Eins gegen Eins Marina Xenofontos im Kunstverein Hamburg
22. Juli 2024 • Text von Katrin Krumm
Eine Armee aus dunklen Holzschränken steht streng aufgereiht an den Wänden des Kunstvereins in Hamburg. Ihnen entgegen tritt die kleine Figur einer Ameise, die um ihr Leben zu kämpfen scheint. Marina Xenofontos’ Ausstellung “View From Somewhere Near” zeigt das Eindringen politischer Gewalt bis in den intimsten Raum.
In einem Film im Eingangsbereich des Kunstvereins in Hamburg wird die Kamera auf eine Ameise gerichtet. Ihre winzigen, feinen Gliedmaßen erstrecken sich zuckend in alle Richtungen. Es ist schwierig zu sagen, ob sie Hilfe benötigt. Wenn dem so wäre, wäre es der filmenden Person egal. Etwa dreißig Sekunden hält die Kamera auf das Insekt, dann loopt sich die Aufnahme und ihr Kampf beginnt von Neuem.
Die Videoarbeit ist Teil einer metallenen Installation von Marina Xenofontos. Es handelt sich um einen Film, der projiziert wird, jedoch selbst bereits die Aufnahme einer vorherigen Projektion ist. Dies macht es schwierig, das Insekt als solches zu erkennen. Teilweise ist die Aufnahme so verschwommen, dass man die Figur nur durch Zusammenkneifen der Augen erkennen kann. Die Schwere und Strenge der Installation steht im Kontrast zu dem filigranen Lebewesen der Videoarbeit.
Xenofontos denkt in Dualismen. Dies scheint sie direkt mit dem Titel ihrer Ausstellung klarzustellen. In “View From Somewhere Near” steckt ein zweischneidiges Schwert: die Ambivalenz, sich gleichzeitig in einer Position zu sehen, von der aus man aber auch beobachtet. Zudem beschreibt der Ausstellungstitel einen subjektiven Zugang, der sich jedoch auf etwas Größeres bezieht – etwas, das den Betrachtenden noch nicht erschlossen ist.
Was bedeutet dieses “Nahe”, von dem Xenofontos spricht? Geboren und aufgewachsen in Zypern ist die Künstlerin in einer Umgebung groß geworden, die grundlegend geteilt war. Geteilt ist die Insel nach wie vor, obwohl mittlerweile zwischen den griechisch-zypriotisch und türkisch-zypriotisch beherrschten Gebieten wirtschaftlicher Austausch besteht. Als britische Kolonie wurde Zypern erst im Jahr 1960 unabhängig. Spuren der britischen Herrschaft lassen sich sowohl im Straßenbild als auch in den täglichen Sehgewohnheiten finden.
An den Wänden des Kunstvereins in Hamburg erstreckt sich eine Reihe tiefer Schränke, deren dunkles Holz sich schwer vom dämmrigen Licht abhebt. Die Arbeit „Code of Construction“ wurde speziell für die Ausstellung in Zypern geschreinert. Die Ästhetik der Schränke auf der Insel geläufig: Solche Schrankwände finden sich dort in vielen Schlafzimmern. Es sind Überbleibsel der britischen Herrschaft und deren ästhetischem Erbe.
Die Platzierung der Schränke im Kunstverein suggeriert die Existenz einer Häuslichkeit, die sich jedoch vor der reduzierten Architektur des Ausstellungsraums nicht durchsetzen kann. Als Fremdkörper ihrer Umgebung bleibt ihnen somit nichts anderes übrig, als auf sich selbst und die eigene Geschichte hinzuweisen. Durch ihre streng aufgereihte Wiederholung entlang der Wand entsteht eine Art Bühnenkulisse im Raum, deren bedrohliche Ausstrahlung durch das diffuse Licht der an der Decke befestigten Neonröhren verstärkt wird.
Aufgrund der Beleuchtung sowie der Gleichförmigkeit in der Anordnung erhält „Code of Construction“ eine militärische Qualität. Als Raumelement bildet sie ein feindseliges Gegengewicht zur Videoinstallation, die sich an eine der seitlichen Wände zurückgedrängt platziert hat. Trotz des Größenunterschieds scheint die Ameise mit ihren Bemühungen gegen die schiere Größe anzukämpfen. Hier geht es nicht um Vorherrschaft, sondern um das Prinzip der Verteidigung und Erhaltung der eigenen Souveränität als antagonistische Kraft in einer feindseligen Umgebung.
Während die Holzschränke durch ihre gleichförmige Masse zu trumpfen scheinen, gewinnt Xenofontos‘ Filmarbeit durch die marginalisierte Positionierung an Stärke. Aus scheinbar sicherer Distanz befleckt die Projektion wiederholt die Schrankoberflächen. Betrachtet man die Platzierung im Raum, so sind beide Arbeiten maximal weit voneinander entfernt – wie zwei Tiere, die sich zum Kampf bereit machen, stehen sie sich gegenüber. Niemand wird hier weichen.
WANN: Die Ausstellung “View From Somewhere Near” läuft bis Sonntag, den 11. August.
WO: Kunstverein in Hamburg, Klosterwall 23, 20095 Hamburg.