Loos als Ornament
LAX BAR in Wien

24. Mai 2019 • Text von

Der Luftraum duckt sich und streckt sich ins Unendliche: Spiegel an den Decken erweitern die obligatorischen Seitenfelder zum Deckenabschluss. Nach der Geburt des Projekts in Los Angeles und einem Zwischenstopp in Brüssel, kommt Loos’ American Bar als Adaption „LAX BAR“ im Rahmen der Wiener Festwochen nach Wien.

Christoph Meier, Ute Müller, Robert Schwarz, Lukas Stopczynski: LAX BAR, 2019. © Foto: Ute Müller.

Welcome to LAX – Welcome to Los Angeles International Airport? Vom Hauptbahnhof sind es nur wenige Minuten in die Laxenburger Straße. Den Festwochenbesucher*innen ist diese Ecke der Stadt durchwegs bekannt: Das kleine Häuschen mit den markanten quadratischen Leuchtbuchtstaben nach der Tankstelle musste beim Besuch der Gösserhallen im Vorjahr einfach auffallen. Einige Buchstaben fehlten bis vor Kurzem. Der Name des Geschäfts war trotzdem lesbar: Schallplatten Brigitte. 1959 eröffnet, damals als das erste Schallplattengeschäft Wiens, erfährt es diesen Monat eine temporäre Reaktivierung als Rauminstallation mit Barbetrieb. Die von Christoph Meier, Ute Müller, Robert Schwarz und Lukas Stopczynski konzipierte „LAX BAR“ ist die Fortsetzung eines in L.A. gestarteten Projekts, das Adolf Loos’ „American Bar“ durch adaptiertes und fehlerhaftes Kopieren als eine Rauminstallation auf Reisen schickt und das jetzt in einer Wiener Version im Rahmen der Festwochen zu sehen ist. Die „American Bar“ in der Wiener Innenstadt ist ein bedeutendes Interieurs der aufkommenden Moderne. Entworfen wurde sie von dem österreichischen Architekten und Architekturkritiker Adolf Loos, der sich mit seinen Schriften – besonders seinem Hauptwerk “Ornament und Verbrechen” – kritisch gegenüber der in Wien “wuchernden” Anwendung von Ornamenten in der Architektur positionierte.

Freitagabend, die Eröffnung: Auf den ersten Blick erkennt man die in das Schallplattengeschäft hinein gebaute Loos-Bar nur ansatzweise. Allmählich ordnet sich der erste Eindruck des Raums. Die Details des Loos’schen Entwurfs von 1908 und die Erinnerungen an den letzten Besuch im Original im ersten Bezirk von Wien werden abgeglichen: Die Spiegel, – ja – die zwei Kojen mit den Sitzbänken, die Deckenfelder und die Querträger – Moment: Gab es einen gefliesten Boden? Wahrscheinlich, vielleicht. Das sind die Sekunden, in denen man als Besucher*in genauer hinschaut. Viele Elemente des Originalentwurfs tauchen in der „LAX BAR“ auf und werden beinahe zum Ikonenhaften übersteigert. Die Unsicherheit, die entsteht während man den Raum mit den Augen absucht, macht die dritte Kopie oder Re-Inszenierung interessant.
Musik umrundet die Atmosphäre: Sie unterzieht sich denselben Skalierungsfaktoren, die auch Loos’ Original-Grundriss bei jeder ortsspezifischen Einpassung adaptieren. Die Gebäudedecke in der Schallplatten Brigitte hängt tiefer als im Original. Das Piano folgt diesem Tiefzug und ist nach unten gestimmt. Der Luftraum duckt sich und streckt sich ins Unendliche: Spiegel an den Decken erweitern die obligatorischen, spiegelnden Seitenfelder des Loos’schen Originals zum Deckenabschluss. Es entsteht eine Paravent-Welt, die Besucher*innen einen Blick über die Wände hinaus in die nächste Raumsequenz erhaschen lassen möchte. Die weiß-spiegelnden Fliesen bleiben das formale Charakteristikum der „LAX BAR“. Sie unterteilen mit ihrem schwarzen Fugenbild alle Oberflächen der Bar in gleichförmige Quadrate. Bartresen, Wände, Nischen und Boden werden zu einer homogenen Oberfläche, die – laut Installationsbeschreibung – von den Innenräumen des Künstlers Jean-Pierre Raynaud inspiriert ist.

Christoph Meier, Ute Müller, Robert Schwarz, Lukas Stopczynski: LAX BAR, 2019. © Foto: Ute Müller.

Ungefähr zeitgleich mit Raynaud arbeitet auch das in Florenz gegründete Architekturkollektiv Superstudio ab den späten 60ern an dystopischen Stadtentwürfen mit homogen überzogenen Großstrukturen. Ebenfalls weiß gekachelt, gingen diese unter dem Titel „Continuous Monument: An Architectural Model for Total Urbanization“ in die Architekturgeschichte ein. Superstudios Fiktionen kritisieren spätmodernen Städtebau und die in diesem Zuge von der Architekturmoderne über jeden Kontext hinweg geschaffene Gleichförmigkeit. In ihrer Formensprache greifen sie – ähnlich wie Loos – auf das Quadrat und das Raster als raumbestimmende Elemente zurück. Die übersteigerte Monumentalität und haptische Glätte dieser Entwürfe werfen unweigerlich Fragen nach der ikonischen Repräsentation des Architekten Adolf Loos im Setting der „LAX BAR“ auf.

Alle Referenzen im Raum sind für sich spannend. Sie könnten einzeln nebeneinander stehen und wir würden uns an jeder ästhetischen Ausformulierung erfreuen. Im Zusammenspiel entwickeln sie jedoch eine müßige Überstilisierung einer Persönlichkeit, die scheinbar die einzige Essenz der österreichischen Architekturmoderne ist. Die geographische Transposition vom ersten Bezirk nach Favoriten trägt ein bisschen Exotik bei. Jedoch veranlasst Loos’ Aura die Künstler*innen bezeichnenderweise die leicht verfallene Fassade des Schallplattengeschäfts zur Eröffnung wieder in voller Buchstabenfülle erscheinen zu lassen.

Man bleibt also ein bisschen unsicher, wo man jetzt eigentlich ist: in einer Kopie, in einer stilisierenden Hommage, im adaptierten Original oder doch einfach in einem leer stehenden Schallplattengeschäft mit temporären Barbetrieb? Man erfreut sich an der Glattheit und der Homogenität, die Loos ein weiteres Mal als großen Meister hervorhebt und ihn selbst zu einem Ornament macht. Die Oberfläche der Installation ist so glatt, dass sie fast schon trügt. Unsicher sucht man nach Rillen, Rauheiten und gebrochenen Fliesen. Und es bleibt die Frage, wen wir wie kopieren wollen.

WANN: Die Rauminstallation ist am 29. Mai und vom 30. Mai – 16. Juni, jeweils Donnerstag bis Sonntag, von 17 bis 22 Uhr geöffnet. Der Barbetrieb beginnt am 31. Mai, sowie am 7. und 14. Juni um 19 Uhr. Ein Künstler*innengespräch findet am 6. Juni um 19 Uhr in der Installation statt.
WO: LAX BAR, Laxenburger Straße 4, 1100 Wien. Mehr hier.

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