Memes in Marmor
Michelangelo und Facebook bei Mazzoli

3. April 2021 • Text von

Michelangelo und Facebook-Memes. Was wie ein versuchtes Mit-dem-Trend-Gehen eines Museums klingt, ist Lukas Lieses smarte Auseinandersetzung mit digitaler Schnelllebigkeit und analoger Beständigkeit. In “Whose Street” findet sich Michelangelo im Plattenbau wieder und gibt seinen geliebten Marmor für Memes her.

Marmor-Straßenschilder von Lukas Liese.
Lukas Liese, Michelangelostraße Ed.3, 2021, Carrara-Marmor, 22 x 95 x 8 cm. // Michelangelostraße Non Finito, 2021, Carrara-Marmor, 24 x 89 x 10 cm. Foto: Andreas Baudisch.

„WTF are you people doing down there?! I know it was months ago but I still don’t like how y’all acted over toiletpaper“. Worte von Cousine Maria. Oder besser gesagt: Zitate ihrer Facebook-Memes. „Cousin Maria“ von Lukas Liese, Künstler der Einzelausstellung „Whose Street“ in der Galerie Mazzoli Berlin, ist ein 160 x 160 cm großes Quadrat aus Marmor. Auf die einzelnen Marmorplatten sind teilweise inhaltlich zusammenhanglose und sich widersprechende Memes geätzt.

Facebook-Memes auf Marmor von Lukas Liese.
Lukas Liese, Cousin Maria, 2020, Edding auf Laaser Marmor, 160 x 160 x 2,5 cm. Foto: Andreas Baudisch.

Was aussieht wie ein chaotischer Kurationsjob, ist ein Bild, dass sich genauso vor Lieses Augen befand. Vor Jahren stieß er auf den Facebook Account seiner Cousine Maria und wurde mit einer Flut von Memes überschüttet. „Cousin Maria“ ist nämlich nicht nur Marmorplatte, sondern auch realer Mensch.

Maria ist aus den USA. Ihr ist Familie wichtig. Genauso wichtig sind ihr die Bibel, Occupy Wall Street und Trump. Liese hat keinen wirklichen Kontakt zu ihr. Er folgt ihr aber auf Facebook und wurde Zeuge einer diffusen Entwicklung vom harmlosen „Keep Calm and Grow Organic“ zu „Keep Calm and Vote Trump“. Marias Facebook ist noch heute ein fragwürdiges Sammelsurium aus rechtsnationalistischen Parolen und naiven Lebensweisheiten. „Cousin Maria“ konfrontiert mit der Frage: Wie geht man damit um, wenn Familie, Freund*innen, Bekannte plötzlich zu Trumpanhänger*innen werden oder Corona leugnen? Denn laut Maria müssen wir übrigens auch aufpassen, dass die Maske nicht zum Maulkorb wird.

Marmorskulpturen von Lukas Liese in der Galerie Mazzoli.
„Whose Street“, Installationsansicht. Foto: Andreas Baudisch.

Liese überträgt digitale Phänomene in einen analogen Raum und verewigt sie auf dem fast schon ursprünglichen Speichermedium Marmor. Alle Werke der Ausstellung „Whose Street“ in der Eberswalderstraße bestehen aus Marmor. Liese arbeitet in seiner künstlerischen Praxis vorwiegend mit dem Material. Ein weiteres ursprüngliches Phänomen der Kunst, dem sich der Künstler in „Whose Street“ widmet, ist Michelangelo. Auch für Michelangelo war Marmor ein zentrales Material in seinem künstlerischen Schaffen. Er verschaffte dem Carrara-Marmor aus der norditalienischen Stadt Carrara an Popularität. Auf den carrarischen Wegen, die schon Michelangelo bewanderte, um an Marmor zu gelangen, lief auch Liese letztes Jahr entlang. Während seiner Residency in Carrara in 2020 vertiefte er seine Arbeit mit dem Material Marmor und beschäftigte sich intensiv mit dem Universalgenie Michelangelo.

Marmor-Straßenschild von Lukas Liese.
Lukas Liese, Michelangelostraße Non Finito, 2021, Carrara-Marmor, 24 x 89 x 10 cm. Foto: Andreas Baudisch.

Zufälligerweise – oder vielleicht auch nicht ganz so zufällig – befindet sich Lieses Studio in der Michelangelostraße in Berlin. Daher auch die zwei Michelangelo-Straßenschilder am Anfang der Ausstellung. Einmal in perfekt maschineller Ausführung und ein zweites Mal im brüchigen, fragmentarischem „Non Finito“-Stil. „Non Finito“ verweist auf nicht fertiggestellte Kunstwerke, von denen es auch eine Vielzahl von Michelangelo gibt.

Die Berliner Michelangelostraße verläuft durch ein Plattenbauviertel im ehemaligen Ostberlin, an das Lieses Studio grenzt. Michelangelo im Plattenbau? Ästhetisch deplatziert? Nein! Warum sollte Michelangelo den Villen in Grunewald vorbehalten sein? Ein marmornes Modell des Viertels befindet sich im letzten Raum der Ausstellung.

Die Serie „On Route“ besteht aus fünf verschiedenen Marmorplatten, die die Form eines Handys haben. Sie zeigen eine abstrahierte Google Maps Ansicht der Wege, auf denen Liese während seiner Zeit in Carrara gewandert ist. Auch hier transformiert der Künstler Digitales in Analoges. So wie in der Edition „Like für Dich“, die entweder ein Like oder Dislike darstellt.

Marmorplatten mit Like-Zeichen von Lukas Liese.
Lukas Liese, Like für Dich Ed. 100, 2021, Laaser Marmor, 10 x 10 x 1 cm. Foto: Andreas Baudisch

Gegenüber von „Like für Dich“ und „Cousin Maria“ befindet sich das Werk „Options“. Eine Marmorplatte mit drei Kreisen in rot, gelb und grün, die mit Edding aufgemalt sind. Was ohne die Gegenüberstellung mit „Cousin Maria“ an die Corona-Ampel oder auch einfach eine Verkehrsampel erinnert, wird im Kontext Maria zu einer Wahlscheibe mit drei Möglichkeiten. Die drei Kreise können nämlich ebenso gut eine Mikroperspektive des Browserfensters darstellen und auf die Optionen: Fenster schließen, in die Zwischenablage legen oder in den Vollbildmodus gehen, verweisen. Rückzug (rot), passives Zuschauen (gelb) oder aktives Handeln (grün). Die Interpretation unterliegt letztlich den Betrachtenden.

Like-Marmorplatten und Ampel-Marmor von Lukas Liese.
„Whose Street“, Installationsansicht. Foto: Andreas Baudisch.

Genauso bleibt es auch bei jeder Person selbst vorbehalten, wie er*sie mit Nahestehenden umgeht, die zweifelhafte politische Meinungen entwickeln. Vielleicht muss dieser Umgang ja gar nicht klar entschieden und festgefahren sein. Er kann auch schwanken: zwischen mal aktiver Debatte, mal simplen Beobachten und mal temporärem Schließen des Browserfensters. Lieses Ausstellung verbindet die immer stärker einnehmende Schnelllebigkeit der Meinungsbildungsmaschine Internet mit der Beständigkeit und Ruhe von Marmor. Täglich Bilder und Memes auf Facebook, Instagram & Co liken oder disliken kann echt anstrengend werden. Da ist der Wechsel vom flackernden Handyscreen zum ruhigen Marmor fast schon therapeutisch.

WANN: Die Ausstellung „Whose Street“ läuft noch bis Samstag, den 17. April.
WO: Galerie Mazzoli, Eberswalderstraße 30, 10437 Berlin

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