Schokobrötchen in der Church "Like A Prayer" bei Ebensperger
5. Februar 2025 • Text von Team
Eine Ausstellung, zwei Perspektiven: In einem Berliner Café philosophieren unsere Autorinnen Lara und Carolin inspiriert von ihrem “Like A Prayer”-Besuch bei Ebensperger über ihr Verhältnis zur Religion, persönliche Anekdoten und die Bedeutung christlicher Symbole in der Popkultur. Was ein Schokobrötchen damit zu tun hat? Lest selbst.

Durch die schweren Metalltüren geht es immer der kleinen qualmenden Zigarette nach, dem Logo der Galerie Ebensperger. Sie lotst den Weg tiefer in den Fichtebunker hinein hin zur richtigen Tür. Es fühlt sich unterirdisch an, nasskalt und es riecht nach Erde und Beton. Mit Öffnen der Tür wird es hell und ein gesungener Choral und Streicher heben die Raumstimmung empor. Tudor Ciurescus großer silberner Cherubim steht auf seinem Sockel, mit zwei Knarren ausgestattet, bewacht ganz im Sinne seiner Rolle den Eingangsbereich. Einen Lauf richtet er auf den eigenen Kopf, das ewige Beschützen schlaucht ihn gar zu Tode. Leben am Limit. Dahinter prangt Ciurescus stählernes Kreuz, das keinen Zweifel mehr am kirchlichen Überbau der Ausstellung lässt. Es schaudert einen, es ist wirklich kalt und dann dieser Chor, die hoch gesungenen Töne, das Dröhnen und dieses Kreuz.

Lara: Mich wirft diese Stimmung zurück in die Menge des Justice-Konzerts auf dem Melt!-Festival 2012. Alle meine Freunde komplett hyped und ich irgendwie auch dabei. Auf der Bühne leuchtete ein Kreuz im Nebel auf, die beiden Bandmitglieder blieben bloß schattenhafte Figuren dahinter und die Menge geriet in absolute Ekstase. Die Verehrung gegenüber des Elektronika-Duos breitete sich ungebremst aus, die überwiegend männliche Masse machte sich Luft und mich beklemmte sie. Düster, fast punkig und dann doch die pure Disco – und ein bisschen Gottesdienst? Ich erinnere mich, dass ich es nicht für ausgeschlossen hielt, dass sich gleich alle kollektiv auf ihre Knie werfen. Mir hat das Angst gemacht und ich habe das Konzert dann aus der Ferne verfolgt und das flackernde Justice-Kreuz über der Masse beobachtet.
Überhöhung egal in welchem Kontext, uff spooky. Und dann diese vernebelten Herren auf der Bühne, eine schattenhafte Erscheinung, wie sie auch Sarah Neumanns Malereien zeigen. Auch durch ihre Werke scheint eine Nebelschwade zu ziehen, die jeglichen Formen und Figuren die Kontur aufweicht. Das Flüchtige, die Gestalt, die im Halbdunkel existiert – wen gruselt es da nicht ein bisschen? Und ja, wenn davor dann Tausende Menschen berauscht den Verstand verlieren und grölen, das erschlägt einen und so sehr ich die Band auch mag und wichtige Jahre mit den Songs verbinde, da war für mich eine Grenze erreicht.

Carolin: Beim Streifen durch die Räume wiederholen sich akustisch immer wieder folgende Worte: Start Up. Break Down. Burn Out. Sie bohren sich tief ins Gehirn und gehören zu einer Arbeit von Jens Pecho. Es sind Worte aus der Arbeitswelt, die das Hamsterrad beschreiben, das wir alle kennen. Ich fühle mich fast ertappt. Woran arbeite ich mich eigentlich ab? An meinem eigenen Wahnsinn? An meinem Selbstwert, der sich über Produktivität definiert? Meine erste Assoziation: Klar, die Arbeit wird zur Religion. In unserer Gesellschaft wird sie zum Objekt der Verehrung, dem wir uns hingeben, uns selbst aufgeben, um Anerkennung zu finden.
Mein zweiter Gedanke führt mich zu meiner eigenen Beziehung zur Religion. Nach meiner Konfirmation blieb ich der evangelischen Kirche noch eine Weile treu und engagierte mich als Betreuerin – eine Art “ehrenamtliche Arbeiterinpäpstin*”. Auch Taizé spielte damals eine große Rolle für mich. Der ökumenische Männerorden in Frankreich ist bekannt für seine Jugendtreffen, bei denen Teilnehmer*innen aus aller Welt zusammenkommen. Die ökumenische Bewegung strebt eine weltweite Verständigung und Zusammenarbeit der verschiedenen Konfessionen des Christentums an.
Was Taizé besonders macht, ist der strukturierte Tagesablauf und die Konzentration auf das Wesentliche. Der Ort ist spartanisch und die Gottesdienste, die von den Brüdern der Gemeinschaft gehalten werden, sind ungewöhnlich. Dreimal täglich versammeln sich alle in einem riesigen Raum, sitzen auf dem Boden und singen wiederholende Taizé-Gesänge, bis ein tranceartiger Zustand entsteht. In dieser Zeit habe ich viel geweint. Start Up. Break Down. Burn Out. Nur eben in Taizé. Wann ein Lied endet, bestimmten die Brüder. Diese Wiederholungen können tief berühren und antreiben, aber auch genauso in den Wahnsinn führen.

L: Ja, die Brüder dann auch! Na klar. Und wenn du das erzählst, entsteht da wieder diese Schwere auf der Brust, die diese Menschenmassen, die ein und dasselbe verehren, in mir auslösen. Joschua Yesni Arnauts Arbeiten fangen das gut ein. In einer der vielen Kellerkammern drückt sich ein Grabstein in Form eines aufgeschlagenen Buches mit aller Kraft auf einen Bodysuit. Die muskuläre männliche Silikonbrust wird zerdrückt, der schwere Stein schnürt der Hülle den Hals ab. Es ist, als würde die Luft in der Kammer mit Anblick der Arbeit direkt dünner, der Atem flacher. Eine Ausstellungskammer weiter hängt eine Fotografie im Lichtkegel. Darauf abgebildet ist Arnauts Mutter, die den Muskelanzug trägt. Die Mutter in der Männermasse, stark, aber auch erschöpft. Möglicherweise auch erschlagen, niedergeschlagen in gewisser Weise. Was nützen einem da die Muskeln. So viel Fassade, so viel Druck, so viel Patriarchat, das ist Kirche eben auch. Und mir wird da direkt wieder kalt.

C: Kalt ist ein gutes Stichwort. Ich war zweimal in Taizé, auf der Suche nach Gemeinschaft und Wärme in einer eher schwierigen Teenager-Zeit. An Gott und die Bibel habe ich nie wirklich geglaubt. Trotzdem bin ich nach meinen Aufenthalten in der französischen Brudergemeinschaft stolz mit dem Taizé-Kreuz herumgelaufen. Es war ein Erkennungszeichen. Ich wollte dazugehören. Und es war ein gutes Gefühl, ein Teil von etwas zu sein. Ich wollte ein “Gemeinsam-Päpst*” sein, wie es Lea Draeger in ihrer Arbeit “Papst” als eine von vielen Optionen anbietet.
Und “Like a Satellite” – während ich noch immer mit meinem Schmuckstück herumlief – schaffte es Taizé 2010 sogar ins Rampenlicht, auf die größte internationale Bühne – den Eurovision Song Contest in Norwegen. Denn auch Lena-Meyer Landrut hatte 2008 eine Woche in Taizé verbracht und trug das geschwungene Kreuz vor einem Millionenpublikum um den Hals. Doch am Ende, mit etwas Abstand betrachtet, blieb es für mich ein Moment der Illusion.
Inzwischen habe ich für mich Klarheit gefunden und der Kirche den Rücken gekehrt. Ich bereue die Erfahrungen in Taizé nicht. Für einen kurzen Moment glaubte ich, das gefunden zu haben, was ich suchte, um letztlich doch auf mich selbst zurückgeworfen zu werden – einsam auf der Bank, genauso wie die Nonne in Bianca Kennedys Videoarbeit “Nun of One”, die melancholisch und ganz auf sich allein gestellt das Kloster durchstreift.

L: Den Aspekt der Gemeinschaft sehe ich auch und ich muss, wenn ich die einsame Nonne auf den Holzbänken sitzen sehe, auch an eine Wärme denken. Die Wärme, die ich empfunden habe, als ich als kleines Mädchen mit meiner Oma in der Kirche war. Wir saßen auf diesen Bänken mit vielen anderen, ich habe mich sicher und geborgen gefühlt. Vor allem aber, weil ich mit Oma da war und weil ich ihr zugesehen habe, wie sie singt. Das wird für mich immer eine warme Erinnerung an die Kirche sein. Die Kirche ist an der Stelle meiner Erinnerung ein familiärer Raum, ein Raum der Gemeinschaft war sie dennoch nie. Ohne Oma würde ich mich heute auch fehl am Platz fühlen, so wie die zerknautschte einsame Nonne, die in Kennedys Videoarbeit über das leere Klostergelände streift. Die, die sich Idylle, Einkehr und Geborgenheit erhofft und dann da sitzt, alleine unter einem prächtigen Dach.
Apropos prächtiges Dach: Ich erinnere mich auch noch sehr gut an das erste Semester Kunstgeschichte, in dem erst mal das Thema Sakralbaukunst auf den Tisch kam. Da wurden dann die Vokabeln gelernt. Pilaster, Wasserspeier, Schwibbogen, Vierung – sowas. Wir Erstis hatten uns das alles blumiger vorgestellt, hatten wenig Lust, uns Grundrisse anzusehen und Vokabeln abgefragt zu werden. Wenn ich hier jetzt die Papp-Baldachine von Tobias Koenig sehe, kann ich mich ganz anders für sakrale Bauten begeistern, ihre Kleinteiligkeit, die Pracht, die in der Masse von Details entsteht. Und ihr unvorstellbares Alter! Da werde ich ehrfürchtig, fühle mich tendenziell klein.

Die Wendeltreppe hoch, offenbart sich noch ein weiterer Ausstellungsraum. Von hier dröhnt der Sound einer weiteren Videoarbeit nach unten, hier oben singt der epische Chor mit den dramatischen Streichern. Und hier oben brennt Notre Dame. Laura Gaiser hat diesen kollektiven Schocker live mit ihrer Kamera eingefangen und die Bilder zu einem lebhaften Film zusammengeschnitten. Auch ein Moment, der sich buchstäblich eingebrannt hat. Wie dieser hölzerne Turm eingestürzt ist, ich werde es nie vergessen. Und dann diese Geschwindigkeit, mit der Unsummen für den Wiederaufbau gesammelt wurden.
Kirchen sind umgeben von Superlativen. Auch da stockt einem der Atem. Wie identitätsstiftend diese Gebäude sind, es ist faszinierend. Im Film schmilzt ein Schokoladen-Jesus. Er schmilzt so dahin, wie innerhalb der Kirche damals die goldenen Figuren geschmolzen sind.
C: Beim Anblick des zerschmelzenden Schokoladen-Christus in der Ausstellung wird prompt noch eine prägnante Erinnerung an die Zeit in Taizé wach: das Frühstück. Ohne Teller, Besteck oder Tablett haben wir morgens eine weiße Schrippe, dazu ein Stück Butter, eine Plastikschale Kakao oder Tee und zwei längliche Stücke Schokolade gereicht bekommen. Diese ungewöhnliche Kombination forderte die Kreativität heraus: Ich schob die Schokolade ins Brötchen und verzichtete auf Butter, andere verwendeten sie, um die Butter auf dem aufgerissenen Brötchen zu verstreichen. Auch wenn es skurril klingt, war die Schokolade ein wichtiger Teil des Frühstücks und sorgte jeden Morgen für einen Moment der Wertschätzung, an den ich mich heute noch gern erinnere. Da spüre ich sie leicht aufflammen – die Wärme.

Gemeinschaft suchen die Betrachter*innen der Ausstellung “Like A Prayer” bei Ebensperger vergeblich. Vielmehr verstärkt sich das Gefühl, dass wir alle irgendwie lost und verzweifelt auf der Suche sind – nach Zusammenhalt und Zugehörigkeit, nach einem Ankommen, das vielleicht nie ein Ende findet? Jedenfalls ist da überall ganz schön viel Druck drauf. Druck, sich mit etwas oder jemandem zu identifizieren. Der Druck muss raus, da sind wir uns einig. Wir haben Lust auf eine prächtige, detailreiche Gemeinschaft, ein sicheres Dach und am liebsten Brandherde, die wir gemeinsam schnell gelöscht bekommen und gestärkt daraus hervorgehen. Wir glauben an die Freundschaft, die Musik und an das erheiternde Schokobrötchen zwischendurch. Wir sind Schokobrötchen-Päpst*.
WANN: Die Ausstellung “Like A Prayer” läuft bis zum 29. März.
WO: Ebensperger, Fichtebunker, 10967 Berlin.
Dieser Beitrag wurde von Lara Brörken und Carolin Kralapp verfasst.