Mehr als binär "Paradise Lost #gender shift" im DG Kunstraum
26. Mai 2021 • Text von Quirin Brunnmeier
Körper-Bilder. Unter dem Titel “Paradise Lost #gender shift” zeigt der DG Kunstraum in Kooperation mit der PLATFORM und der Galerie der Künstler zeitgenössische Fotografie zu den vielschichtigen Themenkomplexen Gender, Sexualität und Identität.
Dicht gedrängt hängen die Fotografien in den hohen Räumen des DG Kunstraum. Große Formate sind neben kleineren positioniert, Einzelbilder neben kleinen Serien. Durch die Salonhängung entsteht ein intensives visuelles Tableau, in dessen Zentrum der menschliche Körper steht. Fragil und stark, weich und hart, ästhetisiert oder roh. Die Ausstellung “Paradise Lost #gender shift” versucht, sich über das Medium Fotografie den komplexen Themenfeldern von Körperlichkeit, Sexualität und Identität zu nähern. Die ausgewählten Arbeiten setzen dabei unterschiedliche Schwerpunkte und nehmen unterschiedliche Perspektiven ein, gemein ist ihnen eine gewisse forschende Ambivalenz. Rollenbilder werden hinterfragt und moralische Vorgaben auf den Prüfstand gestellt.
Auch wenn Judith Butler schon 1990 in ihrem Buch „Das Unbehagen der Geschlechter“ klar zwischen “Sex” und “Gender” differenzierte und der Feminismus seit Langem die gesellschaftlichen Konventionen in Bezug zum Geschlecht anprangert, bleiben Fragen der sexuellen Selbstbestimmtheit hochaktuell. Eine Gesetzesvorlage, die die Situation von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen in Deutschland verbessern wollte, wurde erst in diesem Frühling vom Bundestag klar abgelehnt. So bleiben höchstpersönliche Entscheidungen bezüglich der eigenen Persönlichkeit weiterhin von Gesetzen blockiert. Denn hinter Hashtags wie #gendershift und Abkürzungen wie LSBTI stehen immer persönliche Entwicklungen, individuelle Erfahrungen und Entscheidungen.
Zwischen diesen persönlichen Blickwinkeln und Perspektiven schlägt die Ausstellung “Paradise Lost #gender shift” gekonnt visuelle Verbindungen. Die Arbeit „Wir wollen keine Gleichberechtigung, wir wollen Rache“ von Sophia Süßmilch zeigt zwei mit Laserschwertern bewaffnete Amazonen, die feministische Diskurse nicht mehr führen zu wollen scheinen, da sie das Heft der Handlung einfach selbst in die Hand nehmen. Benyamin Reich dokumentiert in seiner Serie ‘Friday Water’ gelebte Ambivalenz. Die nackten jungen Männer, die auf den Bildern zu sehen sind, suchen beim rituellen Bad in der kargen israelischen Landschaft nicht nur die seelische Reinheit, sondern auch das körperliche Abenteuer miteinander. Harry Hachmeister wiederum inszeniert sich und seinen Körper in der Arbeit “Arkadischer Jünglingsakt (nach Goethe)” selbst-bewusst. Der Transmann liegt nackt auf einer Travertin-Bank, unter ihm die italienische Landschaft. Obwohl wir nur seinen Rücken erkennen können, scheint der Künstler in die Ferne zu sehen, der Zukunft entgegen.
Das Projekt “Paradise Lost #gender shift” ist in Kooperation mit der Galerie der Künstler und der PLATFORM entstanden. In der Galerie der Künstler werden Videoarbeiten zum Thema präsentiert und es finden Performances statt. Die PLATFORM bietet als Satellit einen Einblick in einzelne Teilbereiche des Gender-Diskurses, dort werden Begleitveranstaltungen angeboten. Im Fokus sollen die Komplexität und Vielstimmigkeit der Thematik stehen. Falls es die pandemischen Bedingungen erlauben, soll ein Symposium die Frage erörtern: “Was können die Künste zum Gender-Diskurs beitragen?”
WANN: Noch bis 18. Juli 2021 zu sehen.
WO: DG Kunstraum, Finkenstraße 4, 80333 München.