Making Time
Ein Querschnitt der Fotografien Thomas Struths

22. Mai 2017 • Text von

Die Stadt, der Mensch, die Natur, die Maschine – der Fotograf Thomas Struth seziert in seinen Werkgruppen den gesellschaftlichen Korpus in seine Einzelteile. Das Haus der Kunst setzt die Fragmente in „Figure Ground“ nun wieder zusammen und zeigt den durchdringenden Blick des Künstlers auf die Gesellschaft.

Thomas Struht: Rue de Beaugrenelle, Beaugrenelle, Paris 1979.

Thomas Struht: Rue de Beaugrenelle, Beaugrenelle, Paris 1979.

„Figure Ground“ beginnt mit Architektur: Schwarz-weiß, vereinzelt farbig, dokumentiert Struth NRW und den Rest der Welt. Was er abbildet, sind mehr als Wohn- und Arbeitsräume der Stadtbevölkerung. Er dokumentiert die sozio-kulturelle Basis der fotografierten Städte und Regionen. Im Haus, im Block, im Straßenzug zeigt sich das Wesen einer Gesellschaft und zugleich der historische Kontext der Abbildung. Von hier aus legt Struth den Grundstein für die Topoi der anderen Serien, die die Ausstellung auftut.

Thomas Struth: Wangfujing Dong Lu, Shanghai 1997.

Thomas Struth: Wangfujing Dong Lu, Shanghai 1997.

Neben dem ausführlichen Fotomaterial gewährt „Figure Ground“ gleich zu Beginn einen Blick hinter die Kulissen. Thomas Struths „Archiv“ zeigt, wie sich der Künstler seinen Motiven nähert. In einer chronologisch angeordneten Collage aus Skizzen, Tonträgern, Sammlerstücken und Notizen, baut sich so nach und nach eine Idee des Struth´schen Kosmos auf. Struth, zunächst Malereistudent bei Gerhard Richter, bevor er in die Fotoklasse von Bernd und Hilla Becher wechselte, greift diese positive Querverbindung von Malerei und Fotografie in seinen Arbeiten immer wieder auf. Im „Archiv“ sind das skizzenhafte Vorstufen und nachkolorierte Fotos, in der Ausstellung selbst findet sie ihre Konkretisierung dann auf unterschiedliche Weise. In „Nature & Politics“, einer Werkgruppe, die techn(olog)ische Entwicklungen und Forschungszentren zeigt, wird die Maschine zum ästhetischen Objekt. Kabelknäuel voller Strom und Daten erinnern an Actionpaintings, Laborsituationen an inszenierte Stillleben. Technologie und Fortschritt werden dadurch einerseits noch stärker abstrahiert, zugleich bekommen sie durch dieses Ähnlichkeitsverhältnis etwas Vertrautes.

Thomas Struth: National Gallery 1, London 1989.

Thomas Struth: National Gallery 1, London 1989.

Anders verhält es sich mit Serien wie „Museum Photographs“ oder „Making Time“, die in den Ausstellungsräumen diverser Museen entstanden. Struth zeigt darin Klassiker der Kulturgeschichte und ihre Betrachter. Während die Hierarchie zwischen Werk und Betrachter im Museum klar ist, bricht er sie in seinen Arbeiten vollständig auf. Das Foto braucht beide Komponenten, um das zu werden, was es ist, braucht das Statische und das Flexible. In „Audience“ spinnt der Fotograf diesen Gedanken noch weiter, wenn er anlässlich des 500. Geburtstags des Davids von Michelangelo, nicht die Statue, sondern deren Betrachter fotografiert. Sein Arrangement an staunenden, interessierten, teils andächtigen, teils gelangweilten Gesichtern ist insofern spannend, als dass auch hier wieder die soziologische Momentaufnahme im Vordergrund steht. David ist das gesetzte Element, die Besucher der lebendige Gegenpol, der in Struths Fotos noch wichtiger wird, als die Kunst an sich.

„Figure Ground“ zeigt ein Repertoire aus vierzig Jahren fotografischen Schaffens, ergänzt durch Videoarbeiten, Hintergründe und Installationen. Deutlich wird dabei die Vielfalt der von Struth verhandelten Themen und Motive, die ästhetisch wie konzeptuell jedoch von einer stringenten Linie geprägt sind. Die, die Thomas Struth kennen, werden sich über die ausführliche Schau freuen, die, die ihn nicht kennen, den ein oder anderen Favoriten dazu gewinnen.

WANN: Die Ausstellung läuft noch bis zum 17. September 2017.
WO: Haus der Kunst, Prinzregentenstrasse 1, 80538 München.

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