und weich, am liebsten würde man sie anfassen. Die glänzenden Oberflächen erinnern an das vertraute Leder von Möbeln oder an menschliche Haut. Die mit Epoxidharz in Form gegossenen Polster sind wiederum mit hölzernen Akzenten versehen, die sich zart an die Textilien anschmiegen. So zeigt Vasiliauskaitė in “Repetitions & Rituals” ein Spiel der materiellen Gegensätzlichkeiten.

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Neringa Vasiliauskaitė, Glücksspiel, Ausstellungsansicht Repetitions & Rituals, Kunstraum München 2024 Foto: Thomas Splett.

Vertraute Gegenstände und Kindheitserinnerungen fügen sich in die weichen Kissen ein, die zu schützende Hüllen werden. Verspielte Querverweise auf eine Zeit vor der Digitalisierung rufen nostalgische Gefühle bei den Betrachter*innen hervor. “Repetitions & Rituals” im Kunstraum München weckt Assoziationen von langen Telefonaten mit dem schnurgebundenen Telefon der Eltern, von liebevoll mit Stern-Nieten verzierten Chucks der Teenagerjahre oder vom Spielen mit dem Familienhund. Vasiliauskaitės anziehende Objekte erzählen komprimierte Erzählungen, festgefroren unter dem Glas der “Sekretas”.

WANN: Die Ausstellung “Repetitions & Rituals” läuft noch bis Sonntag, 28. Juli 2024.
WO: Kunstraum München, Holzstraße 10, 80469 München.

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