Wie Pflanzen Politik betreiben
Otobong Nkanga’s Welt

29. August 2020 • Text von

Die Komplexität unserer Welt liegt nicht nur in den zwischenmenschlichen, sozialen und politischen Beziehungen, sondern ebenso in unserer Beziehung zur natürlichen Umwelt. Otobong Nkanga’s Ausstellung “There’s No Such Thing as Solid Ground” im Gropius Bau spricht von Mensch, Natur und den Zusammenhängen zwischen diesen. Ihre Raumarbeiten eröffnen sensible Welten und weltliches Denken. (Text: Chantal Schlacher)

Weißer Raum mit zwei Fenstern und einem Becken aus weißen Steinen.

Otobong Nkanga, Taste of a Stone, 2020, Installationsansicht Otobong Nkanga: There’s No Such Thing as Solid Ground, Gropius Bau, Berlin, 2020 © Otobong Nkanga, Foto: Luca Giradini

Der erste Raum der Ausstellung im zweiten Stockwerk ist hoch und nach dem Prinzip des White Cube gänzlich weiß. Ungewöhnlich ist jedoch, dass auch das Kunstwerk im Raum vorwiegend weiß ist und man erstmals geblendet ist. Zugleich springt die Raumaufsicht auf und bewegt sich Richtung der weißen Steine am Boden. Sie wirken zunächst zu sauber um mit den Straßenschuhen betreten zu werden. Im Nebenraum tropft unablässig ein gläserner Wassertank, in manchem Räumen ist kaum Licht und in anderen wiederum sind unerklärliche Zeichnungen am Boden und eine tickende Uhr an der Wand. Was passiert hier und wie sind all diese Begebenheiten inhaltlich miteinander verbunden? 

Blick in einen weißen Raum, in dem ein Feld weißer Steine liegen.

Otobong Nkanga, Taste of a Stone, 2020, Installationsansicht Otobong Nkanga: There’s No Such Thing as Solid Ground, Gropius Bau, Berlin, 2020 © Otobong Nkanga, Foto: Luca Giradini.

Nkanaga’s Oeuvre ist durch ihr Forschungsinteresse geprägt, ihre Werke sind das Ergebnis von weitreichender Recherche. Die Künstlerin fragt dabei vielmals nach der Verwobenheit menschlichen Lebens und der Natur und verweist auf die Zusammenhänge, die zwischen diesen bestehen. In “Taste of A Stone” kreiert sie eine betretbare Raumarbeit für menschliche Begegnung. Der performative Moment des Kunstwerks, der durch das Betreten der Steine entsteht, regt zum Nachdenken während des Gehens ein. “Taste of A Stone” setzt sich mit der Rolle von Steinen und Land im menschlichen Leben auseinander. Steine dienen als Reservoir für unsere Geschichte, denn die Erde, die uns als Lebensuntergrund dient, bestimmt unseren Alltag. Zwischen den nahezu unnatürlich weißen Steinen wachsen wurzellose Pflanzen, die ihre für das Leben notwendigen Nährstoffe ausschließlich aus der Luft beziehen. Gleichzeitig deuten diese Pflanzen über sich hinaus, denn im selben Rahmen ließe sich die Frage der Wurzellosigkeit auch auf den Menschen übertragen. Auch der Mensch hat seine Wurzeln. National, religiös, ethnisch, kulturell. Wo liegen unsere einzelne oder gar viele Wurzeln? Die Arbeit kann als Verweis auf die forcierte Vertreibung der Menschen im 20. Jahrhundert gelesen werden. Das Grundrecht von Zugehörigkeit ist in der heutigen Welt ein hohes Gut, nicht jeder ist dort wo er gerne sein möchte. Die Wurzellosigkeit der Pflanzen erscheint hier als Stärke: wer gezwungen ist entwurzelt zu leben, muss auf seine Anpassungsfähigkeit und den flexiblen Lebenswandel vertrauen. Doch inwiefern ist dieses Prinzip auf den Menschen übertragbar? Sind die komplexen Welten in denen wir heute leben, tatsächlich durch Anpassungswillen auch gleichzeitig zugänglich?

Zwei dunkelhäutige Frauen, die Blumentöpfe auf ihren Köpfen tragen.

Otobong Nkanga, Diaspore, 2020, Otobong Nkanga: There’s No Such Thing as Solid Ground, Gropius Bau, Berlin, 2020 © Otobong Nkanga, Foto: Luca Giradini.

An das Thema der Migration und Entwurzelung wird auch in der Arbeit “Diaspore” angeschlossen. Der Brückenschlag von Natur zum Menschen wird auch in diesem Fall durch die Ansiedelung von Pflanzen verdeutlicht. Auf dem Boden des Raumes befindet sich eine undefinierbare Landkarte, sie könnte keinem und jedem Land zugeschrieben werden. Performerinnen schreiten mit einer Topfpflanze, der Königin der Nacht (Cestrum nocturnum), auf dem Kopf über die unklaren Grenzen der fiktiven Karte. Die ursprünglich in Indien angesiedelte, heute über den Globus verteilte Pflanze, bringt damit die Vernetzung unserer Gegenwart zum Ausdruck. In “Diaspore” werden Körper und Ressourcen inszeniert, die von ihrem Ursprungsort verdrängt und entwurzelt wurden. Der Titel ist dabei ebenso Anspielung auf das Wort Diaspora, das forcierte Leben nationaler oder ethnischer Gemeinschaften fernab der Heimat, sowie den botanischen Begriff “Diaspore”. Dieser meint Früchte und Sporen, die der Verbreitung dienen. Nkanga bezieht sich durch diese Doppeldeutigkeit des Begriffs auf die historische Migration von Menschen und Pflanzen. Sie legt nahe, welche Verbindungen zwischen diesen bestehen und verweist auf die Schwere der menschlichen Migration, welche sich in der anstrengenden Tätigkeit der Performerinnen, stundenlang einen Topf zu tragen, widerspiegelt.

Vier Frauen, die handwerklich tätig sind.

Otobong Nkanga, Carved to Flow, 2017, Öffentliche Programmsitzungen, The Workstation, 2017 (in Zusammenarbeit mit Evi Lachana und Maya Tounta), documenta 14, Athen © Otobong Nkanga, Foto: Wim van Dongen

Im Erdgeschoss befindet sich “Carved to Flow: Germination”, die Fortführung einer bereits bei der documenta 14 in Kassel begonnen Arbeit. Der als Labor fungierende Raum ist die dritte Stufe der fortlaufenden Arbeit, die sich insbesondere der Wissensvermittlung und dem Ideenaustausch zu lokalen Ökologien widmet. An den Wänden befinden sich Tafeln, auf welchen “What is Earth?” geschrieben steht. Der Raum ist voller Sandsäcke und Utensilien, ein Arbeitsraum, in dem gedacht und Wissen geteilt wird. Was ist die Erde und wer sind wir, sind die leitenden Sätze dieser Ausstellung. Der Raum steht somit im Sinne der Weitergabe von Wissen durch das Vermitteln von Inhalten in den Workshops und durch Gespräche. Dadurch ist er ein Gegenargument zu den liberalen Ökonomien von Ausbeutung, er bietet Strukturen des Austausches statt Mechanismen der wirtschaftlichen Unterdrückung.

Grüne Pflanze und Bild auf weißen Steinen.

Otobong Nkanga, Taste of a Stone (Detail), 2020, Installationsansicht Otobong Nkanga: There’s No Such Thing as Solid Ground, Gropius Bau, Berlin, 2020 © Otobong Nkanga, Foto: Luca Giradini.

“There’s No Such Thing as Solid Ground” ist vielschichtig und dabei subtil, die Räume wirken wie atmosphärische Welten und sind doch vorrangig politisch. Nkanga’s Schaffen verhandelt immer wieder neu welche Beziehungen zwischen der natürlichen und menschlichen Sphäre bestehen. Sie verweist auf Mittel der Reparatur und Fürsorge für gesellschaftliche Heilung und fordert mit den Inhalten der Arbeiten unsere Gemeinschaft(en) neu zu denken, in einem lokalen sowie globalen Kontext.

WANN: Die Ausstellung „There’s No Such Thing as Solid Ground“ ist noch bis zum 13. Dezember zu besichtigen.
WO: Gropius Bau, Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin.

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