Symbiotische Beziehungen "Mutual Aid" im Castello di Rivoli
27. November 2024 • Text von Quirin Brunnmeier
Im Turiner Castello di Rivoli widmet sich die Ausstellung „Mutual Aid“ der wechselseitigen Beziehung von Mensch und Natur. Gezeigt wird Video, Malerei, Klang und Installation. Die Schau verbindet die Perspektiven von Künstler*innen unterschiedlicher Generationen, die sich seit den 1960er-Jahren mit dem Thema auseinandergesetzt haben.
Rankende Pflanzen und umherfliegende Schmetterlinge verwandeln den ansonsten schmucklosen Ausstellungsraum in ein tropisches Gewächshaus. Die Besucher*innen werden in kleinen Gruppen in das Biotop vorgelassen, weiche Erde unter ihren Füßen. Das surreal wirkende Environment wird durch einen ausgestopften animatronischen Wuschelbär komplettiert, der auf dem Boden liegt und zu schlafen scheint. Precious Okoyomon vermischt in der immersiven Installation “the sun eats her children” dystopische und utopische Elemente, Natur und Technik, Schönheit und Bedrohung, denn alle Pflanzen in diesem verwunschenen Garten sind giftig. Die hier gezeigte Natur ist gleichzeitig verletzlich und gefährlich.
Die Installation bildet den Abschluss der großen Ausstellung “Mutual Aid – Art in collaboration with nature“ im Castello di Rivoli Museo d’Arte Contemporanea. Sie ist am Ende der Manica Lunga, einer länglichen Ausstellungshalle, positioniert, in der sich wie in einem Parcours unterschiedliche künstlerische Positionen aneinanderreihen. Die Ausstellung erforscht die unzähligen Formen der Zusammenarbeit und Koexistenz zwischen verschiedenen Lebewesen, nicht-menschlichen Akteuren und natürlichen Elementen. Die künstlerischen Strategien reichen dabei von Video, Malerei, Klang, Installation bis Skulptur. Die Ausstellung zeigt verschiedene Reflexionen über Ökologie und stellt dabei die vermeintlich zentrale Rolle des Menschen in diesen Systemen in Frage.
Michel Blazy widmet sich in seiner Praxis der Erforschung von Zerfallsprozessen und der Metamorphose organischer Materie. Im Castello di Rivoli präsentiert er mit “Le lâcher d’escargots” eine Installation mit Schnecken, die einen Teppich überqueren und dabei Spuren hinterlassen, die an abstrakte Gemälde und Action-Painting erinnern. Um gefundene Materialien und Mimikry geht es wiederum Andrea Caretto und Raffaella Spagna: Sie zeigen mit “Être galet” das Ergebnis einer Untersuchung des Flusses Rhone, bei der sie synthetische und natürliche Materialien gesammelt haben, die von der Strömung abgeschliffen wurden. Wie in einem Bühnenbild performen hier Schaumstoff-Stücke ein Stein-Dasein.
Die von Francesco Manacorda und Marianna Vecellio kuratierte Ausstellung zeigt eine imposante Auswahl künstlerischer Positionen, in der jedes Werk durch die Beiträge nicht-humaner Elemente oder Akteure entweder vervollständigt oder mitgestaltet wurde. Die Betrachter*innen sollen so die strikte Trennung zwischen Kultur und Natur, zwischen Umwelt und Mensch überdenken und re-evaluieren. Der Titel basiert auf den Theorien des russischen Philosophen Piotr Kropotkin, der argumentierte, dass nicht Wettkampf, sondern Zusammenarbeit die treibende Kraft für Fortschritt sei. Die Ressourcen der Natur sollen nicht lediglich (aus-)genutzt werden, Künstler*in und Umwelt gehen eine für beide Seiten vorteilhafte Beziehung ein. Wenn man doch nur die Schmetterlinge in Precious Okoyomons Installation nach ihrer Zustimmung fragen könnte.
WANN: Die Ausstellung “Mutual Aid” ist noch bis zum 23. März 2025 zu sehen.
WO: Castello di Rivoli, Piazza Mafalda di Savoia, 10098 Rivoli – Torino, IT.