Wo es bröckelt, Halt finden
Ein Blick auf die Miart und Mailand Art Week

7. April 2025 • Text von

Nicht nur der internationale Kunstmarkt leidet unter der politischen Schieflage der Welt, sondern auch die Zwischenmenschlichkeit. Statt mit dystopischen Zukunftsszenarien überraschte die Mailänder Kunstwoche, die in die Messe Miart mündete, mit hoffnungsvollen Positionen, die gerade in schwierigen Zeiten die Bedeutung der Gemeinschaft betonen.

4. Miart, portal section, installation views, Milan, Italy, 2025. APALAZZOGALLERY and Galerie Cléme gallerytalk
BlaxTARLINES, APALAZZOGALLERY, installation view at miart 2025, Photo: Martina Bonetti.

Die internationale Kunstszene war zu Gast in Bella Italia: Die Mailänder Ausgabe der Art Week und die 29. Messe für moderne und zeitgenössische Kunst Miart unter dem Motto “among friends” haben das Publikum angelockt. Der Trubel ist vorbei, aber wir blicken zurück. Noch bevor ich am Donnerstag, dem ersten Messetag für exklusive Gäste und Presse, das Messegelände betrete, wirft mir ein wütender Wohnungsloser ein Stück trockenes Brot zu und verfehlt mich nur knapp. Er flucht auf Italienisch. Eine unwirkliche Szene inmitten einer Menge von Kunstsammler*innen, Journalist*innen und Kunstschaffenden – ein nicht unerheblicher Teil davon vermutlich recht wohlhabend. Für einen Moment wirkte es wie eine Performance, die sich schnell als bittere Realität entpuppte. Arm und Reich existieren nebeneinander, Krisen und Kriege finden statt, während wir uns in Mailand versammeln und zwischen den Kunstwerken kleine Häppchen essen. Die Realitäten sind vielfältig und ambivalent.

Über die zahlreichen Ausstellungen der Mailänder Kunstwoche und die künstlerischen Positionen auf der Miart, organisiert von Fiera Milano unter der Leitung von Nicola Ricciardi, lassen sich viele Geschichten erzählen. Inmitten des Kunstwahnsinns und der langen Tage fiel jedoch immer wieder eines auf: Viele Kunstwerke setzen sich mit den unterschiedlichen Lebensrealitäten auseinander, die derzeit vielerorts beschwerlich sind. Und doch finden sie ihren Ausdruck nicht in Düsternis, Pessimismus und Lethargie, sondern betonen die Bedeutung von Gemeinschaft. Das lässt Hoffnung aufkeimen.

APALAZZOGALLERY James Barnor Felicia Abbon miArt gallerytalk
James Barnor, Self-portrait with a store assistant at the West African Drug Company, central Accra, 1952. // Felicia Abban (1936-2024), self portrait (20), 1960s, Mrs. Felicia Abban Photos, courtesy of Abban estate.

Das 2003 gegründete Kollektiv blaxTARLINES, das aus ghanaischen Künstler*innen, Lehrer*innen, Autor*innen und Kurator*innen besteht, prägt den Kunstdiskurs in Ghana und weit darüber hinaus maßgeblich und basiert auf einem Gemeinschafts- und Netzwerkgedanken. Das Kollektiv hat seinen Sitz an der Kwame Nkrumah University of Science and Technology in Kumasi und arbeitet international. Es fungiert als flexible Ausstellungsplattform und Unterstützungsnetzwerk ohne Hierarchien, in dem Mitglieder jederzeit kommen und gehen können. Durch die Kunst andere Wege des Ausdrucks und der Kommunikation zu finden, ist das übergeordnete Ziel, ihr Bestreben. Auf der MiArt präsentierte die Galerie Apalazzo aus Brescia in der Portal Sektion eine Auswahl von Künstler*innen des Kollektivs.

Die Auswahl zeigt, wie generationenübergreifend und multimedial ihr kreatives Schaffen ist: Die kürzlich verstorbene Felicia Abban, Ghanas erste professionelle Fotografin, arbeitete in den 1960er-Jahren für Präsident Kwame Nkrumah, während junge Künstlerinnen wie Maame Adwoa Ohemeng mit skulpturalen, surrealen Gemälden aus Öl, Acryl und Gips spielerisch Alltagsszenen kombinieren. James Barnor, der einst in den 1960er-Jahren Muhammad Ali fotografierte, wird neben Samuel Baah Kortey gezeigt, der sich mit Afro-italienischen Lebensrealitäten in Florenz befasste und Collagen aus weggeworfenen Anatomie-Zeichnungen mit persönlichen Studien von Haaren und Frisuren erweitert. Alle Werke sind individuelle Kunstwerke mit einzigartigen Form- und Bildsprachen, die jedoch durch einen kollektiven Gedanken miteinander verbunden sind – Abban und Barnor gelten dabei als Wegbereiter*innen für die jüngeren Generationen.

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Saša Tkačenko, Marko Obradović, miart 2025, installation view at miart 2025, photo: Sarah Indriolo.

Von Ghana geht es weiter nach Serbien, wo derzeit landesweite Proteste von Studierenden gegen die Regierung von Präsident Aleksandar Vučić stattfinden – die größte Studentenbewegung in Europa seit 1968. Hunderttausende Menschen fordern mehr Transparenz, die Bekämpfung der Korruption und die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit. Trotz ständiger Delegitimierung und Gewaltausübung durch die Regierung setzen sie ihren Kampf auf der Straße fort und finden Zusammenhalt in der Rebellion.

Die Arbeiten der Galerie Eugster Belgrade in der Emergent Sektion reflektieren dieses Miteinander und die aktuellen sozialen Strukturen des Landes. Kollektive Erinnerungen, Nostalgie und persönliche Empfindungen kommen in den Arbeiten von Saša Tkačenko zum Ausdruck. Auf einem weiß-goldenen Plastiktisch, einem symbolischen Ort der Zusammenkunft, steht geschrieben “Honey I cried too”. Das Ganze wird von einem aus Beton gegossenen Tiger aufmerksam beobachtet. In zartem Kontrast dazu stehen die Gemälde von Marko Obradović, die sich mit kollektiven Zeugnissen und gemeinsamen Bildern und deren Abhängigkeit von Einflüssen verschiedener Kulturen beschäftigen. Schmuckstücke und Talismane laden zur Auseinandersetzung mit Mythologien, Symbolik und Glaubenssystemen ein. Im Dialog gehen beide Positionen Fragen nach Macht, Netzwerken, Hierarchien und deren Ursprüngen nach.

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Shirin Neshat, RAPTURE, 1999, 12‘33‘‘, Courtesy of the artist, Gladstone Gallery, New York, Brussels, Seoul and Noirmontartproduction, Paris.

Das Padiglione d’Arte Contemporanea (PAC) zeigt im Rahmen der Milano Art Week die Ausstellung “Body of Evidence” der iranischen Künstlerin Shirin Neshat, einer international anerkannten Größe der Kunstwelt. Bekannt für ihre Auseinandersetzung mit Identität, Geschlechterrollen und politischer Unterdrückung, nutzt Neshat symbolträchtige Elemente wie Schrift, Körper und Architektur, um die Zerrissenheit und den Widerstand in autoritären Gesellschaften zu thematisieren. Ihre Porträts und Videoinstallationen reflektieren die Dualität von Individualität, das Zusammenspiel innerer und äußerer Welten sowie den universellen Gedanken, der Verletzlichkeit, Schmerz, Stärke und Hoffnung miteinander verbindet.

Mazzoleni miart 2025. Credits Studio Abbruzzese. Courtesy Mazzoleni, London   Torino gallerytalk
Mazzoleni miart 2025. Credits Studio Abbruzzese. Courtesy Mazzoleni, London – Torino.

Wenn wir über Gemeinschaft und das Leben in Communities und Safe Spaces sprechen, besonders mit Blick auf marginalisierte Gruppen, kommen wir an einer Fotografin selbstverständlich nicht vorbei: Nan Goldin. Repräsentiert von der Galleria Giampaolo Abbondio, finden ihre intimen und schonungslos ehrlichen Momentaufnahmen von queeren und sich liebenden Menschen und von Drag Queens, auch in Mailand einen prominenten Platz. Goldins Werke waren nicht nur auf der Miart zu sehen, sondern auch im Palazzo Reale neben dem Duomo. Ab Oktober zeigt auch das Ausstellungshaus Pirelli HangarBicocca ihre Wanderausstellung “This Will Not End Well”, die gerade in Berlin ihren Abschluss gefunden hat. Sie porträtiert alternative Familienmodelle mit Wertschätzung, Liebe und Menschlichkeit, ohne die dunklen Seiten der Realität auszublenden.

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Bob and Roberta Smith, Art is your human right, 2024, vernice su tela, 60 x 70 cm, Courtesy l’artista e MAAB Gallery, Milano.

Marinella Senatore präsentierte mit “Who are you?” Konzepte von Identität und kollektivem Empowerment bei Mazzoleni, die Mailänder Galerie MAAB mit Bob und Roberta Smith – zugegeben – recht plakative, typografische Botschaften, die aber ebenfalls die Gemeinschaft, das Miteinander, betonen. Es zieht sich wie ein roter Faden durch die Stadt. Das sind nur einige Beispiele der Mailänder Kunstwoche, die inmitten der Schwere der Gegenwart irgendwie Hoffnung spenden. Trotz der unterschiedlichen Realitäten und Medien, die hier aufeinandertreffen, gibt es eine klare Gemeinsamkeit in den Positionen: Veränderung gelingt nur zusammen. Wir brauchen das Miteinander und das bestärkende Gefühl, dazuzugehören, um etwas zu bewirken. Das auf so vielfältige Weise international vor Augen geführt zu bekommen, hat etwas Motivierendes, das ich mit nach Hause nehme.

WANN: Die Mailänder Art Week fand vom 1. bis 6. April statt, die Miart vom 4. bis 6. April. Viele der Ausstellungen der Art Week laufen noch über die Kunstwoche hinaus.
WO:
Die Art Week fand an verschiedenen Orten in Mailand und die Miart im Allianz MiCo statt.

Vielen Dank an die Miart, organisiert durch Fiera Milano, für die Presse-Einladung nach Mailand und die Übernahme der Reisekosten.