Zum Niederknien
Mira Mann bei Drei

22. Oktober 2022 • Text von

Mira Mann hinterfragt Hybridisierungsprozesse transkultureller Phänomene und bringt sie in Zusammenhang mit der eigenen Biografie. In der Kölner Galerie Drei ist ein Präsentationsraum für Manns Recherche entstanden. (Text: Stella Baßenhoff)

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Mira Mann: lotussy II, 2022 (detail).

Melodische Klänge erklingen aus dem Inneren der Galerie Drei. Woher kommen sie und was genau hört man? Der Gesang kommt aus dem hinteren Teil der Ausstellungsräume. Dieser ist mit Teppichen ausgelegt und drei Fernseher älteren Modells sind auf diesen platziert. Man möchte vor ihnen auf den Boden niederknien.

Zu sehen ist hier die titelgebende Drei-Kanal-Videoarbeit „mother may recall another“. In verschiedenen, genau aufeinander abgestimmt Sequenzen wird zu die Geschichte von Shim Cheong aus einem koreanischen Romanklassiker erzählt: Die halb verwaiste Tochter eines blinden Mannes opfert sich dem Meer, um das Augenlicht des Vaters wiederzuerlangen.

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Mira Mann: mother may recall another, 2022. Three channel video, color, sound; 00:50:39; Edition of 3 (+ 1 AP) (installation view: Drei, Cologne, 2022).

Vorgetragen wird die Erzählung im Stil des Pansori-Märchens, einem Genre des musikalischen Geschichtenerzählens, das im 17. Jahrhundert in Korea in engem Zusammenhang mit den Zeremonien und dem narrativen Gesang der Mudang-Schaman*innen entstand und unter anderem von „Kisaeng“, koreanischen Kurtisanen, Unterhaltungskünstler*innen und Sexarbeiter*innen der Joseon-Dynastie und ihren Nachfolger*innen, interpretiert wurde.

Mann verbindet diese Thematik mit filmischen Aufnahmen, die an unterschiedlichen Orten entstanden sind. Den Schwerpunkt bilden hier Reiseausschnitte aus Mokpo, Korea, der Heimatstadt der Mutter Manns, die von der USA unterstützten Militärdiktatur der 1970er Jahre und dem japanischen Kolonialismus geprägt wurde und die die Mutter mit 20 Jahren verließ.

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Mira Mann: mother may recall another. Drei, Cologne, 2022.

Gefilmt sind die Aufnahmen von Manns Mutter selbst. Betrachtende begleiten die im Video zu sehenden Personen bei der Erkundung der Stadt oder bei dem Besuch der Familie. Ergänzt werden diese Szenen von Aufnahmen der Schwester Manns, die durch das Museum für Ostasiatische Kunst in Köln streift, oder einer K-Pop Gruppe, die Bestandteil einer Arbeit Manns war.

Die künstlerische Praxis Manns ist multidisziplinär und umfasst zeit- und ortsspezifische Arbeiten, performative und medienübergreifende Settings, bei denen verschiedene Einflüsse zusammenkommen und bei denen oftmals die Frage nach Erinnerungen, sozialen Strukturen oder Identitäten thematisiert wird.

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Mira Mann: lotussy II, 2022. Make up mirror, aluminum rack, various objects, stool; 84 x 127 x 28 cm (without stool).

In der Galerie Drei sind neben der zentralen Videoarbeit Objekte aus zurückliegenden Perfomances oder Ausstellungen Manns zu sehen, darunter die Installation „lotussy II“ (2022), ein Schminkspiegel, ein Schminkspiegel, auf dem mit rotem Lippenstift geschrieben und dessen Beleuchtung an zwei Stellen mit Nippel Tassels verziert wurde. Vor allem Frauen oder als weiblich gelesene Personen und ihre Geschichten bilden einen Schwerpunkt in Manns Arbeit.

Mit einer vergrößerten Replik eines „Cactus Stands“ der Bauhaus-Designerin Marianne Brandt (1893-1983), welcher für die Serienproduktion im Ruppelwerk in Gotha um 1930 vorgesehen war, beschäftigt sich Mann mit der Thematik des transkulturellen Austauschs und der Frage nach Autor*innenschaft und Aneignung. Wie ein sakrales Objekt präsentiert die Skulptur verschiedene Gegenstände, die ebenso auf vergangene Arbeiten Manns anspielen – Kippenstummel im Aschenbecher, ein zerbrochenes Glas.

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Mira Mann: feed the spirits, 2022 (detail).

Unter einem Glas sind außerdem Insekteneier des „Gonepteryx rhamni“, dem Zitronenfalter, zu entdecken. Das Vorkommen dieser Art ist nicht auf ein Gebiet beschränkt, die Tiere leben im Nordwesten von Afrika, in ganz Europa, in der Türkei und in Zentralasien. Sie trotzen Einflüssen von außen, seien es natur- oder menschengemachte. Hier lässt sich vielleicht ein Bogen zum Pansori-Märchen schlagen. Diese Kultur hat sich über Generationen hinweg erhalten und wird weitergetragen, durch Mira Mann auch in der Galerie Drei.

WANN: Die Ausstellung “mother may recall another” von Mira Mann läuft bis Samstag, den 29. Oktober.
WO: Drei, Jülicher Str. 14, 50674 Köln.

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