Limits of Care
Die Majhi International Art Residency in Berlin

2. September 2020 • Text von

Die diesjährige Majhi International Art Residency lädt die teilnehmenden Künstler*innen dazu ein, die eigenen Möglichkeiten und Grenzen zu reflektieren. Mit dem dreiwöchigen Projekt soll der künstlerische Austausch zwischen Asien und Europa gestärkt werden. Der Fokus liegt dabei weniger auf konkreten Ergebnissen, als auf einem Dialog.

Menschen sitzen vor bunter Kulisse auf rosafarbenen Plastikstühlen. Still aus einer Videoarbeit von Belle Phromchanya.
Belle Phromchanya: “Capital of Mae La”, Video still, 2019 single channel video, sound, color, 38:00 min. Courtesy: the Artist.

Es ist kaum möglich, eine passende Übersetzung für das Wort „care“ zu finden: Zuwendung, Fürsorge, Achtsamkeit, Umsicht, Pflege – all diese Facetten bilden Teilbereiche einer schwer zu fassenden Gesamtheit ab. Ebenso vielschichtig wie der Begriff ist das Programm der diesjährigen Majhi International Art Residency in Berlin. „How to shape a society of care?“ lautet die Leitfrage der Zusammenarbeit, die von Diskussionen, Vorträgen und Workshops umrahmt wird.

Die von Kunstsammler und Stifter Durjoy Rahman gegründete Durjoy Bangladesh Foundation mit Sitz in Dhaka richtet die Majhi International Art Residency zum zweiten Mal aus. Nachdem 2019 die erste Ausgabe in Venedig stattgefunden hat, ist für die Berliner Edition die Kuratorin Zippora Elders eingeladen worden, eine Verbindung zwischen Künstler*innen aus Europa und Südostasien, darunter Thailand, Bangladesch und der Türkei, sowie den USA und Australien herzustellen. Aus Elders Feder stammt nicht nur die Leitfrage des Programms, sondern auch die Auswahl der Teilnehmer*innen. Unter den S-Bahnbögen der Jannowitzbrücke arbeiten Rajkamal Kahlon, Umut Yasat, Orawan Arunrak, Johannes Büttner, Omar Chowdhury, Belle Phromchanya und Bussaraporn Thongchai drei Wochen zusammen und reflektieren und diskutieren dabei diverse Aspekte des Care-Begriffs. Zwischen dem Donnerstag, den 10. September, und Samstag, den 12. September, findet die finale Präsentation der dabei entstandenen Werke statt.

Installation von Johannes Büttner mit von der Decke hängenden Screens.
Johannes Büttner: “The Factory”, Installation, dimension variable Courtesy: the Artist.

„Mich interessieren vor allem die Antworten der Künstler*innen, sagt die Kuratorin Zippora Elders auf die Frage, in welchen Bereichen der Gesellschaft ein Mangel an Fürsorge herrscht. „Der Untertitel unseres Programms lautet ‚On kinship and multiple homes‘ und erlaubt Gespräche darüber, wie man Care finden oder geben kann, wenn man zum Beispiel queer oder Migrant*in ist oder einen diasporischen Hintergrund hat.“

Elders, die aus den Niederlanden kommt, lebt sowohl in Berlin als auch in Amsterdam, wo sie am Foam Museum für Fotografie und am Stedelijk Museum tätig war. Derzeit ist sie Direktorin des Kunstfort bij Vijfhuizen und Ko-Kuratorin für sonsbeek20->24 . Wie kann eine Residency für den künstlerischen Prozess förderlich sein? „Wir werden die Antwort darauf erst kennen, wenn es vorbei ist. Das Zusammenkommen von Künstler*innen und die gemeinsame Praxis führen dazu, dass die Teilnehmer*innen Veränderungen durchlaufen und neue Verbindungen knüpfen. Wir führen viele Gespräche zum Thema und werden sehen, was daraus entsteht. Es ist ein andauernder Prozess.“

Stapel-Skulptur von Umut Yasat. Links eine Detailansicht, rechts die gesamte Skulptur.
Umut Yasat: “Der Stapel 28” (detail), 2019, Foam, air, plastic, iron, copper, clay, paper, adhesive, Cardboard, ink, Pencil, Aluminum, Glass, Whiskey, Tobacco, Wood, Leather, Wool, Cotton, toothpaste, hair, paint, steel, stainless steel, cork, 175x42x51cm. © GNYP Gallery. // Umut Yasat: “Der Stapel 28”, 2019, Foam, air, plastic, iron, copper, clay, paper, adhesive, Cardboard, ink, Pencil, Aluminum, Glass, Whiskey, Tobacco, Wood, Leather, Wool, Cotton, toothpaste, hair, paint, steel, stainless steel, cork, 175x42x51cm. © GNYP Gallery.

Ebenfalls an den Gesprächen beteiligt sind Gäste wie das Kollektiv Soy Division, Willem de Rooij oder Melanie Bonajo. Mit Letzterer diskutieren die Teilnehmer*innen über das Thema „On kin and futures“. Bonajos Arbeit dreht sich um Kontaktzonen, Berührungen und körperliche Intimität. Sie ist Mitbegründerin der Initiative „Skinship“, einem berührungsbasierten, Sex(worker)-, Interspecies- und LGBTQI+-positiven Ort in Berlin, der verschiedene Ebenen von „kinship“, also sozialen Gefügen, erforscht. Schnell entspinnt sich innerhalb der Gruppe eine Diskussion über Bedürfnisse. Wie und in welchem Ausmaß leisten Künstler*innen Care-Arbeit, sind sie Caregiver oder -receiver? Wie spiegelt sich diese Arbeit in ihrer künstlerischen Praxis wider?

Während über den Köpfen der Teilnehmenden lautstark die S-Bahn hinwegbrettert, findet darunter ein beeindruckend sensibler Austausch über Awareness statt. Es geht um das Zuhören als wichtiger Faktor künstlerischer Tätigkeit und um Zeit, die dafür aufgebracht werden muss. Gleichzeitig wird das Bedürfnis nach Abgrenzung und der Fähigkeit, sich und anderen Grenzen zu setzen, laut. Wie lassen sich Intimität und Care-Arbeit mit Kunst vereinbaren? Diese Fragen scheinen alle anwesenden Künstler*innen zu verbinden. Es herrscht eine emotionale, zugängliche Atmosphäre – ein Umfeld, in dem kritische Reflexion und authentischer Gedankenaustausch vorstellbar sind.

Installation von Orawan Anrunrak, mit der mehrere Personen interagieren.
Orawan Anrunrak: “Counting”, 2019, Installation, dimension variable. Photo: Wolfgang Bellewinkel. Courtesy: the Artist.

„Trotz Covid-19 ist es gelungen, eine diverse Künstler*innenschaft nach Berlin einzuladen, die mit unterschiedlichen Medien arbeiten. Natürlich ist es spannend, nach drei Wochen etwas präsentieren zu wollen. Statt eine Lösung zu erarbeiten, soll es aber vor allem darum gehen, zu zeigen, wie die Zusammenarbeit funktionieren kann. Ziele sind der Austausch und langfristige Netzwerke“, so Zippora Elders.

WANN: Die öffentliche Ausstellung der Majhi International Art Residency ist von Donnerstag, den 10. September, bis Samstag, den 12. September zu sehen.
WO: Der Bogen, An der Michaelbrücke 1, 10179 Berlin

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