Sentiment vor Politik
Das Innenleben von Bhupen Khakhar

24. November 2016 • Text von

Ein autodidaktischer Teilzeitmaler aus Indien hat es in diesem Jahr in Form einer erstmaligen, großen Retrospektive zunächst in die Tate Modern, und nun in die Deutsche Bank Kunsthalle geschafft. Wie? Mit Mut, Esprit und Mitgefühl.

Bhupen Khakhar in Savaji Baug, Februar 1982, © Jyoti Bhatt.

Bhupen Khakhar in Savaji Baug, Februar 1982, © Jyoti Bhatt.

„You Can’t Please Them All“ heißt die erste Retrospektive des 2003 verstorbenen Malers Bhupen Khakhar, die von der Tate Modern nun in die KunstHalle der Deutschen Bank gezogen ist. Khakhar behielt Recht: You Really Can’t. Die Londoner waren von der Künstlerwahl der Tate eher weniger begeistert, verspotteten dessen dilettantischen Stil und verurteilten die Institution für seine kritische Großzügigkeit zugunsten der subkontinentalen Herkunft des Malers. Die Tate schmücke sich ja gerne mit Internationalität, hieß es. Hier in Berlin kann man zum Glück etwas mildere Richtmaße walten lassen und erstmal mit offenen Augen durch die chronologisch angeordnete Sammlung schlendern. Im ersten Raum – den Siebziger Jahren – blicken Männer mit tiefdringendem Blick von den farbintensiven Leinwänden zurück, Handels- und Handwerksmänner bei der Arbeit. Khakhars Händlergemälde, so der Infotext, sind subversiv-politischen Charakters, da sie zum Einen den einfachen Arbeiter in den Vordergrund künstlerischen Schaffens rücken, und sich zum Anderen gegen die Company School richten sollen, die das indische Volk im Auftrag britischer Kolonialverwalter zu wissenschaftlichen Zwecken graphisch abbildete und dadurch klassifizierte. Doch au den ersten Blick sieht man nur traurige Männer mit feinfühligem Blick.

Bhupen Khakhar, Janata Watch Repairing, 1972, © Estate of Bhupen Khakhar.

Bhupen Khakhar, Janata Watch Repairing, 1972, © Estate of Bhupen Khakhar.

Die Broschüre nennt außerdem zu Beginn diverse Einflussquellen auf den Maler, von gotischer Frescomalerei über indische Miniaturpraktiken bis hin zu Pop Art. Ja, seine ungelenke, fast kindliche Technik und seine fröhlich bis grelle Farbverwendung bietet viel Raum für Vergleiche. Doch scheint eine Suche nach Stileinflüssen bei Khakhar nicht der richtige Ansatz zu sein. Als Laie will er sich kaum durch seinen Stil legitimieren. Zu intim scheint die Verbindung zwischen Maler und Gemaltem. Zu sentimental wirkt das Subjekt seiner Malerei, um darin eine politische Agenda zu vermuten.

Bhupen Khakhar, You Can't Please All, © Estate of Bhupen Khakhar.

Bhupen Khakhar, You Can’t Please All, © Estate of Bhupen Khakhar.

Die chronologische Hängung der Werke verdeutlicht besonders, wie groß dessen Nähe zum Künstler und seinen persönlichen Konflikten und Leiden tatsächlich ist. Mutig thematisiert er ab den frühen Achtziger Jahren ein Tabuthema der indischen Gesellschaft: Seine Homosexualität. „You Can’t Please Them All“, sein Coming Out Painting mit dem er sich öffentlich zu seiner Sexualität bekennt, ist aus heutiger Sicht eindeutig sein Schlüsselwerk. Sein lebensgroßes, nacktes Selbstporträt blickt, dem Betrachter den Rücken zugewandt, auf eine mythologische Szene der Fabel von Aesop. Subtil und ehrlich zeigt er hier seine eigene Schwäche und Verletzlichkeit in der Entblößung.

Bhupen Khakhar, Yagnya or Marriage, 2000, © Estate of Bhupen Khakhar.

Bhupen Khakhar, Yagnya or Marriage, 2000, © Estate of Bhupen Khakhar.

Mit der Zeit greift er das Thema immer häufiger und expliziter auf. In einem großen Diptychon schildert er eine Vermählung zweier Männer im traditionellen Hochzeitsritus und bettet so das Thema der gleichgeschlechtlichen Ehe in einen sozialen Kontext ein. Doch können solche Werke weniger als provokante Forderung denn als einfallsreiches Wunschdenken charakterisiert werden. Er entwickelt eine außergewöhnliche Ikonografie für die gleichgeschlechtliche Liebe, die Sexualität und Spiritualität miteinander verbindet. Auch seinen sexuell eindeutigeren Arbeiten liegt stets ein feiner Sinn für Humor zugrunde.

Bhupen Khakhar, Grey Blanket, 1998, © Estate of Bhupen Khakhar.

Bhupen Khakhar, Grey Blanket, 1998, © Estate of Bhupen Khakhar.

Dieser ging dem Maler selbst dann nicht abhanden, als er Ende der Neunziger Jahre an Prostatakrebs erkrankte, dem er nach einem fünfjährigen Kampf schließlich erlag. Aufrichtig visualisiert er seine Gebrechlichkeit und schildert sein körperliches Leiden in Werken wie „At the End of the Day the Iron Ingots Came-Out“, in dem sich ein Mann auf einer Toilette krümmt und sich schmerzhaft entleert. Der Titel voller Ironie und die Farben noch immer heiter und bunt. Warum also hat es ausgerechnet dieser indische Maler in Europa zu Anerkennung gebracht? Nicht nur, weil er früh zwei in Indien noch immer brisante Themen wie das Klassensystem und Sexualität mit seltener Sensibilität und Witz anrührt. Sondern auch, weil er spielerisch auf Konditionen und Emotionen eingeht, die allzu menschlich sind.

WANN: Die Ausstellung wird bis zum 5. März 2017 zu sehen sein.
WO: Deutsche Bank Kunsthalle, Unter den Linden 13/15, 10117 Berlin.

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