Matratzen Testsieger*in
Charlotte Thrane bei Parisa Kind

18. Januar 2023 • Text von

Eine Matratze, aber nicht zum Schlafen. Klamotten, aber nicht zum Anziehen. Die dänische Künstlerin Charlotte Thrane zeigt in der Ausstellung „In A Pale Place“ bei Parisa Kind in Frankfurt weiche Skulpturen. Sie recyceltet und arrangiert Stoffe und entwickelt durchlebte Ready-Mades.

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In A Pale Place, Charlotte Thrane, Installationsansicht bei Galerie Parisa Kind, Frankfurt am Main. Fotos: Günzel Rademacher, Courtesy of the artist and Galerie Parisa Kind.

Wer kennt es nicht, die Suche nach der perfekten Matratze? Federkern, Kaltschaum oder Latexmatratze? Das Labyrinth der Möglichkeiten endet oft in einer der tausend Matratzen-Filialen, die den Traum vom guten Schlaf in jeder noch so kleinen Provinz in Deutschland versprechen. Dem Nachrichtenportal Business Insider zufolge gibt es mehr Matratzen-Concorde- als Burger-King-Filialen.  

Es ist ein schöner Zufall, dass die Frankfurter Galerie Parisa Kind gegenüber dem Headquarter eines Matratzen-Start-ups liegt. Hier ist die Matratze Neuware, unberührt und weiß. Ihr wohnt der Zauber des Anfangs inne. Geworben wird mit dem Slogan „Jeden Morgen Dein Bestes Ich“. Ein großes Versprechen.  

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In A Pale Place von Charlotte Thrane, Installationsansicht Paris Kind, Frankfurt am Main, Fotos: Günzel Rademacher, Courtesy of the artist and Galerie Parisa Kind

In der Ausstellung „In A Pale Place“ von Charlotte Thrane bei Parisa Kind findet sich genau das Gegenteil von Neuware wieder: weggeworfene Matratzen mit Kuhlen und Spuren von Körpern, alte Klamotten, getragene Schuhe oder eine benutze Federbettdecke. „Der Schmutz, die Flecken und der Geruch sind ein wesentlicher Bestandteil des Materials und damit der Arbeit“, so Thrane im Gespräch mit gallerytalk.net. Doch manchmal behandelt sie die Materialien mit Pigmenten nach.  

„Don’t Touch“ ist das heilige Mantra fast aller Kunstwerke dieser Welt. Es ist in die Arbeiten und in die Institutionen eingeschrieben. Bloß nichts anfassen. Doch die Gegenstände bei Parisa Kind sind so vertraut, dass man die Ausstellung spürt, obwohl man sie nicht anfasst. Die Materialien und Gegenstände sind so alltäglich, dass Thrane es schafft, das sensorische Verbot zu überwinden. Der Körper fühlt die Skulpturen, obwohl sie nicht angefasst werden. Man tastet innerlich über vertraute Oberfläche und Strukturen, ohne die Hand heimlich auszustrecken und die Kunstwerke tatsächlich anzufassen, denn es wäre vermutlich keine haptische Überraschung.  

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In A Pale Place, Charlotte Thrane, Installationsansicht bei Galerie Parisa Kind, Frankfurt am Main. Fotos: Günzel Rademacher, Courtesy of the artist and Galerie Parisa Kind.

In einem Gespräch mit der Künstlerin erzählt sie, dass Ihre Arbeiten „in erster Linie skulptural sind und sie oft in Reaktion auf einen bestimmten Raum entstehen.“ Die Arbeiten beziehen sich auf Körper und persönliche Erfahrungen, sie sind „Verhandlung zwischen dem Raum, den skulpturalen Elementen und dem Körper des Betrachters“. Der Körper und die taktilen Erfahrungen stehen im Mittelpunkt der Kunst von Thrane. Persönliche Erfahrungen verweben sich mit abstrakten Skulpturen und beides greift unaufgeregt ineinander, ohne dass man sich dessen direkt bewusstwird. 

Die Skulptur „Store Krop / Big Body“ (2022) besteht aus alten Matratzen, die sich in eine Wandnische der Galerie quetschen. Die weiche Skulptur könnte gleich aus allen Nähten platzen. Wer vor dieser Skulptur steht, kann – mit oder ohne Kunstwissen – einen Zugang zu dieser Arbeit finden. Ob die Matratze symbolisch fürs Schlafen steht oder als Symbol fürs Bett oder fürs eigene Zuhause, das bleibt jedem selbst überlassen. Eine Matratze ist ein Archiv des Körpers: Schlafen, Sex, Sprechen, Kuscheln, Streiten, Krankheit, Leben, Tod, alles findet auf diesen zwei Quadratmetern Material statt. Eine Matratze: der Stoff, aus dem die Träume sind.

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In A Pale Place, Charlotte Thrane, Installationsansicht bei Galerie Parisa Kind, Frankfurt am Main. Fotos: Günzel Rademacher, Courtesy of the artist and Galerie Parisa Kind.

Laut Techniker Krankenkasse verbringt der Mensch ein Drittel seiner Lebenszeit mit Schlafen. Kein Wunder also, dass unsere Matratzen Spuren unsere Körper enthalten. Eine Kuhle hier, ein Fleck da und Erinnerungen überall. Aber nicht nur das Bett ist geprägt von unserem Körper, sondern auch unsere Klamotten. Sie enthalten ebenso unsere Spuren und sind Zeugnisse von Leben. Sogar der Titel der Skulptur „Vi er fossiler / We are fossils“ (2022) verweist mit dem Terminus “Fossil” auf Spuren der Vergangenheit. Ein Fossil ist ein „Abdruck oder Versteinerung eines ausgestorbenen Lebewesens“. Obgleich unsere Spezies nicht ausgestorben ist, so hinterlassen wir doch Abdrücke unseres Lebens.  

Thranes Kunstwerke sind durchlebte Ready-Mades. Nicht die unberührte Ware aus der Produktion ist Kunst für sie, sondern erst der Prozess des Durchlebens von Gegenständen erhebt sie zum Material, das für die Künstlerin von Interesse ist und dass es für sie anzuordnen gilt. Hier sind unsichtbare Geschichten und Menschen in die Materialien eingeschrieben und somit liegt zur Abwechslung mal dem Ende eines Produktzyklus ein Zauber inne.  

WANN: Die Ausstellung „In A Pale Place“ von Charlotte Thrane läuft bis zum 25. Februar.
WO: Galerie Parisa Kind, Gutleutstraße 96, 60329 Frankfurt am Main.

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