Magic Mountainsides
Die Biennale Gherdëina und Kunst in Südtirol

23. Mai 2022 • Text von

Kunst und Natur, mystische Erfahrungen und eine Wiederverzauberung der Welt. Die Biennale Gherdëina zeigt zeitgenössische Kunst in der Schönheit der Dolomiten und verzaubert dabei die Besucher*innen. Und wenn man schon mal in der Gegend ist, sollte man sich auch das Museion und die Fondazione Antonio Dalle Nogare nicht entgehen lassen.

Installation view of Persones Persons, BIENNALE GHERDËINA ∞ curated by Lucia Pietroiusti and Filipa Ramos, 2022, Ortisei/ Val Gardena. Courtesy BIENNALE GHERDËINA. Photo Luca Meneghel.

Südtirol ist bekannt für seine beindruckende Landschaft, den hervorragenden Wein und die herzliche Gastfreundschaft. Nicht nur Angela Merkel macht hier gerne Urlaub. Aber zwischen Weinreben, bizarren Felsformationen und rauschenden Bergbächen kann man auch hervorragende zeitgenössische Kunst entdecken. Das Museion ist die Institution für zeitgenössische Kunst in Bozen und Direktor Bart van der Heide, der zuvor auch den Kunstverein in München geleitet hat, setzt dort ambitionierte Projekte um. Aktuell rücken zwei Ausstellungen künstlerische Positionen in den Fokus, die in der Kunstgeschichte eher am Rande verortet sind: Die Vertreterin kinetischer Kunst Erika Giovanna Klien und der philippinische Künstler, Dichter und Aktivist David Medalla. Eine echte Überraschung ist die Fondazione Antonio Dalle Nogare. Die Stiftung präsentiert neben einer Sammlung von konzeptueller und minimaler Kunst der 1960er und 70er Jahre auch wechselnde Ausstellungen. Mit “FROM B TO E AND MORE” würdigt die Stiftung die Arbeit der deutschen Künstlerin Charlotte Posenenske, die zu einer der renommiertesten Vertreterinnen der deutschen Minimal Art gehört. Ihre kurze Karriere beendete sie selbst im Jahre 1968 indem sie sich von der Kunst abwandte, um sich der Soziologie zu widmen. Die moderne, fast brutalistische Architektur der Fondazione Antonio Dalle Nogare schmiegt sich elegant in einen Weinberg, verbindet Natur, Kultur und Architektur.

Installation view of Persones Persons, BIENNALE GHERDËINA ∞ curated by Lucia Pietroiusti and Filipa Ramos, 2022, Ortisei/ Val Gardena. Courtesy BIENNALE GHERDËINA. Photo Luca Meneghel.

An den Schnittstellen von Kultur und Natur, Tradition und Moderne, Regionalität und Internationalität bewegt sich auch die achte Ausgabe der Biennale Gherdëina. Unter dem Titel “Persones Persons” präsentieren die Kuratorinnen Lucia Pietroiusti und Filipa Ramos eine Reihe von Installationen, Skulpturen, Klangarbeiten, Performances, Textilarbeiten und partizipatorischen Projekte, die alle im Kontext der beeindruckenden Landschaft des Val Gherdëina in den Dolomiten verortet sind. Dabei bespielen die Künstler*innen nicht nur klassische Ausstellungsräume in den Dörfern des Tals, sondern auch ein leerstehendes Hotel aus den 1960er Jahren, eine Burg aus dem 17. Jahrhundert, und die wirklich grandiose Natur. Das Zentrum der Biennale ist eine museale Ausstellung in der unter anderem Skulpturen und Bilder von Judith Hopf, Jimmie Durham oder Britta Marakatt-Labba zu sehen sind. Die wirklich interessanten Projekte sind jedoch an unkonventionellen Orten zu erfahren. Der argentinische Künstler Eduardo Navarro hat seine “Spathiphyllum Auris” in ein unberührtes Stück Natur im Hochgebirge platziert. Die übergroße Skulptur einer Friedenslilie wirkt etwas verloren in dieser landschaftlichen Schönheit, als hätte sich ein Detail eines Gemäldes von Hieronymus Bosch in den Bergen verlaufen. Dennoch passt sich die Arbeit in den Kontext ein, scheint Kontakt mit der Umgebung aufzunehmen.

Installation view of Persones Persons, BIENNALE GHERDËINA ∞ curated by Lucia Pietroiusti and Filipa Ramos, 2022, Ortisei/ Val Gardena. Courtesy BIENNALE GHERDËINA. Photo Luca Meneghel.

Eine andere Form von Kontakt ermöglicht die partizipatorische Arbeit des Künstlers, Poeten und Choreografen Alex Cecchetti. Sein Projekt “Sentiero” ermöglicht den Teilnehmer*innen eine intime Einzelerfahrung in Form einer performativen Wanderung. Geleitet von Performer*innen bewegt man sich entlang eines Bergpfades durch die Natur. Die Guides bleiben dabei in der Rolle eines spirituellen Vermittlers, ihre Sprache ist poetisch, mystisch und fast beschwörend. Sie weisen auf Details in der Natur hin, stellen Fragen und wollen die Sensibilität gegenüber der Natur aber auch der eigenen Weltwahrnehmung schärfen. Die fast zweistündige Wanderung endet auf einer Lichtung an einer Jurte, es gibt Wasser und einen Becher regionale Pilzsuppe. Gestärkt und durchaus etwas berührt wird man auf den einsamen Rückweg entlassen. “Sentiero” ist wie viele der auf dieser Biennale gezeigten Arbeiten poetisch ohne kitschig zu sein, mystisch, aber nicht esoterisch.

Installation view of Persones Persons, BIENNALE GHERDËINA ∞ curated by Lucia Pietroiusti and Filipa Ramos, 2022, Ortisei/ Val Gardena. Courtesy BIENNALE GHERDËINA. Photo Luca Meneghel.

Ein weiterer Ausstellungsort dieser Biennale ist die Fischburg, eine mittelalterlich anmutende Burg in den Tiefen des Val Gherdëina. Künstler*innen bespielen den Innenhof dieses maroden Gemäuers mit Interventionen, Skulpturen und Videos. In einem Nebenraum hat Chiara Camoni ihre Skulptur “Sister” platziert. Die Tonskulptur ist halb Göttin, halb Zauberin. In einigen ihrer sechs Arme brennen Kerzen wie in einem Schrein. Welchen Glauben dieses mythische Wesen vertritt verrät sie nicht, schenkt dem Betrachter aber ein gütiges Lächeln. Vor der Fischburg hat das Duo Ignota, bestehend aus Sarah Shin und Ben Vickers, einen “Memory Garden” eingerichtet. Basierend auch auf den Ideen von Hildegard von Bingen, nimmt der in Form eines Kreises angelegte Kräutergarten Bezug auf den Mondzyklus, eine Soundintervention erweitert die Installation um eine auditive Ebene. In diesem Garten sollen Ideen wie Samen sprießen und ihre Kraft entfalten.

Installation view of Persones Persons, BIENNALE GHERDËINA ∞ curated by Lucia Pietroiusti and Filipa Ramos, 2022, Ortisei/ Val Gardena. Courtesy BIENNALE GHERDËINA. Photo Luca Meneghel.

Ein Seitental inmitten der Alpen ist ein ungewöhnlicher Ort für eine Biennale zeitgenössischer Kunst. Dennoch schaffen es die die beiden Kuratorinnen ein dichtes Netz an Arbeiten zu weben, die zwar nicht alle unter den kuratorischen Schirm passen, aber dennoch jeweils ihre eigene Kraft entfalten. Die Arbeiten eint eine gewisse utopische Grundhaltung, die Rolle des Menschen im Kontext der Welt wird hinterfragt. Manchmal scheint aber der Grat zwischen Spiritualität und weltabgewandtem Eskapismus doch sehr schmal. Dennoch ist die Biennale Gherdëina keine vom lokalen Tourismus-Büro entwickelte Idee, um auch vermeintlich kaufkräftige Besucher*innen mit Kunstinteresse ins Tal zu locken, sondern ein ambitioniertes Projekt, das sich aktuellen Diskursen widmet und relevante Positionen präsentiert.

WANN: Die Biennale Gherdëina findet noch bis zum 25. September statt.
WO: Val Gherdëina, 39046 Ortisei BZ, Italien

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