Das Leben in Dauerschleife
Marc Kokopeli bei Isabella Bortolozzi

25. Oktober 2025 • Text von

„Easy Street“ klingt nach einem Ort der Entspannung. Nach pastellfarbenen Reihenhäusern, nach synthetischem Sonnenschein und nach dem Versprechen, dass alles schon irgendwie läuft. Und es läuft tatsächlich in der Galerie Bortolozzi – auf verschiedenen Kanälen. Besucher:innen können sich dort durch die Ausstellung von Marc Kokopeli zappen. (Text: Olga Siemons)

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Marc Kokopeli, Literature & Painting Playset, 2025. LCD cabinet, LED Screen, resin, fabric, mixed media; video, sound, 47:09 minutes. 93 x 154 x 80 cm. Now we are on Easy Street, Galerie Isabella Bortolozzi, 2025. Courtesy the artist and Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin / Photo: © Graysc.

Schon beim Betreten der Galerie Isabella Bortolozzi schlägt einem ein dichter Geräuschteppich entgegen. Musik erklingt, Stimmen überlagern einander, jemand singt. Die erste Arbeit der Ausstellung “Now we are on Easy Street“ von Marc Kokopeli öffnet sich im Mittelraum wie eine kleine Bühne: In einem gläsernen Kasten stehen zwei Figuren. Eine Dozentin hält mit computergenerierter Stimme einen Vortrag über Hieronymus Boschs “Garten der Lüste“, während ein stummer Künstler daneben mit dem Pinsel Farbkleckse auf dem Glas hinterlässt.

Die weißen Körper der Figuren sind als skulpturales Element fest installiert. Mund, Augen und generell Bewegungen erscheinen als Animation auf einem transparenten Display, welches gleichzeitig die Außenseite der Box bildet. We are on our way to Paradise! Some say we are like there already?”, sagt die Dozentin. Wir sind also auf dem Weg ins Paradies, vielleicht sogar schon dort. Die Engel seien nachsichtig, erfahren die Zuschauenden. Nachsichtig mit denen, die sich im Jenseits erst langsam einfinden müssten.

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Installation view, Marc Kokopeli, Now we are on Easy Street, Galerie Isabella Bortolozzi, 2025. Courtesy the artist and Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin / Photo: © Graysc.

Der Tonfall der Dozentin kippt zwischen Heilsversprechen und Internet-Kommentar. Wenn sie über “the guy and his over attentive wife“ spricht – den Typen und seine übermäßig aufmerksame Frau  – ist das nicht mehr Theologie, sondern eine Art Meme-Theorie: die göttliche Komödie als Kommentarspalte. Schließlich öffnet sich der Monolog in ein imaginäres Q&A, gespeist aus echten Reddit-Kommentaren über persönliche Höllenvorstellungen: Was ist deine persönliche Folterkammer im Alltag? Während die Dozentin spricht, malt der Künstler neben ihr in Endlosschleife. Sie ist Übersetzerin, er eine Sisyphusfigur, die mit offenem Mund immer dieselben Pinselstriche zieht.

Über einen Flur geht es in den hinteren Raum der Galerie. Hier findet ein Wechsel im Ton statt: Zwei Figuren, Sänger und Gitarrist, bekommen jeweils eine Ausstellungsbox. Das sind die Cool Kids der Ausstellung. Es ist eine kleine Band, deren Lippen sich leicht asynchron zum Ton bewegen und ein bewusstes Stolpern erzeugen. Sie spielen “What Hurts the Most“ von Rascal Flatts – ein Stück, das im Internet zirkulierte, nachdem Teenager eigene South-Park-Videos damit unterlegt hatten. Kokopeli montiert den Song neu und verschiebt mehrere Stellen gegeneinander.

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Detail: Marc Kokopeli, Times Square Alliance Playset, 2025. LCD cabinet, LED Screen, resin, fabric, mixed media; video, sound, 9:15 minutes. 93 x 154 x 80 cm. Now we are on Easy Street, Galerie Isabella Bortolozzi, 2025. Courtesy the artist and Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin / Photo: © Graysc.

Zurück durch die Mitte und weiter in den letzten Ausstellungsbereich: Die Arbeit dort wirkt wie ein absurdes Finale. Eine Kinderfigur spricht davon, dass die Welt trotz aller Zweifel an ihrer Schönheit in der gemeinsamen Feier des Jahreswechsels zusammenfindet. Kurz darauf scheint das Spotlight auf zwei weitere Figuren. Ihre Stimmen klingen wie aus einer Fernsehsendung, die den Silvesterabend moderiert.

Der Times Square ist zu sehen, alles läuft auf den großen Moment des Countdowns zu. Doch plötzlich bleibt die gläserne Kugel, das ikonische Symbol des Countdowns am Times Square, auf halbem Weg stecken. Die Inszenierung gerät kurz ins Stocken. Anschließend setzen die beiden erwachsenen Figuren zu einer pathetischen Ansprache an: Sie sprechen von Hoffnung, Neuanfängen, Vergebung und davon, dass alles besser werden könnte.

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Marc Kokopeli, Times Square Alliance Playset, 2025. LCD cabinet, LED Screen, resin, fabric, mixed media; video, sound, 9:15 minutes. 93 x 154 x 80 cm. Now we are on Easy Street, Galerie Isabella Bortolozzi, 2025. Courtesy the artist and Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin / Photo: © Graysc.

Es sind jene vertrauten Formeln, die jedes Jahr um Mitternacht zum Besten gegeben werden. Der Times Square ist dabei mehr als ein ikonischer Ort: Er markiert ein globales Ritual der Wiederholung. Jahr für Jahr dieselbe Sekunde, dieselben Lichter, dieselbe Euphorie. Kokopeli benutzt diese Szene wie ein Labor für kulturelle Routinen.

Die cartoonhafte Oberfläche seiner Figuren ist kein Zufall, sondern Strategie. Wie bei der Fernsehserie South Park dient die vermeintliche Einfachheit als scharfes Werkzeug: Der Witz kippt in Erkenntnis, und gerade die billigste Animation entlarvt die künstliche Logik, in der wir längst leben. Dass Kokopeli ursprünglich Bildhauer ist, merkt man sofort. Auch wenn alles flimmert, sind die Figuren Körper im Raum. Sein Verfahren ist eine Collage aus Technologie und Handwerk: transparente Screens, animierte Mimik, gesampelte Texte aus Online-Foren.

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Detail: Marc Kokopeli, Times Square Alliance Playset, 2025. LCD cabinet, LED Screen, resin, fabric, mixed media; video, sound, 9:15 minutes. 93 x 154 x 80 cm. Now we are on Easy Street, Galerie Isabella Bortolozzi, 2025. Courtesy the artist and Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin / Photo: © Graysc. // Marc Kokopeli, Literature & Painting Playset, 2025. LCD cabinet, LED Screen, resin, fabric, mixed media; video, sound, 47:09 minutes. 93 x 154 x 80 cm. Now we are on Easy Street, Galerie Isabella Bortolozzi, 2025. Courtesy the artist and Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin / Photo: © Graysc.

In früheren Arbeiten verwendete Kokopeli Pampers als skulpturales Material, angelehnt an Basteltraditionen rund um Baby-Partys, bei denen Windeln oft zu kunstvollen Windeltorten arrangiert werden. Auch dabei ging es um die Aneignung vorgefundener Formen. Bei “Now we are on Easy Street“ verschiebt sich dieses Prinzip ins Digitale: Software, Plattformlogiken und Internettexte bilden den Rohstoff für kleine, fragile Szenen, die sich aus populären Medienerfahrungen nähren und deren Codes fortschreiben.

Die Ausstellung in der Galerie Isabella Bortolozzi wirkt wie eine Episode aus einer Serie, die wir noch nicht kennen, aber irgendwie schon verstehen. Es gibt Sound, Licht, Timing, aber auch Leerstellen, Glitches, kleine Pannen. Für Sekunden wirkt es, als würde die Oberfläche etwas preisgeben, das nicht vorgesehen war. Vielleicht ist das Kokopelis eigentliche Easy Street: der Ort, an dem künstliche Intelligenz, Popkultur und Kunstbetrieb kurz denselben Takt finden und dann wieder auseinanderlaufen.

WANN: Die Ausstellung “Now we are on Easy Street” läuft noch bis Samstag, den 25. Oktober.
WO: Galerie Isabella Bortolozzi, Schöneberger Ufer 61, 10785 Berlin.

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