Mikrokosmos und Aporie
Àngels Miralda über „curated by“

27. September 2019 • Text von

Drei kleine Einzelausstellungen zum Überfluss an Bildern, Objekten und Produkten geben den Blick auf die Herausforderungen zeitgenössischer Kunst-und Ausstellungsproduktion frei. Im Dickicht von Inhalten und Outputs stellt die Kuratorin und Autorin Àngels Miralda die Frage nach Verantwortung.

Installationsansicht: Weight of Abundance, curated by Àngels Miralda, 13. September – 12. Oktober 2019. Vorne im Bild: Débora Delmar: Commercial Space I-V, 2019. Wände (links beginnend): L.U.X.U.R.Y. Time (Dior), 2019, L.U.X.U.R.Y. Time (Gucci I), 2019, L.U.X.U.R.Y. Time (Chanel), 2019. Courtesy of the artist and Zeller van Almsick. Photo: Martin Bilinovac © 2019.

gallerytalk.net: Neben deiner kuratorischen Tätigkeit schreibst Du für verschiedene Kunstmagazine wie zum Beispiel das “Collecteurs Magazin“ aus New York. Du verfasst kunsttheoretische Texte sowie Katalogbeiträge unter anderem für das Centre Pompidou. Wie siehst Du diese zwei Tätigkeiten – Schreiben und Kuratieren – miteinander verbunden? Wie beeinflussen sie sich gegenseitig?
Àngels Miralda: Kuratieren ist für mich eine Tätigkeit, in die ich das Schreiben einbeziehe. Für jede Ausstellung entwickle ich einen informativen Text, der den Besucher*innen beschreibt, worum es geht. Der Text ist sozusagen die Ausgangsbasis für meine kuratorische Arbeit. Im Ausstellungsraum selbst, findet sich aber immer auch ein poetischer Text, der nicht deskriptiv ist. Es gibt viele Dinge, von denen ich denke, dass sie nicht ausgedrückt werden können. Sie sind zu abstrakt oder spiegeln meine persönlichen Gedanken wieder. Der poetische Text gibt Einblick in diese Gefühle und erlaubt den Besucher*innen nachzuvollziehen, warum ich die Ausstellung kuratiert habe. Zudem schreibe ich viele journalistische und theoretische Texte, die von der Art und dem Aufbau ganz anders sind, und nicht direkt an eine Ausstellung anknüpfen. Jede Textform und jede Aufgabenstellung erfordert einen bestimmten Schreibstil. Ich schreibe für meine kuratorischen Projekte ganz anderes, als für einen Katalogtext. Außerdem haben Kuratieren und Schreiben sehr unterschiedliche Outputs. Letzten Winter habe ich eine Vorlesung in Bogotà gehalten und die Studierenden meinten, – nachdem ich ihnen einige meiner Texte und Ausstellungsprojekte gezeigt habe – dass meine kuratorischen Projekte im Vergleich zu meinen scharfen kritischen Texten sehr konventionell wären. Das stimmt vielleicht auch. Ich begreife Kuratieren und Schreiben als zwei unterschiedliche Arbeitsmedien. Man kann damit nicht denselben Output erzielen.

Für „Weight of Abundance“, die von Dir kuratierte Ausstellung im Rahmen von „curated by“, hast du auch einen poetischen Text geschrieben, der der Ausstellung einen neuen Titel gab. Wie ist er entstanden?
Dieser Text entstand während des Aufbaus. Das ist eine Vorgehensweise, die ich sehr oft wähle, denn in diesem Zeitraum entstehen mitten in den Galerieräumlichkeiten die Arbeiten der Künstler*innen. Oftmals weiß bis zum Tag vor der Eröffnung keine der Beteiligten – weder Künstler*innen noch Kurator*innen -, was genau und in welcher Form in der Ausstellung zu sehen sein wird. Besonders die Gespräche, die die Künstler*innen und ich während dem Aufbau führen, sind sehr wichtig für mich und erlauben mir einen Einblick in die Produktionsprozesse und Denkweisen zu bekommen. Gleichzeitig werde ich in den Realisierungsprozess der Arbeiten involviert. Das beeinflusst und ändert meinen Blick auf die Werke und manifestiert sich ebenfalls in dem Text, den ich danach schreibe.

Installationsansicht: Weight of Abundance, curated by Àngels Miralda, 13. September – 12. Oktober 2019. Links beginnend: Eli Cortiñas: From An Ethnographical Museum Revisited #18, 2018; From An Ethnographical Museum Revisited #17, 2018; Walls Have Feelings, 2019. Courtesy of the artist and Zeller van Almsick. Photo: Martin Bilinovac © 2019; Nicolás Lamas © 2019.

Siehst Du diesen Text dann als einen künstlerischen oder kuratorischen Beitrag?
Der Text ist nicht als künstlerischen Beitrag zu verstehen, da er sich aus den Arbeiten der Künstler*innen ableitet. Er begleitet die Kunstwerke und bietet kuratorische Unterstützung. Gleichzeitig kommt er von mir selbst und spiegelt meine Meinung und Beziehung zu den Arbeiten wieder. So wird er von Dingen beeinflusst, mit denen ich mich parallel zu den einzelnen Projekten auseinandersetze und beschäftige. Für „Weight of Abundance“ zitiere ich sehr viel aus Jane Bennetts „Vibrant Matter“, einen Text, mit dem ich mich in den letzten Wochen auf einer Residency viel beschäftigt habe. Für mich hat Bennett hat einen philosophischen Anker zu den Arbeiten in den Ausstellungen geschaffen, der jene Dinge einbezieht, über die ich generell gerade viel nachdenke.

In deiner Praxis finden sich viele wiederkehrende Themen: Arbeit, künstlerische Produktionsprozesse, aber auch Landschaft, Ökologie und Geographie. Wie beginnst Du deine Projekte?
Ich beginne oft bei dem Gedanken, dass Kunst eine persönliche Metapher für industrielle und globale Produktion ist. Infolgedessen beschäftige ich mich mit Themen wie Landschaft, Identität oder unterschiedlichen Produktionsformen. Bei „curated by“ ging es aber auch darum, auf das Überthema „circulation“ einzugehen. Jede*r Kurator*in tat dies wahrscheinlich auf eine persönliche Art und Weise. Ich konzipiere eine Ausstellung meistens nicht beim Schreiben, sondern lasse sie häufig aus einer Beschäftigung mit dem Raum heraus entstehen. Bei Zeller van Almsick gibt es drei Räume, in denen jeweils eine Mini-Solo-Show stattfindet. Mir gefiel die Idee der drei kleinen Einzelausstellungen, die sich dann gemeinsam zu einem Narrativ mit unterschiedlichen Perspektiven verweben. 

In dem Text, der im Booklet noch mit dem alten Ausstellungstitel „Overproduced/Overcirculated“  betitelt ist, schreibst Du im ersten Absatz: „the artist’s studio is considered a microcosm of immense global distribution.“ Was meinst du damit?
Dieses Zitat spielt mit der metaphorischen und der wörtlichen Auslegung des Begriffs „Mikrokosmos.“ Obwohl künstlerische Arbeiten im Studio geschaffen werden, beschäftigen sie sich fast immer mit Themen, die außerhalb dieses Raumes liegen. Alle Reflexionen und Aspekte dieser Themen werden in einer Arbeit verdichtet. Künstler*innen und auch Kurator*innen manifestieren und transportieren ihr Nachdenken über eine visuelle Form: Das Persönliche und das Extrapersönliche. Mich interessiert dieses aus dem Inneren kommende und durch ein Objekt kommunizierende.

Installationsansicht: Weight of Abundance, curated by Àngels Miralda, 13. September – 12. Oktober 2019. Links beginnend: Nicolás Lamas: Between the lines I, 2016; Fossil tracks, 2019; Grotto, 2019; Posthuman condition, 2018; Arm, 2016; Courtesy of the artist and Zeller van Almsick. Photo: Martin Bilinovac © 2019; Nicolás Lamas © 2019.

Ebenfalls schreibst Du über die unlimitierte Menge an Bildern, Objekten und Produkten in der Kunstwelt. Wie trittst Du diesem Überfluss in deinen kuratorischen Projekten entgegen?
Den Arbeiten und Arbeitsweisen der Künstler*innen, die ich für die Ausstellung gewählt habe, liegt dieser Aspekt inne – also der Umgang mit dieser großen Menge. Das Absorbieren und Auswählen wird in ihren Arbeiten thematisiert und als ein Resultat dieses gigantischen Überflusses einbezogen. Nicolás Lamas zum Beispiel geht sehr oft auf Flohmärkte. Er durchstöbert und durchforstet die Stände und findet seltsame Dinge, die er dann als Material in seine Objekte einbindet. Eli Cortiñas sichtet Stunden an Footage und erarbeitet dann aus historischem, zeitgenössischem oder persönlichem Bildmaterial Assemblage- und Montagefilme. In Anbetracht all des Überflusses war es mir wichtig, das Gefühl eines uns erdrückenden Gewichts zu erzeugen. Was ist die Antwort auf, die Verantwortung und der Output all dieses von uns generierten Inhaltes? Im Endeffekt geht es in der Ausstellung wirklich um Überproduktion und den Gedanken, dass wir heute so viel produzieren, das immer präsent ist und sein wird.

Siehst Du hier eine Verbindung zu Erinnerung? Mit was für einer Art von Gegenwärtigkeit sind die Besucher*innen in der Ausstellungkonfrontiert?
Die Verbindung zu Erinnerung bezieht sich mehr auf den Prozess des Auswählen. Man konzentriert sich auf Dinge, die einen interessieren, und der Rest wird Aporie, zu etwas, das man nicht sieht. Wie schaffen wir es diesen Prozess zeigen zu lassen, wie viel sich außerhalb des eigenen Fokus’ befindet?

WANN: „Weight of Abundance“  ist noch bis 12. Oktober 2019, immer Mittwoch – Samstag von 12-18 Uhr zu sehen. Am 8. Oktober finden eine Führung und ein Screening statt, Beginn 18 Uhr.
WO: Zeller Van Almsick, Franz-Josefs-Kai 3, 3. Stock, Suite 16, 1010 Wien.

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