"Schönheit interessiert mich nicht"
Natalie Brehmer über die Kraft des Unbequemen

8. Juni 2025 • Text von

Draußen regnet es Bindfäden, die Welt wirkt verlangsamt. Eigentlich wollten Natalie und ich uns auf dem Friedhof Grunewald treffen, ein kontemplativer Ort für sie. Stattdessen also ein Novembertag im Mai am Neuköllner Esstisch. Natalie ist gerade beruflich aus Süddeutschland zurück. Der Koffer ist nicht mal richtig ausgepackt, denn in wenigen Tagen beginnt ihre Residency in den USA. Sie wirkt nicht gehetzt. Eher wie jemand, der gelernt hat, Übergänge zu mögen. (Text: Pola van den Hövel)

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Interview-Ort: eine Wohnung in Neukölln. Foto: Francisco Bocanegra Yañez.

gallerytalk.net: „Sweat, Baby, Sweat“ ist der Titel deiner Ausstellung in der Galerie Judith Andreae. Ist das ein Popsong oder was genau?
Natalie Brehmer: Nein, das denken aber viele. Es ist ein Meme. Ein Video, in dem Formel-1-Fahrer Daniel Ricciardo nach dem Rennen sagt: „It’s real sweat. I’m a high performance athlete. Real athletes sweat. Sweat baby …“. Mit dem Grafikdesigner Dominik Bissem kam das letzten Sommer im Brainstorming auf. Erst war ich unsicher, ob das zu plakativ ist, aber gerade der Aspekt der Umcodierung war mir wichtig. Es geht eben nicht um sexualisiertes Schwitzen, sondern um eine feministische, körperliche Selbstermächtigung.

Der physische Einsatz in deiner Arbeit scheint zentral.
Absolut. Ich schleife, ich trage, ich baue, ich schmelze Glas. Das ist nicht nur künstlerisch, sondern körperlich fordernd. Ich trage inzwischen eine Sportuhr, die mir nach einem Ausstellungstag zeigt: „Extrem hohe Belastung. Erholen Sie sich.“ Ich finde das fast poetisch. Der Aufbau ist für mich genauso Teil der Arbeit wie das fertige Werk.

Erklärst du das kurz genauer?
Ich arbeite raumbezogen. Auch weil sich bestimmte Entscheidungen erst im Raum klären lassen. Du kannst noch so viel planen, wenn du nicht vor Ort bist, verlierst du was. Ich will da sein, ich will mitentscheiden. Das ist Teil meines Arbeitens.

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Natalie Brehmer, Installationsansicht “Sweat Baby, Sweat”, 2025, Galerie Judith Andreae, Bonn. // Foto: Katja Andreae.

Du arbeitest viel mit anderen zusammen, ist das für dich Teil des künstlerischen Prozesses?
Definitiv. Ich arbeite transdisziplinär mit verschiedenen Gewerken, Glasbläsern, Architekten, Gießereien, Grafikdesignern. Ich will, dass das sichtbar ist. Meine Rahmenbauer dürfen ihr Logo in meine Rahmen gravieren. Ich will zeigen: Das ist ein kollektiver Prozess. Das ist für mich kein Kontrollverlust, das ist Haltung.

Das beeinflusst ja auch die Ästhetik deiner Arbeiten. Ist dir die Schönheit deines Werks wichtig?
Mich interessiert Schönheit gar nicht. Mich interessiert: Löst das Werk was aus? Klar, ich achte auf Sorgfalt, Qualität, Form. Aber das hat nichts mit dekorativer Schönheit zu tun. Und ehrlich gesagt: Ich finde den Satz „Schönheit liegt im Auge des Betrachtenden“ in Bezug auf Kunst sogar falsch. Es gibt Kriterien, es gibt Tiefe, Komplexität, Kontext. Und das zählt für mich.

Die Straße vor dem Fenster ist leer, die Pflastersteine glänzen. An der Fensterscheibe sind kleine Regentropfen zu sehen. Wir schweifen kurz ab, fachsimpeln darüber, welche Reiseversicherung am besten ist. Und landen irgendwann bei Besuchen in der Heimat.

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Natalie Brehmer, Installationsansicht “Sweat Baby, Sweat”, 2025, Galerie Judith Andreae, Bonn.

Dein Werk ist stark mit deiner Familiengeschichte verwoben. Wie hat sich das entwickelt?
Anfangs stand die Verbindung zu meinem Vater im Mittelpunkt, er lief 1968 bei den Olympischen Spielen. Mit der Zusammenarbeit mit der Galeristin Katja Andreae hat sich mein Blick erweitert und verschoben. Die Geschichte der Läuferin Kathrine Switzer wurde für mich zunehmend zentral, als Symbol für Widerstand und Sichtbarkeit. Gleichzeitig rückt auch meine eigene Rolle stärker ins Zentrum. Als Frau in der Kunstwelt werde ich mit genau diesen Fragen nach Sichtbarkeit konfrontiert. Die Tartanbahn bleibt eine konstante Metapher, aber der Fokus verändert sich. Ich entwickle meine Arbeiten weiter und setze neue Schwerpunkte.

In einer deiner Arbeiten hast du ein Zitat von Kathrine Switzer in einen Spiegel graviert. Was bedeutet dir dieser Satz?
Sehr viel. „Is it a crime to want to run?“ (dt. Ist es ein Verbrechen, laufen zu wollen?), das hat Switzer gesagt, nachdem sie 1967 illegal als erste Frau beim Boston Marathon gelaufen und vom Renndirektor fast aus dem Rennen gezerrt worden war. Ihr Satz klingt fast beiläufig, aber er hat Tiefe. Es geht da nicht nur ums Rennen. Es geht ums Dürfen, ums Sichtbarsein, ums Raum beanspruchen.

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Natalie Brehmer, Installationsansicht “Sweat Baby, Sweat”, 2025, Galerie Judith Andreae, Bonn.

Warum als Gravur? Warum im Spiegel?
Ich wollte das leise halten. Nicht groß, nicht plakativ. Die Gravur ist ganz fein. Man sieht sie fast nicht, aber sie ist da. So wie viele dieser Geschichten von Frauen: Sie könnten verschwinden, aber sie bleiben, wenn man genau hinsieht. Switzers Glück war es, dass sich alles vor dem Pressebus abgespielt hat. So konnten die Ikonischen Bilder entstehen, die dann um die Welt gingen. Sichtbarkeit ist wichtig. Es ist eher wie ein Gedanke. Ein Echo. Und der Spiegel gibt das ja auch zurück. Nicht nur das eigene Bild, sondern die Frage: Was siehst du und was übersiehst du vielleicht?

Was siehst du und was übersiehst du vielleicht? Die Frage bleibt im Raum stehen, selbst als wir längst beim nächsten Thema sind. Es ist diese feine Spannung, die sich durch viele von Natalies Arbeiten zieht: das Spiel mit dem Offensichtlichen und dem, was sich nur zeigt, wenn man bereit ist, genau hinzusehen. Ihre Arbeiten sprechen selten laut, aber sie sprechen klar. Und manchmal auch: unbequem.

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Fotos: Natalie Brehmer.

In vielen deiner Arbeiten liegt eine spürbare Spannung, sei es im Material, in der Geste oder im Raum. Was interessiert dich daran?
Ich glaube, viele meiner Arbeiten drehen sich ums Aushalten. Das klingt hart, aber es ist eher eine Form von Präsenz. Nicht nur körperlich, auch emotional, konzeptuell. Ich versuche gar nicht, Widersprüche aufzulösen. Ich will sie stehen lassen. Da entsteht für mich Energie.

Also keine Glättung, sondern eher Reibung?
Genau. Vielleicht ist das auch mein sportliches Erbe. Nicht der Wettkampf, sondern das Durchhalten. Das Dableiben im Widerstand. Ich finde: Reibung erzeugt Wärme. Das ist ein Satz, den ich oft denke. Das hat nichts mit Provokation zu tun, sondern mit Achtsamkeit für Spannungen. Und mit dem Mut, sie nicht aufzulösen.

Diese Haltung übersetzt sich direkt ins Material. In Brüche, in Oberflächenspannungen, in chemische Reaktionen zwischen Glas und Hitze. Natalie spricht von Druckpunkten und Zwischenzuständen, aber auch von Eleganz und Symbolik. Ihre Werke balancieren immer an der Kante: zwischen zarter Form und deutlicher Haltung, zwischen persönlicher Geschichte und struktureller Kritik.

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Natalie Brehmer, Installationsansicht “Sweat Baby, Sweat”, 2025, Galerie Judith Andreae, Bonn.

Der Startblock aus Champagnerflaschen ist da ein gutes Beispiel. Was steckt da alles drin?
Es ist ein Widerspruch, klar. Schönheit und Gewalt. Zerbrechlichkeit und Druck. Die Flaschen habe ich auf Kunstmessen gesammelt, also bei Feieranlässen, und dann einschmelzen lassen. Daraus baue ich ein Symbol für Leistung, Wettkampf, Kunstbetrieb. In der neuen Version habe ich auch Wasserflaschen integriert, als Verweis auf Schweiß, Körper, aber auch auf Kapitalismus. Wasser ist das neue Gold, oder?

Bei aller Schwere bleibt ein Moment von Ironie. Natalie weiß um die Überlagerungen, in denen sich ihre Arbeiten bewegen. Ihre Bildsprache ist nicht hermetisch, sondern bewusst offen für all die Bilder, Memes, Songs, die längst Teil eines kollektiven Denkens geworden sind.

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Natalie Brehmer. Foto: Phillipp Köhler. // Foto: Francisco Bocanegra Yañez.

Du nutzt viele Referenzen aus Pop- und Meme-Kultur, fast auch politische Zitate. Warum ist dir das wichtig?
Weil ich als Millenial Teil davon bin. Meme-Kultur ist ein Spiegel unserer Zeit. Das sind Medien, die ich konsumiere, die mich prägen. Ich finde es nur logisch, sie in meine Arbeiten einfließen zu lassen, auf eine reflektierte, nicht bloß illustrative Weise. Es geht darum, Kontexte sichtbar zu machen und neue zu schaffen.

Du hast vorhin erzählt, wie deine Arbeiten noch über das fertige Werk hinaus entstehen. Wo beginnt für dich eine Arbeit?
Mit einem Hauch. Da ist kein Gedanke, kein Konzept, eher ein Gefühl. Eine Bewegung, ein Lichtmoment. Und dann spüre ich: Da ist was. Das kann dann wachsen. Oder sich sofort materialisieren. Aber es beginnt immer in der Stille.

Nach dieser Antwort ist es auch am Tisch für einen Moment still. Kein dramatisches Schweigen, eher das feine, konzentrierte Nachwirken eines Satzes, der sitzt. Draußen ist es heller geworden. Der Regen hat sich gelegt, aber die Straßen glänzen noch. Natalie schaut nicht zur Uhr. Sie hat den Blick einer Person, die gerade kurz innerlich ein neues Werk andeutet. Da ist ein Hauch, wie sie sagen würde. Ich frage nichts mehr. Manchmal ist das Ende einer Arbeit oder eines Gesprächs genau das: eine Bewegung, ein Moment, ein Weitergehen in aller Ruhe.

WANN: Aktuell sind Arbeiten von Natalie Brehmer im Rahmen ihrer Ausstellung “Sweat, Baby, Sweat” zu sehen. Sie läuft bis zum 5. Juli.
WO: Galerie Judith Andreae, Paul-Kemp-Straße 7, 53173 Bonn.

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