Schön, wie es mich schüttelt Über Phobien in der Kunst
1. März 2021 • Text von Julia Meyer-Brehm
Disclaimer: Die folgenden Zeilen dienen nicht dem Zweck, sich über Personen lustig zu machen, die von Phobien oder Angststörungen betroffen sind. Wem bei der Vorstellung von Spritzen, Spinnen oder Clowns ein kalter Schauer über den Rücken läuft, der sollte diesen Artikel lieber nicht lesen.
Wer beim Blutabnehmen prinzipiell lieber wegsieht, wird an Marianna Simnetts Videoarbeit „The Needle and the Larynx“ (2016) keine große Freude haben: In einer quälend langen Zeitlupenaufnahme wird eine Botox-Injektion in den Kehlkopf der Künstlerin injiziert. Die meisten Patient*innen, die sich dieser Prozedur unterziehen, tun dies, um eine tiefere Stimme zu erlangen. Unterlegt ist Simnetts Video, dessen Name an die Liebesgeschichte zwischen Nadel und Kehlkopf erinnert, mit einer Erzählung, die die Erfahrungen der Künstlerin als Patientin wiedergibt.
Formal und inhaltlich erinnert die Story an ein Märchen, in dem ein subjektiver Arzt einer jungen Frau von der gewünschten Botox-Behandlung abrät, woraufhin sie an dem bösen Chirurgen Rache nimmt. Die mit Musik unterlegte Fabel wird von akustischen Sequenzen unterbrochen, die Simnett während und nach ihrer eigenen Injektion aufgenommen hat. Derweil sehen wir der Nadel dabei zu, wie sie in Zeitlupe aufgezogen und langsam in den Hals der Künstlerin versenkt wird. Zum Schaudern schön, diese Ambivalenz aus Lovestory und Horrorszenario.
An dieser Stelle laufen euch unangenehme Schauer den Rücken hinunter und ihr müsst wegsehen? Dann könnte das an der Trypanophobie liegen, der Angst vor spitzen Nadeln oder Spritzen. Die Vorstellung, dass derartige Ängste auch das schönste Kunstwerk zur Qual werden lassen können, stürzte mich in einen Strudel der Phobie-Recherche. Wer hätte gedacht, dass es Anemophobie gibt, die Angst vor Stürmen? Oder Cathisophobie, die Furcht, sich hinzusetzen?
Andere Phobien hingegen sind geläufiger und umso häufiger Horrorfilm-Stoff: Arachnophobie zum Beispiel, die Angst vor Spinnentieren. Auch für Arachnophobiker*innen hält die Kunst einige Überraschungen bereit, man denke zum Beispiel an Louise Bourgeois‘ Skulptur „Maman“, die nicht nur auf Menschen mit Spinnenangst eindrucksvoll wirkt. Aber auch Tomas Saracenos raumfüllende Installationen, die an Spinnennetze erinnern, lassen die Herzen wortwörtlich höher schlagen. Übrigens zählen auch Skorpione und Milben zu den Spinnentieren – allerdings habe ich leider keine künstlerische Auseinandersetzung mit der Milbe finden können.
Hemophobie beschreibt die Eigenschaft, kein Blut sehen zu können. Marc Quinn ist ganz offensichtlich nicht davon betroffen: Der Künstler füllte 1991 eine Abformung seines Kopfes mit Eigenblut, das er sich über Monate hinweg abgezapft hatte. Nicht nur für Hemophobiker*innen ist das eine spezielle Vorstellung. Mit Blut gemalt haben unter anderem Ana Mendieta, Christen Clifford oder Portia Munson – letztere sogar mit ihrem Menstruationsblut.
Die Angst vor Clowns nennt sich Coulrophobie. Besonders gut konnte man ihr vor einigen Jahren bei Sprüth Magers in London frönen, als dort Cindy Shermans Ausstellung „Clowns“ zu sehen war. Die Künstlerin hüllte sich in alter Sherman-Manier in die verschiedensten Kostüme und Maskeraden und machte eindrucksvoll den Grusel deutlich, der einen zuweilen beim Betrachten der geschminkten Ulknudeln überkommt.
Menschen mit Pediophobie fürchten sich vor Puppen oder puppenartigen Wesen. Wer hiervon betroffen ist, sollte aktuell den Blick in das Schaufenster von Contemporary Fine Arts meiden: Dort tummeln sich seit Dezember Sarah Lucas‘ langgliedrige Figuren, die aus gefüllten Nylonstrümpfen bestehen. Dazu passend: Kalzophobie – die Angst davor, in Socken gesehen zu werden oder welche zu tragen.
Etwas geläufiger ist wohl die Angst vor dem Zahnarzt oder der Zahnärztin, auch Dentophobie genannt. Die kann einem Aisha Christison zwar nicht nehmen – ihre Zahnarzt-Leuchte, die noch bis 6. März bei Damien & The Love Guru zu sehen ist, sieht allerdings so täuschend echt aus, dass Ängstlichen bei dem Anblick schon mal die Zähne klappern können. Apropos Zähne: Für Personen mit Oralphobie sind auch Michael Sailstorfers Zähne aus Salzstein eine echte Herausforderung.
Ich könnte ewig so weitermachen. Ob man nun der Furcht vor Wasser beim Betrachten der Gemälde von Giordanne Salley frönen oder die Schimmelphobie mit Kathleen Ryans scheinbar gammeligen Früchten auf die Probe stellen will – der Grat zwischen Ekel und Faszination ist schmal. Und auch, wer vor Ängsten gefeit ist, schüttelt sich doch gerne mal ein wenig. In diesem Sinne: Frohes Schaudern.
Marianna Simnetts Videoarbeit „The Needle and the Larynx“ ist Teil der Zabludowicz Collection und nur noch heute, den 1. März, auf der Website der Independent Collectors zu sehen.