Das neue Zeitalter der Malerei
Louisa Gagliardi im MASI Lugano

28. Februar 2025 • Text von

Starre Blicke, sich auflösende Körper und eine leuchtende Strahlkraft. Louisa Gagliardi erweitert in “Many Moons” im MASI Lugano die Grenzen der traditionellen Malerei: Ihre Bildwelten entstehen digital am Computer und werden auf Leinwände gezogen. In immersiven Installationen wird ein regelrechtes Eintauchen in die teils fiktiven und surrealen Bildräume möglich.

1 Louisa Gagliardi MASI Lugano gallerytalk
Installation view, “Louisa Gagliardi: Many Moons”, MASI Lugano, Switzerland, photo Luca Meneghel © the artist.

Traumähnliche, teils surreale und magische Bildwelten eröffnen sich beim Betreten des Untergeschosses des Museo d’arte della Svizzera italiana – kurz MASI – im idyllischen Lugano in der Schweiz. Was auf den ersten Blick wie herkömmliche Gemälde auf Leinwänden aussieht, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als etwas völlig anderes. Die Oberflächen der Malereien bleiben weitestgehend flach, nur einzelne Details heben sich hier und da vom glatten Untergrund ab, einzelne Malschichten sind nicht erkennbar.

Die Gemälde und begehbaren Installationen von Louisa Gagliardi bedienen sich zwar der traditionellen Sprache der Malerei, sind aber vollständig digital mit der Maus am Computer entstanden, was ihr unzählige Möglichkeiten der Überarbeitung bietet, auf PVC oder Linoleum gedruckt und auf Leinwand oder Objekte gezogen. Die neuen Arbeiten, die in der Ausstellung zu sehen sind, beschäftigen sich mit der Natur, urbanen Räumen und dem häuslichen Umfeld. Gagliardi verhandelt in ihren Werken die Komplexität des modernen Lebens, indem sie es künstlerisch reflektiert und intime Momente schafft, in denen die Betrachter*innen für einen Moment durch das Schlüsselloch schauen und im Stillen dabei sein dürfen. Mit “Many Moons” zeigt das MASI Lugano die erste institutionelle Einzelausstellung der Künstlerin in der Schweiz.

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Installation view, “Louisa Gagliardi: Many Moons”, MASI Lugano, Switzerland, photo Luca Meneghel © the artist.

“Das Mondlicht hat in der Geschichte der Malerei eine lange Tradition”, betont Kuratorin Francesca Benini im Gespräch mit gallerytalk.net. Der Ausstellungstitel “Many Moons” hat nicht nur eine, sondern gleich mehrere Bedeutungsebenen: Er eröffnet einen Zeitbezug, denn der Stand des Mondes ändert sich ständig. Das Leuchten der digitalen Bildschirme, die für Louise Gagliardis Werk von zentraler Bedeutung sind, markiert den Übergang in die Gegenwart. Nicht nur auf der technischen, sondern auch auf der inhaltlichen Ebene lassen sich die Werke der Künstlerin auf vielfältige Weise lesen und interpretieren und in ein neues Zeitalter der Malerei überführen, das (fast) ohne Pinsel und Mischpaletten auskommt.

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Installation view, “Louisa Gagliardi: Many Moons”, MASI Lugano, Switzerland, photo Luca Meneghel © the artist.

Der Ausstellungsraum sollte für die Präsentation der Werke von Louisa Gagliardi so offen wie möglich gestaltet werden – mit Ausnahme von zwei eigens für die Ausstellung entwickelten begehbaren Räumen, die es den Besucher*innen ermöglichen, tiefer in die Bildwelten der Künstlerin einzutauchen und selbst Teil davon zu werden. Die Werke zeigen uns unbekannte Persönlichkeiten, die mal ernst den Blickkontakt suchen, mal nachdenklich in die Ferne schauen. Die Szenerien sind fiktiv, entstammen zum Teil aber realen Orten wie dem Amsterdamer Flughafen Schiphol oder einem Hotelzimmer in Shanghai, das die Künstlerin mit ihrem Partner während einer Reise bewohnte.

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Installation view, “Louisa Gagliardi: Many Moons”, MASI Lugano, Switzerland, photo Luca Meneghel © the artist.

Einzelne Personen scheinen sich aufzulösen, Körperteile entfernen sich voneinander, Schatten zeichnen sich ab, Flächen scheinen fast magisch zu leuchten. Welche Geschichten die Bilder genau erzählen, wird nicht eindeutig vorgegeben – der Interpretationsspielraum bleibt immer geöffnet. Manche Arbeiten tendieren eher in eine träumerische Richtung, andere lösen Unbehagen und ein beklemmendes Gefühl aus, das durch Bildelemente wie ein überdimensionales Schloss oder einen Körper, der sich mit dem Kopf immer mehr in Richtung eines Treppengeländers zu bewegen scheint, verstärkt wird. Was geht hier vor sich?

In zwei begehbaren Installationen erweitert sich das Bildspektrum im wahrsten Sinne des Wortes – statt nur vor der Leinwand stehen die Betrachter*innen nun mittendrin, umgeben von großen, unbekannten Figuren und skulpturalen Objekten wie bedruckten Sesseln und überdimensionalen Großuhren, die mit persönlichen Widmungen und Initialen von und für enge Vertraute und Familienangehörige versehen sind. Immer wieder finden sich in den Bildwelten kleine “Easter Eggs”, wie Gagliardi sie nennt, sowie malerische Details, die sich von den überwiegend glatten Oberflächen abheben. Das können Glanz- und Glitzerschichten sein, die mit Gel und Nagellack aufgetragen wurden, aber auch kleine Objekte im Bild – die Initialen L.G., eine glimmende Zigarette im Aschenbecher oder kleine Silbermünzen. Begebt euch selbst auf die Suche.

5 Louisa Gagliardi MASI Lugano gallerytalk
Installation view, “Louisa Gagliardi: Many Moons”, MASI Lugano, Switzerland, photo Luca Meneghel © the artist.

In “Many Moons” lädt die junge Malerin Louisa Gagliardi dazu ein, in ihre wundersamen Welten einzutauchen, die manchmal dystopische Visionen offenbaren, während andere Werke spannende und rätselhafte Szenarien schaffen. Die Kunstwerke stecken voller Kontraste und bewegen sich irgendwo zwischen natürlichen und vollkommen künstlichen Umgebungen, zwischen realen und surrealen Momenten. Das ist also die neue Ära der Malerei, die ein altes und traditionsreiches Medium in unsere digitalgeprägte Zeit übersetzt.

WANN: Die Ausstellung “Many Moons” läuft bis zum 20. Juli.
WO: Museo d’arte della Svizzera italiana, via Canova 10, 6900 Lugano, Schweiz.

Vielen Dank für die Presse-Einladung nach Lugano und die Übernahme der Reisekosten.