Stählernes Utopia Lisa Seebach im Lechner Museum Ingolstadt
23. August 2024 • Text von Julia Anna Wittmann
Rätselhafte Objekte bevölkern die Räumlichkeiten des Lechner Museums in Ingolstadt. In ihrer bisher größten musealen Einzelausstellung “Earthy Liquids and Heavy Metal [Hypersleep]” zeigt Lisa Seebach eine umfangreiche Auswahl skulpturaler Arbeiten und Installationen. Figurative Keramiken und stählerne Architekturen fügen sich zu einer Assemblage der materiellen Gegensätze in einer dystopischen Landschaft zusammen.
Die Szenerie im Erdgeschoss des Lechner Museums erinnert an die Überreste einer hastig verlassenen Gartenparty. Die Ballons sind bereits zu Boden gesunken, ein Gartenstuhl, ein Grill, eine Spüle und zwei silber glänzende Fässer komplementieren diesen ersten Eindruck nach Betreten der Ausstellung “Earthy Liquids and Heavy Metal [Hypersleep]”. Lisa Seebachs Skulpturen und Installationen erwecken Assoziationen eines einschneidenden Ereignisses – ob das unterschwellig angedeutete Unglück bereits stattgefunden hat oder noch bevorsteht, ist dabei unklar. Ein Kaleidoskop zahlreicher Meta-Erzählungen fächert sich zwischen den filigranen Skulpturen aus Stahl und Keramik auf.
Lisa Seebachs Skulpturen wirken wie dreidimensionale Skizzen vor den weißen Wänden der umgebauten ehemaligen Fabrikhalle des Lechner Museums. Schwarz glänzende, bauchige Objekte mit gewundenen Stangen umkreisen eine aus wenigen Stahlstäben zusammengesetzte Rotunde. Die Installation “Sleepover for Dreamers [Smells Like Teen Spirit]” erweckt den Eindruck von zu Boden gesunkenen Ballons. Dabei ist eine materielle Dialektik zu beobachten, die sich charakteristisch durch Seebachs Oeuvre zieht: Die gegensätzliche und zugleich harmonische Verwendung von scheinbar schwerer Keramik und leichtem Stahl.
Die ebenfalls mit wenigen Stahlstäben angedeutete, architektonische Konstruktion der Installation “And It Was All A Dream” agiert als Mittelpunkt für ein Ensemble aus figurativen, lebensgroßen Skulpturen. Zusätzlich zu zwei metallisch glasierten Keramik-Fässern erinnern mehrere, aus dünnen Metallplatten zusammengeschweißte Objekte an vertraute Alltagsgegenstände: eine Sitzgelegenheit, ein Grill, eine Küche und eine Armbanduhr. Der Eindruck einer unmittelbar verlassenen Zusammenkunft entsteht. Die Armbanduhr auf der Arbeitsfläche der Küchenzeile scheint hastig zurückgelassen. Ob Lisa Seebachs im Hintergrund zu entdeckende Arbeit “Ultimate Force [Running Out of Your Mouth Like Ectoplasm]” der Grund zur Panik war?
Den Besucher*innen blickt eine aufgerissene Fratze mit spitzen langen Zähnen und tropfendem Speichel entgegen. Die an der hintersten Wand des Untergeschosses angebrachte Keramik wirkt wie die comicartige Materialisierung eines Albtraumes, gruselig und humoristisch zugleich. Die figurativ abstrakt wirkenden und ebenfalls aus Stahl und Keramik zusammengesetzten Arbeiten “Fluchttunnel” und “Blitzschutzanlage” unterstreichen mit ihrer Titelgebung den Eindruck der latenten Gefahrensituation.
Im Obergeschoss des Museums ist die spürbare Ambivalenz zwischen Utopie und Dystopie in einem Schriftzug aus Keramik lesbar. Der Titel der Arbeit “Club Utopia” ist als matter Schriftzug auf einer Stahlkonstruktion angebracht und erinnert dabei an amerikanische Billboards, plakatiert mit kapitalistischen Versprechen. Die Buchstaben wirken ausgeblichen, hastig glasiert und fleckig. Der utopische Eid scheint in die Jahre gekommen und es bleibt offen, ob die ersehnte Utopie je eingetreten ist. Nichtsdestotrotz zeugt der Schriftzug von einem hoffnungsvollen Vertrauen in die Zukunft.
Eine starke Material-Stringenz und charakteristische Formensprache durchzieht Lisa Seebachs Oeuvre. Im Lechner Museum ist eine große Auswahl aktueller Arbeiten zu sehen, die einen gemeinsamen Dialog treten und zahlreiche Meta-Narrative aufspannen. Die Ausstellung “Earthy Liquids and Heavy Metal [Hypersleep]” skizziert eine dystopische Landschaft, bevölkert von vertrauten Objekten, geformt aus Stahl und Keramik. Ob die Besucher*innen Teil des “Club Utopia” sind oder zwischen den zahlreichen Skulpturen doch eher den Schauplatz einer Dystopie erkennen bleibt unklar – das Erkunden der Ausstellung lohnt sich in beiden Fällen.
WANN: Die Ausstellung “Earthy Liquids and Heavy Metal [Hypersleep]” ist noch bis Sonntag, 9. März zu sehen.
WO: Lechner Museum, Esplanade 9, 85049 Ingolstadt.