9+1 Luxembourg Art Week-Highlights Ausstellungsorte, die ihr euch merken solltet
17. November 2022 • Text von Lara Brörken
Die kleine Stadt, das kleine Land Luxemburg, wurde vergangenes Wochenende zum achten Mal von Kunst geflutet. Der Ort wächst mit der Luxembourg Art Week über seine Grenzen hinaus und lässt dank der vielfältigen Positionen Augen begeistert größer werden. Das waren unsere Highlights. Mit dabei: Balak – espace temporaire d’art contemporain, La peau de l’ours, Galerie Gebr. Lehmann, Danysz Gallery, Nosbaum Reding, Bernhard Knaus Fine Art, Casino Luxemburg, Mudam, Valerius Gallery und die Steichen Collection.
Balak, Charleville-Mézières
In Mehryl Levisses Universum regieren das Muster, die Facette und non-binäre Lebensrealitäten. Levisse gründete den ortsunabhängigen LGBTQIA+-Projectspace Balak in der französischen Kleinstadt Charleville-Mézières. In kreischenden Farben und mit maskierten, ungeschlechtlichen Körpern, die vielmehr Objekt als Subjekt sind, macht der Off-Space auf sich aufmerksam. Mit Balak zieht die Kunst in öffentliche Toiletten, liegt in Vitrinen aus – oder bewohnt eine Messe-Kabine. Hauptsache öffentlich, hauptsache niedrigschwellig. Balak repräsentiert die Künstler*innen Ron Athey, Silvie Lehmers, John Hanning, Linda Montano, Annie Sprinkle und selbstredend Mehryl Levisse selbst. Annie Spinkles platziert den Schriftzug “I survived Aids” unter dem Portrait eines kleinen Jungen, Levisse rahmt vier Taschentücher, mit denen er sich das Drag-Make-up entfernt hat und über allem prangen die Versalien “LGBTQIACAB”. Ohne Umschweife wird klar, dass es hier um Toleranz, Sichtbarkeit und Spaß geht – bedingungslos und in your face!
WO: Balak hat keinen festen Ort, sondern bewegt sich an wechselnden Orten im öffentlichen Raum der Stadt Charleville-Mézières. Anfang Dezember eröffnet Mehryl Levisse eine Solo-Show in der CDA Gallery, Rue essanaani, angles rue Chevreuil, Casablanca, 20250, Marokko.
La peau de l’ours, Brüssel
Beim Stand der Galerie La peau de l’ours aus Brüssel hat sich die Natur ihre Wege gebahnt. Safia Hijos‘ Keramik-Unkraut erobert die Raumecken und rankt von oben herab. Es erstreckt sich widerborstig auf einer Borte und könnte ebenso Skyline, wie Hydrophyt darstellen. Unkraut wuchert und zeigt mit dem Löwenzahn seine prachtvollste Blüte. Am Kitsch anklopfend inszeniert Mariano Angelotti das ungewünschte Kraut in seinen Gemälden. Dabei betont der Künstler seine Durchsetzungskraft gegenüber Betonplatten und Gartentoren. Angelotti fokussiert die kleinen Oasen am Wegesrand. Motto: Nichts kann die Natur aufhalten. Studio Biskt widmet sich dem Natürlichen in einer organischen Formensprache. Die Bänke des Duos erinnern an Bambus und aufgrund ihrer tiefgrün-blauen Farbe, an die Ozeane. Sie laden zudem zum Verweilen ein, zum Entschleunigen, etwas, das auch der Natur des Menschen entgegenkommt. Der vierte Künstler, den die Galerie La peau de l’ours auf der Luxembourg Art Week repräsentierte, ist Benjamin Ottoz. Seine Malereien entfalten sich buchstäblich. Zum einen sind sie fein schimmerndes gefaltetes Papier und zum anderen Gipfelketten, Schluchten und Gletscher. Die Werke bestechen mit ihrer Klarheit, sie vermitteln ein Gefühl von frischer kühler Luft und legen sich weich und leicht an die Wand. In heutigen Zeiten von Kiesgärten und Flächenversiegelung erzählen diese Künstler*innen von paradiesisch wilden Zuständen.
WO: La peau de l’ours (LPDO), Rivoli Building – Chaussée de Waterloo, 690/31. 1180 Uccle/Brüssel, Belgium. Second entrance: Rue Emile Claus, 55. 1050 Ixelles/Brüssel.
Galerie Gebr. Lehmann, Dresden
Die Dresdener Galerie repräsentiert auf der Luxembourg Art Week die Künstler*innen Slawomir Elsner, Ruth Campau, Tilman Hornig, Stephanie Lüning und Beate Hornig. Slawomir Elsners Farben verschwimmen, fließen und schaffen eine feinfühlige Undurchsichtigkeit, die sich vor allem im Gegenüber mit Tilman Hornigs mit weißer Farbe übermalten Europaflaggen politisch aufladen. In der Gebr. Lehmann-Kabine scheint sich still und heimlich eine Semitransparenz ausgebreitet zu haben, mal tritt sie zart und feinfühlig, mal radikal und gesellschaftspolitisch auf. Mit ihrer Arbeit “Gesellschaft II (Balaclava 6)” wählt Stephanie Lüning eine protestierende Form der Semitransparenz. Die bunten Sturmhauben referieren auf die russischen, regierungskritischen, feministischen “Pussy Riot”-Aktivistinnen, die laut und wild auftreten, ihre Identitäten jedoch sicherheitshalber im Halbversteckten des Textils schützen. Ein Aktivismus, dessen Mut Stephanie Lüning gekonnt herausdestilliert.
WO: Galerie Gebr. Lehmann, Neustädter Markt 11/12, 01097 Dresden.
Danysz Gallery, Paris, Shanghai, London
Verwundert stehen bleiben mussten sicherlich einige Besucher*innen vor der Danysz Gallery. In ihrem White Cube steckten zwei junge Frauen ihre Köpfe zusammen. Die skulpturale Arbeit “The Secret” von Mark Jenkins ist unheimlich, weil sich die Frage nach der Lebendigkeit der Figuren stellt. Selbst, wenn rational betrachtet klar sein sollte, dass diese beiden Personen in Jeans und Hoodie und in diesem Rahmen nicht lebendig sein können, schleicht sich doch immer wieder ein kleiner irrationaler Zweifel herein. Nur vorsichtig treten Besucher*innen näher, kreisen sich an das Kunstwerk heran, aus der kleinen Befürchtung heraus, die beiden könnten sich doch gleich bewegen. Sie teilen ein Geheimnis, verstecken ihr Gesicht und haben sich buchstäblich und haarig miteinander verflochten. Die Tür der “Graven Series #13” von Alexandre Farto aka VHILS spielt das täuschende Spiel weiter. Die Tür scheint aus der Nähe beschädigt, beinahe wie zerfressen. Das Messer des Künstlers hat sich jedoch portraitierend durch das Holz geschnitzt. Aus der Ferne erscheint ein Augenpaar auf der Tür, das seinen Blick skeptisch in den Raum wirft. Das reinste Täuschungs-Geflecht.
WO: Danysz Gallery, 78 rue Amelot, Paris, 158 Shuanglian Road Building 2K, Qingpu District, Shanghai und 4 Cromwell Place, SW7 2JE London.
Bernhard Knaus Fine Art, Frankfurt am Main
Ein frischer Wind weht bei Bernhard Knaus. In Luxemburg repräsentiert die Galerie die Künstler*innen Ralf Peters, Çiğdem Aky, Giacomo Santiago Rogado, Mark Francis, Bernhard Prinz, Robert Zandvliet und Marten Schech und schafft einen auffällig erfrischenden Einblick in die Welt der verschiedenen Oeuvres. Elektrisiert zieht sich Mark Franzis Weiß durch den schwarzen Grund seiner Leinwand, während Ralf Peters Fotografien einen geometrisch klaren Blick über eine Bergkette werfen. Çiğdem Akys Arbeiten greifen ebenfalls zu geometrischen Mitteln, bilden ebenfalls so etwas wie Landschaft oder ein Gefühl von Witterung auf, ohne dieses eindeutig abzubilden. Die Künstlerin zieht die Acrylfarbe über die Leinwand, sodass sie in pastellig-weichen Abstufungen um ein klar abgegrenztes Rechteck herumströmt. Der Bildaufbau wiederholt sich, die Stimmung nicht. Es scheint Tag zu sein, Dämmerung, Wind, Meer oder dichter Nebel. Die Künstlerin stellt derzeit in den Frankfurter Galerieräumen aus.
WANN: Çiğdem Akys Ausstellung “Rhythmus” läuft noch bis Samstag, den 28. Januar.
WO: Bernhard Knaus Fine Art, Niddastrasse 84, 60329 Frankfurt am Main.
Nosbaum Reding, Luxemburg
Mit “Hors-Sol” präsentiert Nosbaum Reding aktuell eine besonders pure Position. Fathia Zemmouris großformatigen Werke erheben das Element Erde in Richtung der Luft, lösen sie aus ihren horizontalen Angeln und kippen sie in die Vertikale. Die marokkanische Künstlerin bedient und widmet sich dem natürlichen Material Erde uneingeschränkt. Sie bringt die Erde auf eine Fläche und durchpflügt sie dort wie fruchtbares Ackerland. Dabei graben sich gleichmäßige Spuren in das Material, ein künstlerischer, aber auch landwirtschaftlicher Prozess. Ihre Erd-Werke sind teilweise aufgebrochen, wie ausgetrocknetes dürres Land, sie riechen nach Erdreich und Heuballen. Mit Zemmouris Werken wechseln Betrachtende die Perspektive. Sie sehen das natürliche Material, das seine Bodenhaftung verloren hat, aber gerade dadurch ihre zuverlässige und lebenswichtige Bodenständigkeit in den Fokus rückt.
WANN: Die Ausstellung “Hors-Sol” läuft noch bis Samstag, den 7. Januar 2023.
WO: Nosbaum Reding, 2+4, rue Wiltheim, 2733 Luxembourg.
Casino Luxembourg
Das Casino Luxembourg machte auf der Luxembourg Art Week mit dem Café Adrien auf seine laufenden Shows aufmerksam. Eingehüllt in Adrien Vescovis eingefärbten Laken ist das Café inmitten der wuseligen Messe zu einem Ruhepol geworden. Stammgast ist eine “Repräsentantin” von Luisa Clement. Die mit KI ausgestattete und an die Künstlerin selbst angelehnte Puppe hat an einem Tisch platzgenommen, wird in ihrer (un-)menschlichen Erscheinung übersehen oder skeptisch beäugt. Das Messe-Café deutete bereits an, dass sich ein Besuch im Casino lohnt. Adrien Vescovi hat die Fassade des Museums mit Bettlaken verkleidet und schafft damit einen direkten Bezug zum Innenraum. Im oberen Stock des Hauses liegen die Laken auf dem Boden, hängen von der Decke oder schmücken die Wand wie ein Gemälde. In Patchwork-Technik näht der Künstler die mit organischen Ocker-Farben aus seinem Heimatraum Marseille eingefärbten Stoffteile zusammen und verwebt in dieser Technik ein Drinnen und Draußen, Privatheit und Öffentlichkeit. Die zur Färbung genutzten Flüssigkeiten stehen in Glasgefäßen verteilt im gemütlich warm leuchtenden Laken-Raum. Ein spannungsreiches Feld zwischen Alchemie, Chirurgie, Naht, Stich, Intimität, Innen und Außen wird aufgemacht.
Sehenswert ist auch die Gruppenausstellung “Sound Without Music”, die von Anastasia Chaguidouline kuratiert wurde. Hier werden organisch-stoffliche Klangkörper des Passepartout Duo über Glasröhrchen in Schwung gebracht, Andrea Mancinis “Matter of Deep Dream” leitet mit ambient-sounds akustisch in eine wabernde visuelle, unbestimmte Welt und Lorenz Lindners Installation “Molto” zeigt, wo vor Kurzem noch ein Konzert war. Von Holzklötzen gedrückte Tasten lassen an den Ton, einen Klangteppich denken, der potenziell da sein könnte. Auf dem Weg nach draußen grüßt die “Repräsentantin” im Foyer ein kühl programmiertes “Auf Wiedersehen!”.
WANN: Adrien Vescovis Ausstellung “Jours de lenteur” läuft noch bis Sonntag, den 23. Januar 2023. “Sound Without Music” ist bis Sonntag, den 27. November und die “Repräsentantinnen” bis Montag, den 28. November 2022 zu sehen.
WO: Casino Luxembourg, 41, rue Notre-Dame, 2240 Luxembourg.
Valerius Gallery, Luxemburg
Die Valerius Gallery zeigt in ihrer laufenden Ausstellung “Ritsch Ratsch” Arbeiten des luxemburgischen Künstlers Eric Mangen. Mangens Praxis basiert auf Reißen und Übermalen. Er zieht durch die Straßen Berlins und nimmt dicke Plakatschichten von den Wänden ab. Die Plakate haben sich in den letzten Jahren bereits wie Jahresringe eines Baumes geschichtet, erzählen von Vergangenem und sind nun zur Leinwand des Künstlers geworden. Er zieht ihnen einige Schichten ab, übermalt sie teilweise und lässt sie eine neue Geschichte erzählen. Der Prozess des Reißens gibt und entzieht dem Künstler gleichermaßen die Kontrolle über sein Werk. Der Zufall ist sein stetiger, humorvoller Begleiter. Eric Mangens Arbeiten nehmen, trotz ihrer sichtbar langen Historie, alles auf die leichte Schulter. Sie stimmen optimistisch und bringen Besucher*innen zum Schmunzeln.
WANN: Die Ausstellung “Ritsch Ratsch” läuft noch bis Sonntag, den 26. November.
WO: Valerius Gallery, 1, Place du Theatre, 2613 Luxembourg, Grand-Duché de Luxembourg.
Mudam
Das Mudam widmet sich aktuell der britischen Künstlerin Tacita Dean. In den beeindruckenden und großzügigen Räumlichkeiten des Mudam kommen ihre großen Bühnenbilder für “The Dante Project”, das im Oktober 2021 im Royal Opera House uraufgeführt wurde, zur freien Entfaltung. Sie verbildlicht mit ihnen Dantes Reise durch das Totenreich, das Paradies und das Fegefeuer. Sie verkehrt positiv und negativ, stellt das Inferno auf den Kopf, wenn man so will. Mit den Techniken der Fotografie, des Films und der Zeichnung kann mit Dean in eine Bildwelt voller Leichtigkeit und Verkehrung eingetaucht und abgehoben werden. In den Himmel über L.A. – oder auch Dantes Hölle.
WANN: Die Ausstellung läuft noch bis Sonntag, den 5. Februar.
WO: Musée d’Art Moderne Grand-Duc Jean, 3, Park Dräi Eechelen, 1499 Luxembourg-Kirchberg.
Steichen Collection, Clervaux
Dieser Tipp ist das Plus 1 in der Überschrift. Im Schloss Clervaux, das von Luxemburg Stadt circa eine Autostunde entfernt liegt, beherbergt die von der Unesco als Weltdokumentenerbe gelistete Fotografische Sammlung von Edward Steichen, die erstmals 1955 im MoMa in New York ausgestellt wurde. “The Family of Man” umfasst 503 Fotografien von 273 Fotograf*innen aus 68 Ländern, die Steichen mit einer Reihe Mitarbeitenden aus 4 Millionen gesammelten Fotografien auswählte. Das Ziel des Projektes war es, den Menschen in seinem Wesen zu erfassen. Die Perfektion wurde hierbei ausgeklammert, wodurch die pure unverstellte menschliche Geste, die Emotionen, die wir haben, wie wir uns bewegen, was uns bewegt in den Vordergrund rückt. Thematisch zusammengestellt werden Szenen, in denen Menschen essen, hungern, sich amüsieren, leiden, lachen, Eltern werden oder Kind sind. Unausweichlich bewegen die Schwarz-Weiß Fotografien, denn sie betreffen alle Besuchenden. Ein Abstecher in die Dauerausstellung des Schloss Clervauxs sollte beim nächsten Luxemburg Besuch unbedingt in Erwägung gezogen werden.
WANN: “The Family of Man” ist eine Dauerausstellung.
WO: Schloss Clervaux, 9712 Clervaux Luxemburg, Luxemburg.
Vielen Dank für die Presse-Einladung nach Luxemburg.