Zoom-Out in die Selbstreflexion Miniaturen im Magma Maria
11. August 2024 • Text von Gast
Die Ausstellung „TBH“ im Offenbacher Magma Maria dekonstruiert den eigenen Raum ebenso wie antizipierte Wahrheiten. 18 Miniaturen des Ausstellungsraumes, gestaltet von 18 verschiedenen Künstler*innen und Kollektiven, imaginieren neue Möglichkeiten der Raumgestaltung und des Ausstellungsmachens zwischen Utopie und Dystopie. (Text: Anna Marckwald)
Wer sich noch an die insbesondere in kunstnahen Bereichen kanonische Lektüre von Brian O’Dohertys „Inside the White Cube“ erinnert, weiß, seine soziokulturelle Kritik des Ausstellungsraumes leitete der Autor durch einen spektakulären gedanklichen Zoom-Out ein: In einem Raumschiff, weg von der Erde gen Weltraum. Von hier oben, so schrieb er 1976, habe man den besseren Überblick, könne klarer sehen was da unten vor sich gehe, allgemeine Hypothesen aufstellen, statt sich in Details zu verlieren.
O’Doherty ging noch weiter. Er schrieb: „Die Tradition selbst sieht, wenn sich das Raumschiff zurückzieht, wie ein weiteres Stück Krimskrams auf dem Kaffeetisch aus – nicht mehr als eine kinetische Assemblage, die mit Reproduktionen zusammengeklebt ist, von kleinen mystischen Motoren angetrieben wird und winzige Modelle von Museen enthält. Und in seiner Mitte bemerkt man eine gleichmäßig beleuchtete ‘Zelle’, die entscheidend für das Funktionieren des Ganzen zu sein scheint: den Galerieraum.“
Fast scheint es, als bildeten diese Sätze, die die Geburtsstunde eines neuen Nachdenkens über das Ausstellungsmachen markieren, auch den Ausgangspunkt der Ausstellung „TBH“ im Off-Space Magma Maria in Offenbach. Zumindest beginnt auch diese mit einem allgemeinen Zoom-Out: 18 Miniaturen des Ausstellungsraumes beziehungsweise einzelner räumlicher Fragmente, die in der Summe den Gesamtraum ergeben, präsentieren sich dort zumeist fein säuberlich an der Wand aufgereiht.
Durch den lichtdurchfluteten Raum mit den riesigen Fensterfronten schreitend, der selbst wie eine Art Schaukasten anmutet, finden Besucher*innen sich zugleich in seinem Inneren und Äußeren wieder, nehmen ihn sowohl aus nächster Nähe als auch aus Raumschiff-, naja, sagen wir Vogelperspektive wahr. Anstelle O’Dohertys „gleichmäßig beleuchtete[r] Zelle[n]“ findet sich im Magma Maria jedoch ein eklektisches Potpourri an Miniaturräumen, von denen die meisten nur noch sehr entfernt an einen White Cube erinnern.
18 Möglichkeitsräume, gestaltet von 18 künstlerischen Positionen, stehen in Zentrum der Ausstellung „TBH“, die zwar als Groupshow daherkommt, aber zugleich viele kleine Solo-Shows in sich fasst. Jeder einzelnen dieser Miniausstellungen könnte sich dieser Text widmen.
So suchen die Augen vergeblich nach einer Gesamtnarration, nach allumfassender Sinnhaftigkeit, wie sie Ausstellungen so oft proklamieren. Nicht thematische Zusammenhänge bilden hier den Ausgangspunkt, vielmehr steht da eine Handlungsanweisung: Denn die Miniaturräume wurden nicht von den eingeladenen Künstler*innen selbst gebaut. Sie wurden vom kuratorischen Team um Malte Möller, Jakob Francisco, Johannes Schwalm and Lena Stewens, allesamt selbst Künstler*innen aus dem Umfeld der Hochschule für Gestaltung Offenbach (HfG), im Maßstab 1:15 entworfen und angefertigt.
Gleiche Ausgangsvorraussetzungen für alle also. Die Dimensionen sind nahezu identisch, sogar die Positionierung der Arbeiten im Raum wurde vorab fixiert: Die Miniaturen werden immer in den Teilräumen präsentiert, die sie abbilden. Die Künstler*innen fungieren zugleich als Kurator*innen ihrer Räume. Sie müssen keine Rücksicht auf andere nehmen, kaum organisatorische oder finanzielle Rahmenbedingungen schränken sie ein. In den Miniaturräumen scheint alles möglich. Eine grunddemokratische Ausstellung also, eingeleitet durch den Rückzug kuratorischer Autor:innenschaft? Nur zum Teil, denn die Arbeit der Künstler*innen erwächst in gewisser Weise aus den von den Kurator*innen zuvor abgesteckten formalen und ästhetischen Rahmenbedingungen.
Diese besondere Genese, die mitunter einer schulischen Étude, einer Parabel auf das Ausstellungsmachen gleicht, wird von vielen der Positionen mitreflektiert. Bewusst überschreiten sie die gesetzten räumlichen Begrenzungen oder eignen sich die Miniatur als formales Element ihrer Arbeit an. So finden sich neben Positionen, die das Modell in seiner konservativen Funktion als Miniaturausstellung begreifen, zahlreiche Arbeiten, die sich dieser Rezeption bewusst verwehren.
Die Arbeit von Linus Berg, „Prelude to a Set of Piano Teeth“ etwa bedient sich zwar der vorgegebenen Größenverhältnisse, verweist aber durch den slapstickhaften Sturz eines Klaviers durch einen Krater im Boden des Modellraumes in den Realraum direkt auf die Simulation, der Besucher*innen hier beiwohnen. Das Motiv des vom Himmel fallenden Klaviers, dieser „Sabotage des Universums“ wie Berg es selbst bezeichnet, entleiht er sich verschiedenen filmischen Inspirationen zwischen Charlie Chaplin und Tom und Jerry.
Auch „Societati non interest“ von Mara Wohnhaas und Sam Holzberg evoziert bewusst Irritationsmomente bei den Betrachtenden: Akkurat in Passepartouts gefasste Fotografien antiker römischer Vasen, die formal der fotographischen Dokumentation archäologischer Artefakte zu entsprechen scheinen, sind in den Grund des Modells eingelassen. Zu groß und formal unpassend, um eine Ausgrabungsstätte in der Miniatur zu simulieren, und doch zu klein für die Größenverhältnisse des Realraumes stiften sie Verwirrung anstelle wissenschaftlicher Erkenntnisse, die vom Fehlen jeglicher Informationen zur Provenienz der Objekte noch bestärkt wird.
Elisa Diaferia und Juri Simoncini gehen mit ihrer Arbeit „Flirt“ noch einen Schritt weiter. Sie haben das hölzerne Modell durch einen neuen Anstrich und seine umgedrehte Positionierung auf dem Boden des Magma Maria so weit entfremdet, dass es kaum noch als solches erkennbar ist. Es avanciert zum bühnenhaften Container einer Assemblage gesammelter Objekte, die sich mit der Bedeutung von Flüssigkeit für das menschliche Hör- und Gleichgewichtsystem auseinandersetzen. Lautlos wird das ihre Arbeit durchziehende Thema Sound aufgegriffen.
Reinier Vrancken reflektiert die Methodik der Ausstellung, den künstlerischen Eingriff, den diese bedeutet, dezidiert kritisch, indem er sie weiterdenkt. Hatte das Kurator*innenteam sich aus ästhetischen und pragmatischen Gründen dazu entschieden, die Fensterfront und die von metallenen Lüftungsrohren durchsetzte Decke in den Modellen auszusparen, ließ er für seine Arbeit „isn‘t here is here“ eben diese fehlenden Raumelemente vom kuratorischen Team anfertigen.
Stephan Idé geht in seiner Arbeit „Keine B-Ware erzeugen“ ebenfalls skeptisch mit der an ihn adressierten Handlungsaufforderung um. Er übersetzt diese in eine erneute Handlungsaufforderung. Von ihm gefertigte, neben das unveränderte Modell gehängte Topflappen laden Besucher*innen zur performativen Bewegung des kleinen Raumes durch den großen ein. Dass es dafür textilen Schutz braucht verweist subtil auf die potentielle, von diesem Objekt ausgehende Gefahr.
Eine ganze Reihe von Arbeiten verweist direkt oder indirekt auf den städtischen Raum, der das Magma Maria umgibt. 2020 war der Ausstellungsraum als temporäres Zwischennutzungskonzept einer leerstehenden Gewerbefläche, die aus der umfassenden Urbanisierung und Bebauung des Offenbacher Hafens resultiert war, entstanden. Inzwischen stehe der vom Magma Maria bespielte Raum selbst „wie eine Art uneingelöstes Potential da“, so Jonathan Mink, der ebenfalls eine Arbeit für die Ausstellung konzipiert hat. Jederzeit könne ein kommerzieller Mieter die künstlerische Bespielung des Raumes beenden, teils fänden Besichtigungstermine während des Ausstellungsaufbaus statt, erzählt das kuratorische Team.
Besucher*innen des Magma Maria sehen sich unweigerlich mit seiner künstlichen, von städtischer Privatisierung geprägten Umgebung konfrontiert, die eines Tages auch diesen Raum absorbieren wird. Die Arbeit Minks geht direkt auf diese Ambivalenz ein: Er kreiert ein dystopisches Szenario, in dem der Ausstellungsraum geflutet und von unendlich vielen Origami-Nilgänsen besiedelt wird. Begleitet von einer im Hafengebiet aufgenommen Soundarbeit hinterfragt die Arbeit „o.T.“ normative Urteile, die die nichtheimische Vogelart diffamieren, während die großangelegte Bebauung natürlicher Areale auf wenig Widerstand stößt.
Simon Gilmers Arbeit „TBH SSV“ wiederum zitiert den Raum und seine direkte Umgebung auf von ihm gestalteten T-Shirts, die an seinem zum funktionalen Verkaufsstand transformierten Modell erworben werden können. Motive wie etwa das von Surfbrettern gesäumte Offenbacher Hafenbecken, über dem der Schriftzug „Venice Beach“ prangt, rekurrieren ironisch auf das architektonische Umfeld und bergen zudem das Potential, die Grenzen des Ausstellungsraumes an den Körpern künftiger Besitzer*innen zu überschreiten.
Am konsequentesten jedoch vollzieht Priscille Rochefeuille mit ihrer Arbeit „Oral agreement“ das Nachdenken über die Verfügbarkeit von und den Zugang zu städtischen Räumen. Im Stadtraum verteilte Abreißzettel mit der Überschrift „Ladenlokal zu vermieten“ bewerben ihren Miniaturraum, bieten ihn Interessierten zur temporären oder langfristigen Miete an und adressieren damit jene Gentrifizierungstendenzen, die den Ausstellungsraum selbst bedrohen.
Die Miniaturen sind gleichermaßen Ursprung wie Konsequenz des kritischen Nachdenkens über die schwindende Ressource Raum. Produktion und Transport sind kostengünstig, platzsparend und nachhaltig und stehen damit diametral immersiven Erlebnisausstellungen gegenüber. Auch ihre Konsumierung unterscheidet sich: Miniaturen zu erschließen braucht Zeit und Zuwendung.
Schon seit vielen Jahrtausenden bilden Menschen die sie umgebenden Räume als Miniaturen ab. Dennoch ließe sich gerade die im Feld zeitgenössischer Kunst zu beobachtende Arbeit mit Miniaturmodellen, zuletzt etwa in Ausstellungen wie der „Miniaturbiennale II“ am Frankfurter Hauptbahnhof, auch als sanfte Kritik städtischer und künstlerischer Kommerzialisierungstendenzen lesen. Der Zoom-Out ist vielleicht wirklich ein adäquates Mittel der Reflexion antizipierter Wahrheiten als normal deklarierte Zustände.
Zugleich steht die Ausstellung „TBH“sinnbildlich für eine programmatische Ausrichtung des Magma Maria, die seit seiner Gründung die Frage, was es bedeutet Ausstellungen zu gestalten, immer wieder neu ausgelotet hat, und für einen kuratorischen Ethos, der sich selbst nicht zu ernst nimmt. Ausstellungen wie „Floor Plan“ (2024), wo alle Arbeiten an der Raumdecke installiert wurden, „Window Smootches“(2021), wo zu Lockdown-Zeiten alle Werke nach außen gerichtet an der Glasfassade lehnten, und „Half Tetra Picnic” (2020), wo von den Mitgliedern des Kollektivs gestaltete Betten ausgestellt wurden, in denen diese zuvor übernachtet hatten, entwarfen den Raum immer wieder als Spielwiese und Experimentierfeld.
Als kuratorisches Team von Magma Maria hätten sie „Regelverstöße bewusst begrüßt“, sagt Lena Stewens. Dass es sich bei „TBH“ um eine der letzten Ausstellungen des Kollektivs an diesem Ort handelt, ist zu betrauern. Bald werden Nachfolgegenerationen der HfG den Raum übernehmen, solange er denn noch genutzt werden kann. Die aktuelle Ausstellung ist angesichts des nahenden Abschieds auch als eine Art finales Gathering unterschiedlichster Positionen zu verstehen. Indem sie den Raum zu ihrem zentralen Gegenstand erklärt, setzt sie selbigem in gewisser Weise ein Denkmal.
WANN: Die Ausstellung „TBH“ läuft bis Sonntag, den 18. Augst.
WO: Magma Maria, Hafenplatz 1-3, 63067 Offenbach.