Über Nicht-Orte und die Einsamkeit
Lukas Korschan in der Artco Galerie

27. Juli 2022 • Text von

Wir alle kennen sie, diese Orte, die irgendwie raum- und zeitlos erscheinen, oft gesehen und doch übersehen werden und an denen wir viel Zeit unseres Lebens verbringen: Flughäfen, Bahnhöfe, Einkaufszentren oder Straßenränder. Sogenannte “Nicht-Orte” hat der Fotograf Lukas Korschan in den letzten Jahren auf Reisen eingefangen und zu einem Bildband zusammengefasst. In der Ausstellung “Könnte auch woanders sein” in der Berliner ARTCO Galerie werden derzeit einige seiner melancholischen und detailreichen Fotografien gezeigt.

Fotografie links: kleiner Ausschnitt aus dem Innenraum eines Schiffs, man sieht Wasser, Fotografie rechts: Detailaufnahme eines Menschen von hinten mit dunkler Haut und einem pinken Hemd, die Hand ist abgelegt
Lukas Korschan, Ship, 2019. // Lukas Korschan, Bus, 2019.

Der Begriff der “Nicht-Orte”, auf den Lukas Korschan in seinen Arbeiten Bezug nimmt, geht auf das gleichnamige Buch des französischen Anthropologen Marc Augé zurück, das im Kontext der Modernisierung und Globalisierung die Zunahme von reinen Funktionsorten, wie Hotels, Einkaufszentren oder Flughäfen feststellt und der gesellschaftlichen Bedeutung dieser identitätslosen Räume näher auf den Grund geht. Das, was Marc Augé in seinem Buch beschreibt, visualisiert Lukas Korschan durch seine Momentaufnahmen und äußerst ausdrucksstarke Bildsprache. Wir sehen Detailausschnitte aus dem großen Konstrukt dieser generischen öffentlichen Orte: Menschen, die mit dem Rücken zu den Betrachter*innen gewandt an einem Bahngleis stehen oder am Wegesrand hocken, Blütenreste auf dem Boden, eine leere Straße mitten im Nirgendwo.

Ausstellungsansicht bei ARTCO Berlin und den Fotografien von Lukas Korschan, Hängung an einer Betonwand
Ausstellungsansicht in der ARTCO Galerie Berlin (c) Carolin Kralapp.

Die Gesichter der Personen, die wir hier sehen, sind nicht zu erkennen. In welchen Ländern oder Städten sich die Orte befinden, die wir hier sehen, wird aus den Bildern ebenfalls nicht erkennbar. Alles verschwimmt zu einer unbekannten Masse – ohne dabei den ästhetischen Anspruch zu verlieren. Bezeichnend an Lukas Korschans Fotos ist die Tatsache, dass es sich um tendenziell sehr belebte und turbulente Orte handelt. Bahnhöfe, Flughäfen oder Einkaufszentren sind höchstens zu Schließzeiten nahezu menschenleer. Seine Bilder vermitteln ein Gefühl der Einsamkeit und der Melancholie, gleichermaßen wie ein Pausieren, ein ruhiger Moment in dieser rasanten Welt. Die “Nicht-Orte”, die sowohl Lukas Korschan als auch Marc Augé beschreiben, sind umtriebig und von Bewegung gekennzeichnet. Sie werden zum Ausdrucksträger unserer heutigen Zeit, die mehr solcher Räume geschaffen hat. Wir bereisen den ganzen Globus, wollen schnell von A nach B kommen, schmeißen unser Geld in Palästen des Kapitalismus zum Fenster raus, machen Urlaub in riesigen Hotel-Komplexen, an Orten, die austauschbarer nicht sein könnten.

Fotografie rechts: eine Person auf einer Treppe, die neben einer Rolltreppe liegt, Aufnahme von oben an einem Hauptbahnhof, Fotografie rechts: stimmungsvolle Situation an einem Flughafen, ein Mann schaut mit seinem kleinen Kind aus den Fenstern, wo der Himmel hellt leuchtet
Lukas Korschan, Central Station, 2021. // Lukas Korschan, Airport, 2020.

Der zwischen Amsterdam und Berlin lebende Fotograf Lukas Korschan widmet sich in seiner künstlerischen Arbeit einem besonderen Phänomen unserer Zeit und beweist einmal mehr, dass wir Teil einer Welt sind, die niemals still steht. Er fängt flüchtige Momente ein, die von einer Alltagseinsamkeit gezeichnet sind und dennoch etwas Poetisches transportieren, ein Gefühl von Schönheit in der Stille und Einsamkeit des sonst so lauten Lebens. Sie zeigen Mikro-Ausschnitte einer umtriebigen Gesellschaft, die wir nicht in der Lage sind wahrzunehmen, weil die Sucht, auf das Smartphone und unsere digitale Realität zu blicken, uns davon abhält. In dem gleichnamigen Bildband zur Ausstellung hinterfragt der Künstler die Bedeutung von “Nicht-Orten” für uns als Gesellschaft und erzeugt dabei durch seine markanten Kompositionen, die bewusst gewählten Ausschnitte und Details eine Ästhetik, die man auf den ersten Blick nicht mit solch auf Funktionalität genormte Orten des öffentlichen Lebens, die hier inszeniert werden, in Verbindung setzen würde. Der Künstler ist stets auf der Suche nach dem einem Moment, nach dem einem Detail, das die Schönheit dieser “Nicht-Orte” in sich trägt. Es ist ihm gelungen, diese Merkmale individuell aufzuspüren und sie fotografisch festzuhalten.

WO: Die Ausstellung “Könnte auch woanders sein” läuft noch bis zum 13. August.
WANN: ARTCO Galerie Berlin, Frobenstraße 1, 10783 Berlin.

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