Der Verlauf der Dinge
Monique S. Desto und Klaartje van Essen in der GAK Bremen

21. März 2025 • Text von

Unter dem Titel “Erosion Arranged: we sink, I stretch, you flow” präsentiert die Gesellschaft für Aktuelle Kunst in Bremen eine Doppelausstellung der Künstler*innen Monique S. Desto und Klaartje van Essen. Im Laufe der Ausstellung entfaltet sich ein Materialdialog, der Verwertbarkeit, Geschichte und Raum verhandelt und in fragile, sich verändernde Formen übersetzt.

Monique S. Desto & Klaartje van Essen, Erosion Arranged: we sink, I stretch, you flow, Ausstellungsansicht GAK Bremen 2025. Foto: Franziska von den Driesch.

Manche Prozesse sind so langsam, dass sie nicht mit dem bloßen menschlichen Auge wahrnehmbar sind. Dies kann sowohl Prozesse des Wachstums als auch der Metamorphose oder der Zersetzung betreffen. “Erosion“ beschreibt den langsamen Prozess der Abtragung von Oberflächen, der entsteht, wenn zwei oder mehrere Akteur*innen miteinander in Kontakt treten und ihre Interaktionen fortlaufend Veränderungen bewirken. Dieser kontinuierliche Austausch führt zu einer schrittweisen Umgestaltung, die oft erst im Rückblick sichtbar wird.

In “Erosion Arranged: we sink, I stretch, you flow” arbeiten die beiden Künstler*innen Monique S. Desto und Klaartje van Essen nicht subtraktiv. Ihre Arbeiten schreiben sich in das Gebäude ein, fügen hinzu, bewegen sich durch Löcher und Ritzen, hinterlassen Spuren der Nutzung und türmen sich in fragilen Arrangements auf. Früher Tabak- und Kaffeelager, ist das GAK als Ort, der Material beherbergt und sich in einem konstanten Fluss aus Ein- und Ausgang befindet, bereits in die Psychologie des Gebäudes eingeschrieben.

Monique S. Desto & Klaartje van Essen: Opens, 2025. Foto: Franziska von den Driesch.

Aktuell versammeln sich organische Materialien und Strukturen in den Hallen des Bremer Ausstellungsraums: dünne Latexbahnen, menschenhohe skulpturale Arrangements aus Gips und Wachs, handgroße, bunt-pigmentierte Skulpturen, Projektionen. Während einige der gipsartigen Installationen wie provisorisch gebaute Objekte der Innenarchitektur wirken, erinnern andere an Vorgänge des natürlichen Wachstums: “Opens”, eine gemeinsame Arbeit der beiden Künstler*innen, welche sich vor der Ausstellung noch nicht kannten, im ersten Raum, ruft Bilder von dichten Mangrovenwäldern hervor. Als natürlicher Erosionsschutz wachsen diese Ökosysteme mit ihren verflochtenen Wurzelsystemen vor allem an Küsten. Im GAK entwachsen ihre Stämme den Wänden des Ausstellungsraums und führen auf dem Boden entlang, wo sie schließlich in unendlichen Verästelungen enden. 

An einer Stelle hebt sich die Arbeit vom Boden ab und will in die Höhe. Wie die überirdischen Luftwurzeln der Küstenbäume ragen die zitronengelben Baumteile in den Raum. Als hätten sie links und rechts keine Wachstumsgrenzen, wird die Malerei nicht von einem Rahmen eingefasst, sondern verschmilzt auf dem dünnen Latexuntergrund mit der Innenarchitektur, so wie sich auch die Arbeitsweise der beiden Künstler*innen verwebt.

Monique S. Desto: Gebanne:Gebälk, 2021. Foto: Franziska von den Driesch. // Klaartje van Essen: Pillar II, 2024. Foto: Franziska von den Driesch.

Die Materialien der Arbeiten in “Erosion Arranged: we sink, I stretch, you flow” verbinden sich auf organische Weise mit dem Ausstellungsraum. “Gebanne:Gebälk” von Monique S. Desto ist eine etwa 80 Meter lange, beidseitige Malerei aus pigmentiertem Latex, deren Oberfläche sich in sanften Bögen und Bahnen unter der Decke des gesamten Ausstellungsraums spannt. Immer wieder lassen sich figürliche Motive erkennen – Blätter, Hände, grafische Linien und Flächen, die Stück für Stück ineinander übergehen.

Während sich Destos fragmentarische, skulpturale Malerei durch den Raum zieht, zeigen sich van Essens “Pillars” als Architektur im Raum. Die Säulen, hauptsächlich aus laminiertem Papier und Gips, drücken sich zwischen Boden und Decke und scheinen jeden Moment umfallen zu können. Van Essen nutzt für ihre Arbeiten oft gefundenes Material, unter anderem Baumaterialien, die sie durch verschiedene Prozesse weiterverarbeitet, die sie auch in ihren Arbeiten sichtbar macht.

Klaartje van Essen: Scratched Sketches, 2025. Foto: Franziska von den Driesch.

Ein Beispiel hierfür sind van Essens “Scratched Sketches”. Die kleinen Dessertschälchen aus Glas sind entlang der Wand installiert, kleine LED-Lichter im Inneren beleuchten die Unterseite, wo die Künstlerin mit schnellen Bewegungen eine einst flüssige Masse entnommen hat. Van Essen nutzt Reste und Abfallprodukte, um pigmentiertes Material herzustellen für ihre Arbeit. Durch einen Prozess, der auch Fermentation umfasst, entstehen so die “Crayon Rocks”, skulpturale Objekte aus Gips, Wachs und Pigmenten, die als Werkzeuge für ihre Wandzeichnungen dienen.

Die bewachsten, stiftartigen Werkzeuge nutzt sie, um temporäre Zeichnungen an der Wand anzufertigen, deren Motive sie ihrem persönlichen Archiv entnimmt. Sobald die Ausstellung vorbei ist, verschwindet auch das Motiv – und mit ihm sein Material: Während des Zeichnens sammelt sich der Abrieb in kleinen, staubigen Türmchen auf dem Ausstellungsboden.

Klaartje van Essen: Passerby (Detail), 2025. Foto: Franziska von den Driesch.

Wie auch in natürlichen Ressourcenvorkommen verdichten sich in “Erosion Arranged: we sink, I stretch, you flow” Materialien an unterschiedlichen Stellen im Raum. Teilweise zu Bergen aufgetürmt, erinnern einige Installationen aus gefundenen und recycelten Stoffen an den Kreislauf von Abfall-, Herstellungs- und Verschleißprozessen und rufen Fragen der Lagerung und Weiterverwertbarkeit auf. 

Während sich das Latex von Destos Malerei mit jeder Ausstellungssituation neu einschreibt und an die Umgebung anpasst, wird es mit jedem Zeigen weniger, bis es sich schließlich zersetzt. In ihrer Arbeit mit Latex reflektiert die Künstler*in zudem die Geschichte des Kautschuks, die eng mit kolonialer Ausbeutung verbunden ist. Während Kautschuk heute oft synthetisch hergestellt wird, setzen sich Formen der Rohstoffausbeutung fort – etwa in den Kobalt-Minen des Kongo, deren Erträge essentiell für die Produktion von Batterien und elektronischen Geräten sind. So verschränken sich Materialität und Motiv mit der Frage nach der Kontinuität des Kolonialismus und seinem Platz in der öffentlichen Wahrnehmung.

Klaartje van Essen: Crayon Rocks, 2025. Foto: Franziska von den Driesch.

Der Zerfall des Materials ist Teil von Destos künstlerischer Praxis. Einen ähnlichen Prozess durchlaufen van Essens selbst erstellte Werkzeuge – mit dem Unterschied, dass die Künstlerin den Vorgang durch wiederholtes Eingreifen um ein Vielfaches beschleunigt. In ihrem Arbeitsprozess recycelt sie immer wieder Materialien, die sie auch als Nutzmaterialien in ihrem Studio verwendet oder ursprünglich dafür erworben hat.

Während der Vorgang der Erosion zwischen Träger*in und Handelnden unterscheidet, differenziert “Erosion Arranged: we sink, I stretch, you flow” zwischen Material, Arbeit und Werkzeug. So entsteht während der Ausstellungsdauer – sowie davor und danach – ein Materialdialog auf Zeit, der durch Zerfall, Transformation, Anpassung und Kooperation strukturiert ist.

WANN: Die Ausstellung “Erosion Arranged: we sink, I stretch, you flow” läuft noch bis Sonntag, den 11. Mai.
WO:
GAK – Gesellschaft für Aktuelle Kunst e.V., Teerhof 21, 28199 Bremen.