Mi, Mi, You
Ndayé Kouagou bei Nir Altman

13. November 2020 • Text von

Die Performances, Bilder und Skulpturen des französischen Künstlers Ndayé Kouagou basieren immer auf Texten, deren Autor er ist. Auf poetische, und durchaus humorvolle Weise nähert er sich Themen wie Identität, individuelle Legitimität, Freiheit und Liebe. Wir sprachen anlässlich seiner Ausstellung „Tbh, if It’s not about me I’m not really interested“ bei Nir Altman über Narzissmus, Cliches und unterschiedliche Rollen.

Man sieht eine Performance des Künstler Ndayé Kouagou, er sitzt in der Mitte.
Ndayé Kouagou: Will you feel comfortable in my corner? Ariel, Copenhagen, 2020.

gallerytalk.net: In deiner künstlerischen Praxis performst du, schaffst Bilder und auch Objekte. Wie verbindest und kombinierst du diese unterschiedlichen Ansätze?
Ndayé Kouagou: Ich arbeite grundsätzlich mit Texten. Ich bezeichne mich als Schriftsteller, auch weil das gut klingt. Das was ich gerne tue, ist schreiben. Durch die Möglichkeiten, Performances zu machen, habe ich einen Weg gefunden, meinem Schreiben eine neue Form zu geben. Und am Ende haben sich dann auch Objekte und Skulpturen daraus entwickelt. Im Grunde suche ich nach zwei Dingen im Leben: Freiheit und Legitimität. Und in diesen Objekten konnte ich beides finden.

Was meinst du damit genau?
Ursprünglich hatte ich Soziologie studiert, aber das war eine eher zufällige Wahl. Dann brauchte ich Geld und fing an, für eine Firma zu arbeiten, die Videos herstellt. Also lernte ich Schnitt, und das wurde mein Job, dann lernte ich 3D-Schnitt, und das wurde mein Job, aber dann merkte ich, dass mir das nicht mehr gefällt, und so beschloss ich, damit aufzuhören. Etwa zu dieser Zeit entdeckte ich zufällig die Künstlerin Hanne Lippard. Ich sah ein Video von ihr, durch einen falschen Klick auf einer Musiknachrichten-Website. Sie macht Performances mit Texten, und mir wurde klar, wenn ihre Texte Performance-Kunst sein können, können meine das auch sein. Sie war wirklich ein Augenöffner für mich.

Also hast du dich entschieden, Künstler zu werden?
Ich habe diese Entscheidung sehr ernst genommen; das war ganz und gar nicht romantisch. Ich war nicht mehr 21 Jahre alt, also sagte ich mir, wenn ich diesen Weg einschlage, dann muss ich ihn wirklich gehen und Performance-Künstler werden. Und diese Entscheidung war sehr gut für mich, denn wie ich sagte, ich suche nach Freiheit. Das Konzept der zeitgenössischen Kunst gab mir völlige Freiheit. Ich war nicht auf der Kunsthochschule gewesen und wusste nicht viel, ich kannte Banksy und Picasso. Aber das macht nichts, solange man etwas produziert, das relevant ist. Und Performance war für mich wegen der Worte die erste Wahl. Und ich brauche auch kein spezielles Material, um meine Kunst zu produzieren, ich brauche auch kein Studio oder so, ich brauche nur mich selbst.

Ndayé Kouagou: BE REALISTIC THINK AVERAGE & THE MOST ANNOYING THING THERE IS!, 2020, Nir Altman.

Wie hat sich diese bewusste Entscheidung auf deine Wahrnehmung von Kunst ausgewirkt?
Ich möchte, dass meine Arbeit für so viele Menschen wie möglich zugänglich ist. Ich möchte, dass die Leute zu meinen Ausstellungen kommen, die Werke sehen und darauf reagieren können, ob sie es interessant oder lustig finden. Ich möchte, dass sich jeder in mir wiedererkennen kann.

Was meinst du mit “sich selbst in mir wiedererkennen”?
Ich zeige bewusst meine Zerbrechlichkeit, meine Schwächen. Ich werde nie Stärke zeigen; es bin immer ich, der in der Öffentlichkeit zerbrechlich ist. Und ich glaube, man kann sich in Jemandem, der zerbrechlich ist, besser selbst erkennen. Manchmal beginne ich eine Performance stark und selbstbewusst, und dann falle ich langsam auseinander.

Was war dein Plan für die Ausstellung “Tbh, Tbh, if It’s not about me I’m not really interested”, die diese Woche bei Nir Altman eröffnet wird?
Die Show hätte Etwas sein sollen, aber das ist sie nun nicht mehr. Wir hatten ursprünglich letztes Jahr, vor dem “Ende der Welt” über diese Ausstellung nachgedacht und mussten sie verschieben. Also ergab das, was ich ursprünglich geplant hatte, keinen Sinn mehr. Aber der Titel der Ausstellung ist geblieben. Ich denke, es ist ein lustiger Titel, da es nie um mich gehen sollte. Ich glaube, es gibt nichts wirklich Interessantes an mir. Ich meine, nichts interessanteres als an irgendjemand anders. Ich bin so langweilig wie du, und ich bin so interessant wie du.

Ndayé Kouagou: I truly advise you of taking notes, 2019 (li.), I don’t like cold summer and I don’t like hot winter, 2019 (re.), Nir Altman.

Jetzt bist du aber bescheiden.
Etwas für mich zu tun, bedeutet ja auch, es etwas für dich zu tun. Das ist die Idee hinter der Ausstellung. Als das “Ende der Welt” passierte, vermisste ich es, Menschen zu treffen, wie alle anderen auch. Also dachte ich über Konzepte der “Andersartigkeit” nach und über diesen privaten Garten, den wir alle haben. Unser inneres Selbst. Es ist irgendwie unmöglich, ein klares Verständnis für die innere Funktionsweise eines anderen Menschen zu bekommen. Was ich sagen will, ist, dass ich einen privaten Garten habe, und der ist wahrscheinlich ähnlich wie dein privater Garten. Aber vielleicht auch ganz anders.

In deiner Arbeit geht es sehr stark um Identität und Repräsentation, um Selbstzweifel, aber auch darum, wie Egos funktionieren. Wie stehst du zum Narzissmus?
Narzisstisch zu sein wirkt stark: Ich, ich, ich, ich! Es macht die Leute neugierig aber vielleicht auch wütend. Meine Arbeit scheint sich nur um mich zu drehen, aber in Wahrheit tut sie es nicht wirklich. Ich mag es, diese Persona zu kreieren, die von sich selbst besessen ist. Aber das ist gewissermassen nur ein Trick, um Aufmerksamkeit zu erregen. In meinen Performances zeige ich eine sehr übertriebene Version meiner selbst. Aber ich habe ein paar Grenzen: Ich möchte nicht über die Kunstwelt sprechen, in der Kunstwelt gibt es nichts Interessantes, es ist, als würde man über Banken-Szene sprechen. Über mich zu sprechen ist auch eher so, als würde man über irgendjemand anderen reden.

Ndayé Kouagou: I truly advise you of becoming a loser, 2020Will you feel comfortable in my corner? Ariel, Copenhagen, 2020. (re.)

Es gibt also eine öffentliche und eine private Person?
Hanne Lippard sagte: “Ich bin eine Privatperson, aber ich bin ein öffentlicher Geist.” Wenn man sich nur mein Instagram anschaut, dann ist dort nichts Persönliches. Ich werde nichts über meine Familie erzählen, nicht einmal über meine Freunde. Aber es sieht trotzdem so aus, als wäre da jemand, der wirklich in sich selbst verliebt ist. Aber in Wirklichkeit steht da nichts über mich drin. Die beste Art, sich zu schützen, ist, keine Geheimnisse zu haben, das ist Teil meiner Strategie.

Man könnte sagen, dass du ein Dichter bist, der sich auch der Kunst als Ausdrucksmittel bedient.
Ich hasse es, wenn manche das sagen. Aber ich fange an, dieses Etikett zu akzeptieren. Für mich klingt Poesie, als wäre man weiss, es ist 1889 und man lebt pleite in Paris oder New York. Das bin ich nicht. Aber die Leute haben mir dieses Etikett aufgedrückt, und vielleicht ist es wahr.

WANN: Das Eröffnungswochenende findet zwischen Freitag, dem 13. November und Samstag, dem 14. November statt.
WO: Nir Altman, Alpenstrasse 12, 81541 München.

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