Bis zur Unkenntlichkeit Lindsay Lawson in der Efremidis Gallery
21. Februar 2022 • Text von Julia Meyer-Brehm
Reptiloide Texturen, unscheinbare Kreaturen und fantastische Auswüchse: In der Efremidis Gallery verschmelzen Tierisches und Menschliches auf wundersame Weise. In ihrer Ausstellung „Apophany!“ ist Lindsay Lawson nicht nur gewohnt politisch, sondern spielt auch mit den Zufälligkeiten.
Eine leuchtende Muschel aus dem 3D-Drucker empfängt die Besucher*innen der Efremidis Gallery gleich am Eingang der Räumlichkeiten. Stumm flackert sie vor sich hin. Die Arbeit heißt „Prime Time“ und tatsächlich imitiert das flimmernde Licht ein blinkendes Fernsehgerät um 20:15 Uhr. Oder handelt es sich bei dem unregelmäßigen Lichtintervall doch um einen Code?
Wo wir auch schon beim Thema wären: „Apophany!“ heißt Lindsay Lawsons Einzelausstellung in der Efremidis Gallery. Unter Apophänie versteht man die Neigung, Muster zu erkennen. Mitunter auch dort, wo gar keine vorliegen. Wer an Stellen Verbindungen vorfindet, an denen gar keine bestehen, dem wird mitunter eine pathologische Auffälligkeit unterstellt – oder gar eine psychische Störung.
Und doch kann die Fähigkeit, Muster oder Regelmäßigkeiten zu erkennen, überlebenswichtig sein. Etwa dann, wenn man im Sumpfgebiet des Amazonas plötzlich reptiloide Texturen am Boden wahrnimmt. Apropos reptiloid: Auch einige von Lindsay Lawsons Arbeiten sind beschuppt. Wie erlegte Krokodile sehen die Caps aus, die bei Efremidis an der Wand hängen. Tritt man näher, erkennt man, dass sie aus hunderten kleinen Steinen bestehen, deren Farben genau an die typischen Muster der Kopfbedeckungen angepasst sind.
Gleich daneben schimmert es verlockend: Riesige silberne Skulpturen hängen dort an der Wand. Auch sie stammen aus dem 3D-Drucker und ähneln überlebensgroßen Muschelschalen. Sie dienen als Behausungen für ungewöhnlich geformte Objekte, die so zufällig entstehen wie echte Muschelperlen. Lawson trägt Perlglanzfarben auf 3D-Drucke auf, die dabei anschwellen und sich ausdehnen. Die Ursprünge der wunderschönen Verformungen sind teilweise kaum noch zu erkennen.
Lawsons Gemälde greifen die Titelbilder von Massenmedien auf. Zumindest lassen sich diese erahnen: Als Leinwand dient Krokodillederimitat, wodurch die aufgetragene Malerei verzerrt und abstrahiert wird. Aufmerksame Leser*innen erkennen Zeitungen wie The New Yorker, National Geographic oder TIMES Magazine. Je näher man an die Werke herantritt, desto undurchschaubarer werden sie.
Dann ist da noch ein Einsiedlerkrebs, den man am Galerieboden beinahe übersieht. Das blassblaue Tier hat sich in einer Tasse mit dem Schriftzug „Theranos“ niedergelassen. Wer etwas in den eigenen Erinnerungen kramt, erinnert sich, dass Theranos ein US-amerikanischer Pharmakonzern war, der sich 2015 als riesiger finanzieller Beschiss herausstellte. Die Tasse zeugt als Überbleibsel von dieser skandalösen Geschichte, wurde jedoch schon von einem Krebstier angeeignet und wandelt nun entfremdet in unser Unterbewusstsein.
Lindsay Lawsons Werke sind fantastische Verknüpfungen von Assoziationen und Erinnerungen. Sie verbinden Tierisches, Menschliches und alles, was sich irgendwo dazwischen befindet. Die Künstlerin verändert und verzerrt die Wirrungen der Gegenwart zu ambivalenten Arbeiten. Oftmals bis zur Unkenntlichkeit – und dann noch ein kleines bisschen weiter.
WANN: Lindsay Lawsons Einzelausstellung „Apophany!“ läuft noch bis Donnerstag, den 3. März.
WO: Efremidis Gallery, Ernst-Reuter-Platz 2, 10587 Berlin.