Für immer Kind sein Lunita-July Dorn in der Galerie Judith Andreae
18. Februar 2025 • Text von Lara Brörken
Jetzt, mit Mitte zwanzig drängt sich das Erwachsenwerden auf, doch Lunita-July Dorns größte Sorge ist es, nie wieder Kind zu sein. Das Leben leben, nichts verpassen, sich nicht verschließen, genießen, wachsen und spielen – wie lässt sich das vereinen? In ihrer ersten, sehr intimen Solo-Show “+ am Ende nichts vermissen” in der Galerie Judith Andreae führen kleine Zeichnungen und große Leinwände an Kindheitsorte der Künstlerin zurück und manifestieren ihre Wünsche für die Zukunft.

Bis heute spenden Pfannkuchen mit Apfelmus einen besonderen Trost. Oder Kartoffelstampf und Blubb-Spinat. Essen der Kindheit hüllt in eine warme Decke der Erinnerungen und man wird sich seines absolut größten Privilegs bewusst: eine geborgene, behütete Kindheit. Manche gehen in regelmäßigen Abständen in den Tierpark in der Berliner Hasenheide und besuchen dort das Schwein, spazieren an der Grundschule vorbei, denken an sich in klein. Diese kindlichen Orte und Erinnerungen sind es, an die Lunita-July Dorns erste Solo Show “+ am Ende nichts vermissen” ihre Besucher:innen in der Galerie Judith Andreae mitnimmt. Apfelmus-Tierpark-Geborgenheit hat sich im Ausstellungsraum ausgebreitet. Und wie passend, dass sich die Galerie in einem alten Schulgebäude befindet!

Dorns sieben großformatigen Leinwände strahlen in den Raum. Grundfarben stoßen durch dunkle Flächen mit ähnlicher Kraft in den Vordergrund wie auch Pastelltöne. Im Zentrum sitzend, liegend, stehend oder schwebend ist die Künstlerin selbst dargestellt: Lula inmitten ihrer Möglichkeiten. Seit sie malt, ist sie ihr eigenes Motiv, arbeitet sich an sich ab, “glotzt sich an”, wie sie im Gespräch mit gallerytalk.net sagt. Ihr Gesicht ist am haptischsten ausgearbeitet, während ihr Körper Silhouette oder gar Kontur bleibt und sich gänzlich auf die Fläche ihrer Umgebung einlässt.
Jede Leinwand bildet ein Szenario ab, das sich aus Zukunft und Kindheit zusammensetzt. Mitten in ihren Zwanzigern setzt sich Dorn intensiv mit ihrem Erwachsenenleben auseinander. Wie kann das Kind in einem erhalten bleiben, wie kann es dieser schnellen Gesellschaft standhalten? Meist ruht Lula und hat doch alle Hände voll zu tun. Sie hält Bierflaschen, Becher, Schnittblumen oder Pokale in der Hand, im Mund eine Zigarette. In Dorns Arbeit “Love me Tender (für D.L.)” scheint sie gar bewegungsunfähig vor lauter zu haltender Genussmittel. Zum Glück hat sie einen dritten Arm, der es ihr ermöglicht, in eine Welt voller Wiesenblumen und Sonnenschein zu winken.

Ein kleines bisschen von der Realität abzurücken, schafft in Dorns Oeuvre immer wieder eine enorme Dynamik und Stärke. Als wäre es das Natürlichste, stets über sich hinauszuwachsen. Die Kraft des Absurden wohnt auch David Lynchs Werk inne, dem sie die Arbeit “Love me Tender (für D.L.)” widmet. Im Gespräch erzählt Dorn, wie sehr sie von Lynch geprägt wurde, dass seine Filme wie “Wild at Heart” absolute Eltern-Filme für sie sind – und dass mit diesem Film, angelehnt an eine der beiden Hauptfiguren, ihr Spitznamen “Lula” zu ihr fand.
Mit überschlagenen Beinen und einem verpackten Strauß Blumen in der Hand sitzt eine weitere Lula-Version vor schwarzem Grund. Kleine Farbfelder blinzeln durch das Dunkel, zeigen von Farbschichten und sind Spuren des Entstehungsprozesses, der Veränderung. Am oberen Bildrand leuchten ein blauer Streifen und ein gelber Kreis, vermutlich dämmert es. Blaue Stunde, ein lauer Sommerabend, aber die Laune ist irgendwie nicht so prickelnd. Herzlich unbeeindruckt blickt die Protagonistin nach rechts aus dem Bild heraus. Die Mundwinkel hängen spannungslos, die Augen sagen “Ist mir egal“. Aber auf lässig! Die Coolness fehlt niemals. Sie wird wohl gleich ihre Zigarette rauchen und sich später über die Blumen freuen.

Im Blick von Dorns Protagonistinnen liegt eine Gleichgültigkeit inne, eine flirtende Arroganz. Jeder Blick, jede Blume kann etwas Gutes bedeuten, aber ebenso etwas Schlechtes. Auch eine Schnittblume lässt irgendwann den Kopf hängen. Jedes Bild spielt mit den Betrachter:innen, Dorns Werke senden gemischte Signale und unterstreichen dabei immer die Unabhängigkeit der Dargestellten. Lula allein herrscht über ihren Weg. Sie hält den Pokal. Sie trinkt hier nur ihr Bier. Sie sitzt so unaufgeregt und ist dabei so aufregend. Will sie mit mir gehen? Ja, nein, vielleicht.
Wohin Dorn gehen will und woher sie kommt, liegen nah beieinander. Das verdeutlichen ihre 25 Bleistiftzeichnungen. Wie Tagebuchseiten erzählen sie von ihren frühkindlichen Erinnerungen an das Kreuzberger Prinzenbad, einen Zustand wie “Ewige Ebbe, ewige Flut”, den Tierpark mit den wütenden Ziegen am Engelbecken und fantastische Orte voller Fledermäuse. Dorn erzählt von Tagen, an denen sie sich gefiel, und anderen, an denen sie sich im Bett versteckte. Erstmals zeigt und erzählt sie auch von ihren Eltern, würdigt sie und hat sie öffentlicher lieb denn je. Erinnerungen und Zukunftsbilder sind dieselben, denn “Nie wieder Kind sein?” – das ist keine Option. Dann würde sie am Ende unendlich viel vermissen.

Dorns Arbeiten haben eine große Kraft. In der wiederkehrenden, unermüdlichen Auseinandersetzung mit sich selbst, im Abbilden der eigenen Ängste und Wünsche, legt Lunita-July Dorn ihre innere Landkarte offen. Sie liefert sich dem Blick von außen aus und stellt damit eines am deutlichsten heraus: die verletzliche Seite ist das beste Schutzschild. Die erwachsene Zukunft kann kommen, sie riecht nach Pfannkuchen mit Apfelmus.
WANN: Die Ausstellung “+ am Ende nichts vermissen” läuft noch bis Samstag, den 22. März.
WO: Galerie Judith Andreae, Paul-Kemp-Straße 7, 53173 Bonn.
Für Papa.