Im Betonwust
Mire Lee im MMK

10. Juni 2022 • Text von

Für ihre Einzelausstellung im MMK Zollamt hat Mire Lee einen Betonmischer, eine abstrahierte Hütte und Zitate in verschiedenen Sprachen gegenübergestellt. So ist mit „Look, I’m a fountain of filth raving mad with love“ ein mit Spannung geladener und dystopisch anmutender Raum entstanden, der die Rohheit der Zeit erkennbar werden lässt. Die Abwesenheit neuer Technologien, die Gebrauchsspuren von Öl und Beton und eine mit Wörtern übersäte Wand erzeugen den Eindruck einer Welt, die nur noch wenige Parallelen mit unserer Gegenwart aufweist. (Text: Leonore Spemann)

Mire Lee, Horizontal Forms, 2020 (Detail), Foto: Yonje Kim. // Mire Lee, Look, Ausstellungsansicht „I’m a fountain of filth raving mad with love“, 2022, Foto: Axel Schneider.

Mit ihrer Einzelausstellung „Look, I’m a fountain of filth raving mad with love“ hat Mire Lee eine raumgreifende Installation erschaffen, die sich zusammensetzt aus verschiedenen Baustellenmaterialien, zwei Videoarbeiten, Objekten und einer beschrifteten Wand. Betritt man den Innenraum des Zollamts MMK in Frankfurt, empfangen einen ein stechender Geruch, Maschinenlärm und ein tonloses Video, das eine schlafende Person zeigt. Ruhend, umgeben von Kissen wird der Körper des von Decken bedeckten Menschen abgefilmt. Das Gesicht sieht friedlich aus. Die entspannte Körperhaltung verweist auf die Abwesenheit des Bewusstseins, welche sich während des Schlafes einstellt. Es handelt sich bei der Person um die Mire Lees Mutter.

Die aufsteigende Treppe führt in den Hauptraum der Ausstellung, wo sich neben einem zentralen Plateau sieben rotierende Baustellenmaschinen befinden. Die Fenster sind auf beiden gegenüberliegenden Seiten mit Netzen verhangen, welche das Tageslicht dimmen. Durch ihre graue Farbigkeit und die kleinen getrockneten, daran hängenden Klümpchen sehen sie so aus, als seien sie in Beton getaucht worden.

Zentral auf dem hinteren Teil des Plateaus ist eine Art Hütte aus zusammengeschweißten Stangen, Rohren, Fasern und Schläuchen entstanden. Die ineinander übergehenden Teile der fragilen Hütte sind bestrichen mit einer grauen Beschichtung. Es lässt sich durch den auf vielen Beinen stehenden, gerüstartigen Pavillon hindurchschreiten.

Mire Lee, Look, Ausstellungsansicht „I’m a fountain of filth raving mad with love“, 2022, Foto: Leonore Schubert.

Geprägt wird das Erleben von dem eingangs erwähnten, sich verändernden Geräuschen der Betonmischer. In deren Inneren befindet sich teils Undefinierbares, teils altes Öl. Ertönt der eine Mischer, verstummt der andere. Manchmal sind mehrere Maschinen gleichzeitig in Betrieb, manchmal keine einzige. Die unaufhaltsame Flüssigkeit, vermutlich Öl, die den Anschein macht, aus den Maschinen getropft zu sein, hat bereits an mehreren Stellen den Zustand des Bodens verändert. Wölbungen und Betontropfen auf dem Fußboden wirken wie leise Spuren verschiedener Prozesse.

Doch nicht nur die Betonmischer rotieren. Bewegung geht auch von dem abstrahierten Bau in der Mitte des Raumes aus: Teile der Hütte pulsieren. Ihre wiederkehrenden Bewegungen machen den Eindruck von etwas Aktivem. Die Bewegung der Schläuche ist gleichmäßig, langsam und wirkt durch die unaufgeräumte Umgebung so, als würde sie wider aller Umstände und äußerer Veränderungen weitermachen, pochen wie ein Herz. Die Ähnlichkeit von Maschine und Organ ist hierbei stets auffällig. Eine gewisse Nähe zu kinetischen Objekten liegt auf der Hand.

Mire Lee, Look, Ausstellungsansicht „I’m a fountain of filth raving mad with love“, 2022, Foto: Axel Schneider. // Mire Lee, Look, Ausstellungsansicht „I’m a fountain of filth raving mad with love“, 2022, Foto: Axel Schneider.

Ganz besonderes Augenmerk verdient die Wand, die 1988 geborene Mire Lee mit ihren Fingern mit Schrift versehen hat. Zu lesen sind hier Zeilen von Gedichten der Dichterin Kim Eon Hee. Darin heißt es unter anderem „Futtern als eine Frau, befreit von Beleidigung und Verrat befreit vom absurden Leben, befreit vom absurden Tod“ und „Schau, ich bin ein Drecksbrunnen im Liebesrausch“, dem ausstellungstitelgebenden Zitat.

Unterbrochen werden die ordentlich niedergeschriebenen Zeilen von Objekten aus Styropor. Mit ihren runden Öffnungen erinnern sie an Fratzen mit weit aufgerissenen Mäulern und schmalen Augen. Mit ein bisschen Abstand könnte es sich auch um nebenher entstandene Elemente handeln, die bei einem der vielen Arbeitsprozesse der Künstlerin angefallen sind. Es ist für Lee von großer Wichtigkeit, dass die von ihr verwendeten Materialen nicht neu, sondern gefunden und weiterverwendet werden. Ein Aspekt, der in Zeiten größter Verschwendung und krisenhafter Zuspitzung durchaus Beachtung finden sollte.

Klumpen und Fetzen stehen Wänden und gleichförmigen Elementen aus dem Bau gegenüber, was beunruhigt und zugleich zuversichtlich stimmt. Die rotierenden Bewegungen lassen sich als Sinnbild der nicht enden wollenden Mechanismen, die Vorgänge am Laufen halten, lesen. Mire Lees spezifischer Einsatz von Material und ihre vielen vorausgegangenen Materialexperimente liefern eine Beschreibung der Gegenwart, indem sie Vorhandenes mit neuen Gedanken und einem veränderten Blick versehen. Die Leere des rein Mechanischen wird vernehmbar.

Mire Lee, Look, Ausstellungsansicht „I’m a fountain of filth raving mad with love“, 2022, Foto: Axel Schneider.

In der Peripherie der Ausstellung, im kleinen Nebenraum im Souterrain, wird noch ein weiteres Video gezeigt, das ein Interview mit Veronica Moser, einem sogenannten Kaviar-Pornostar, also einer Vertreterin der Koprophilie, zeigt. Bei Koprophilie handelt es sich um sexuelle Erregung durch menschlichen Kot. Das FSK 18 am Eingang zum Videoraum überrascht ein bisschen. Denn medial wird nichts von den Beschreibungen der Befragten gezeigt. Mosers Vorlieben und ihre Vorgehensweise werden nur sehr offen und auf sympathische Weise von ihr im Rahmen eines Interviews vorgetragen. Es ist das Extreme der sexuellen Praktik, das Veronica Moser zu ihr geführt hat, und es ist ebendieses, das sehr ambivalente Empfindungen in einem hervorruft.

Beim Hinausgehen trifft man erneut auf das Video der ruhenden Person. Es ist ein wenig Zeit vergangen. Ein bisschen begleitet einen in diesem Moment am Ende der Ausstellung eine Sehnsucht nach Schlaf und Distanz. Das unermüdliche Rotieren der Betonmischer, das unaufhaltsame Tropfen des Öls, die pulsierenden Schläuche der fragilen Hütte, der Geräuschpegel, die vielen Zitate an der Wand, der Geruch der Baumaterialien – diese Kombination berauscht die Sinne und führt gleichzeitig zu Fragen nach der Beschaffenheit der Welt. Diesem Schwermut wohnt auch ein Funkeln inne, welches den Erfindungsgeist und die Neugier anspricht. Es gelingt nicht häufig, diesen gedanklichen Zustand zu erzeugen. Dank der vielen vorausgegangenen Materialuntersuchungen ist er in diesem Raum kein Zufall.

WANN: Die Ausstellung „Look, I’m a fountain of filth raving mad with love“ von Mire Lee läuft bis zum 4. September.
WO: ZOLLAMTMMK, Domstraße 3, 60311 Frankfurt am Main.

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