Quantum Tentakel
Laure Prouvost und die LAS Art Foundation im Kraftwerk Berlin

27. Februar 2025 • Text von

Im Kraftwerk Berlin atmet ein Riesenkrake. Die wabernden Tentakel erobern das postindustrielle Gemäuer und tragen Besucher:innen in die Tiefen der Quantenphysik. Wie ist es, die Umgebung sozusagen quantisch wahrzunehmen? Laure Prouvost ist mit “We Felt a Star Dying” eine raumgreifende Multimedia-Installation gelungen, die Kerngedanken der Quantenforschung spürbar macht. 

2 Laure Prouvost, WE FELT A STAR DYING 2025. Installation view at Kraftwerk Berlin. Commissioned by LAS Art Foundation, 2025 Laure Prouvost. Photo  Andrea Rossetti
Laure Prouvost, WE FELT A STAR DYING 2025. Installationsansicht im Kraftwerk, Berlin. In Auftrag gegeben von LAS Art Foundation, gemeinsam mit OGR Torino. © 2025 Laure Prouvost. Foto: Andrea Rossetti © VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Die von den ersten frühlingshaften Sonnenstrahlen geblendeten Augen müssen sich beim Eintreten in das Kraftwerk Berlin einen Moment an die Dunkelheit gewöhnen. Diffus fällt ein graublauer Lichtschein metertief auf die Besucher:innen herunter, mit ihm seilen sich zwei struppige Klumpen ab. Wie kleine Planeten mit senkrechter Laufbahn gleiten sie langsam hoch und runter. Bereits mit den ersten Schritten in Laure Prouvosts Multimedia-Ausstellung “We Felt a Star Dying” im Auftrag der LAS Art Foundation im Kraftwerk Berlin stellen sich Fragen nach Raum und Zeit: Bewegen sich Besucher:innen hier Unterwasser? Im Weltraum? Taucht man in eine dystopische Zukunftsvision ein? Stürzt alles zusammen oder fügt es sich?

“We Felt a Star Dying” setzt den Startpunkt der Projektreihe “Sensing Quantum” der LAS Art Foundation. Prouvost setzt sich in ihrer Ausstellung mit Quantenphänomenen auseinander, tauchte hierfür im Dialog mit dem Philosophen Tobias Rees und dem Wissenschaftler Hartmut Neven tiefer in die Materie ein und entwickelte Ideen, die Quantenphysik und die immer näher an den Alltag heranrückende Technologie des Quantencomputings künstlerisch und multisensorisch übersetzt. Verschiedene Zustände existieren und Prozesse laufen hier gleichzeitig. Sich den Fischen unter Wasser und im selben Moment den Vögeln in den Baumwipfeln nahe fühlen ist möglich.

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Laure Prouvost, WE FELT A STAR DYING 2025. Installationsansicht im Kraftwerk, Berlin. In Auftrag gegeben von LAS Art Foundation, gemeinsam mit OGR Torino. © 2025 Laure Prouvost. Foto: Andrea Rossetti © VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Die auf- und absteigenden “Cute Bits” im Eingangsbereich, diese planetenähnlichen Klumpen oder Kreaturen, weisen den Weg, locken Besucher:innen die Treppen hinauf. Ein “Cute Bit” erinnert an einen Stromstecker, er ist eben nur sehr groß, aus ihm wachsen ein paar Gräser. Der andere ist so etwas wie ein Aluminiumstein, metallisch, aber doch organisch. Ein Schlauch schlingert um ihn herum und Pflanzen recken ihre Köpfe in alle Richtungen. Eine Stimme kreischt aus einem Lautsprecher und etwas nicht zu Verortendes atmet und röchelt.

Oben angekommen zeigt er sich dann, der Riesenkrake, der mit seinen überlangen schwarzen, semitransparenten Mesh-Armen in alle Ecken und Enden der breiten Hallen des ehemaligen Elektrizitätswerkes eingreift. Jeder Arm hebt und senkt sich in weichen Wellenbewegungen. Vögel zwitschern, während Tentakel das Gesicht streifen. Dort, wo alle Arme des hauchzarten Ungetüms zentral zusammenlaufen, bäumt sich eine spitzzulaufende Kuppel wie ein Hexenhut auf, der unter sich einen Raum schafft. Hier haben sich Besucher:innen gemütlich in einen Kreis gelegt und folgen einem Video, das über ihnen in der konvex gewölbten Projektionsfläche läuft.

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Laure Prouvost, WE FELT A STAR DYING 2025. Installationsansicht im Kraftwerk, Berlin. In Auftrag gegeben von LAS Art Foundation, gemeinsam mit OGR Torino. © 2025 Laure Prouvost. Foto: Andrea Rossetti © VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Zu sehen ist ein Vogel, der auf einer Eisschicht sitzt, während die Besucher:innen unter dem Eis zu liegen scheinen. Der Vogel läuft umher, guckt verdutzt auf seine unter ihm liegenden Beobachter:innen herab. Im nächsten Moment wechselt die Kamera in die Vogelperspektive, trägt Betrachter:innen über grüne Weiten. Dann erscheint ein mikroskopisches Bild, ein kleines Krill-Tierchen paddelt über den Objektträger. Bilder einer Wärmekamera lassen Durchblutetes glühen, in einer orangefarbenen leuchtenden Hand schmilzt schwarzes Eis. Ein Ausschnitt zeigt eine Menge kleiner, synchron anschwellender Wellen und mit einem Zoom-out zeigt sich ein unendliches Meer, leicht beschwingt vom Wind. Der Wind ist zu hören, man meint ihn kurz sogar auf der Haut zu spüren. Das Bild verpixelt, es wird maschinell, dann organisch; klein bis auf die Zellen und groß bis ins All, heiß und kalt zugleich.

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Laure Prouvost, We Felt a Star Dying, 2025, Videostills. In Auftrag gegeben von LAS Art Foundation, gemeinsam mit OGR Torino. © 2025 Laure Prouvost. © VG Bild-Kunst, Bonn 2025.

Die titelgebende Videoarbeit “We Felt a Star Dying” wirkt thermodynamisch, Bilder scheinen zu verdunsten, zu zerfallen und direkt wieder fest und ganz zu werden. Aggregatzustände im stetigen visuellen Wechsel, ohne dass es unrealistisch erscheint. Die gemeinsam mit Producerin KUKII kreierte Soundlandschaft ergänzt das Bild, sie trägt Besucher:innen in die Welt hinaus und lässt sie dann wieder fallen. Eine akustische Instabilität breitet sich aus. Zwischen Unsicherheit und Geborgenheit, Ruhe und Hast liegen Millisekunden. Prouvost hat ihre Videoarbeit mithilfe eines Quantencomputers geschaffen und seine auf Gleichzeitigkeit ausgelegte und hochfunktionale Technik visuell eingefangen, indem harmonische Übergänge an eher unüblichen Stellen entstehen.

Der Ausstellungsraum steht permanent mit der Video-Installation in Verbindung. So vibriert die Soundlandschaft des Videos förmlich über die Fangarme des Kraken in den industriellen Raum, hebt und senkt sie im Schwung der Bilder. Der Ton des pfeifenden Windes und raschelnden Atems lässt die Arme zu Lungenflügeln werden. Es würde jetzt auch niemanden wundern, wenn Besucher:innen kurz abheben und in der Luft schwimmen würden. Vielleicht ist die Luft ja gerade dickflüssig. 

5 Laure Prouvost, WE FELT A STAR DYING 2025. Installation view at Kraftwerk Berlin. Commissioned by LAS Art Foundation and co commissioned by OGR Torino, 2025 Laure Prouvost. Photo  Andrea Rossetti
Laure Prouvost, WE FELT A STAR DYING 2025. Installationsansicht im Kraftwerk, Berlin. In Auftrag gegeben von LAS Art Foundation, gemeinsam mit OGR Torino. © 2025 Laure Prouvost. Foto: Andrea Rossetti © VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Ein weiterer “Cute Bit” taucht über dem Stahlgeländer auf, zeigt uns seine Brüste. Sie quellen ihm wie mit Wasser gefüllte Luftballons aus seiner grauen Schale heraus. Innerlich glüht der “Cute Bit”, hat einen warmen Kern, eine richtige kleine Mutter Erde. Einige Halme und Fäden hängen unmotiviert an dem mütterlichen Leib, runtergezogen von der Schwerkraft. Besucher:innen befinden sich in einer außerirdischen Idylle, auf einem organischen Schrottplatz. Riecht es nach Gräsern und Blüten? Zwei “Cute Bits” können sich wie Hauben auf den Kopf gezogen werden, sie umhüllen ihre Träger:innen mit Duft und Sound, schirmen das wabernde Außen ab und drehen den Fokus nach innen. Setzt man sie ab, taucht man wieder auf, muss die Sinne kurz sortieren, weiß nicht mehr, welcher Geruch von den anderen Menschen her strömt und welcher den “Cute Bits” entweicht.

1 Laure Prouvost, WE FELT A STAR DYING 2025. Installation view at Kraftwerk Berlin LAS Art Foundation
Laure Prouvost, WE FELT A STAR DYING 2025. Installationsansicht im Kraftwerk, Berlin. In Auftrag gegeben von LAS Art Foundation, gemeinsam mit OGR Torino. © 2025 Laure Prouvost. Foto: Andrea Rossetti © VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Laure Prouvost schafft mit “We Felt a Star Dying” eine Atmosphäre, in der sämtliche Zustände gleichzeitig anwesend und spürbar sind; eine quantenphysikalische Realität. Quantenphysik ist hoch, sie durchdringen auch die klügsten Köpfe selten – erst recht nicht binnen eines Ausstellungsbesuchs, aber ein Gefühl für quantenphysikalische Prinzipien zu erleben, wird mit Prouvosts Installation im Kraftwerk möglich. Das ein Quantencomputer bereits existiert, ein neuer Rechner, der alles bereits Existierende aushebeln, neu in Verbindung bringen und sämtliche bisher unlösbare Hürden einfach nehmen könnte, ist den wenigsten bewusst. Da wartet eine neue Geschwindigkeit auf uns. Was auch immer das heißt.

Mit verknotetem, aber leicht über mir schwebendem Kopf spuckt mich das Kraftwerk wieder aus, rein in die triste binäre Realität. Der Person, die da übernächtigt aus dem Tresor raustorkelt, geht es vermutlich ähnlich. Weniger Chemie, mehr Quantenphysik, ihr Partymäuse! Die wirkt auch.

WANN: Laure Prouvosts Ausstellung “WE FELT A STAR DYING” läuft noch bis Sonntag, den 4. Mai.
WO: LAS Art Foundation im Kraftwerk Berlin, Köpenicker Straße 70, 10179.

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