Bitte lächeln! Intentionen fotografischer Bildproduktion in Augsburg
26. August 2025 • Text von Julia Anna Wittmann
Der Auslöser klickt und ein Bild entsteht. Das Lächeln hängt schief. Ein Moment, der für die Nachwelt festgehalten wird, eingebettet in soziokulturelle Mechanismen. Im Kunstverein Augsburg gehen Cana Bilir-Meier, Philipp Hoelzgen, Eunju Hong, Jonas Höschl, Valerie Prinz, René Radomsky, Sophie Thun, Michael Wegerer und Anna Witt der fotografischen Bilderzeugung und -speicherung auf den Grund.

Was haben Lithium, Gold und familiäre Erinnerungen gemeinsam? Eunju Hong geht im Kunstverein Augsburg der Verbindung von maschinell übertragenen Erinnerungen und menschlich überlieferten Geschichten nach. Gemeinsam mit acht weiteren Künstler*innen untersucht sie im Rahmen der Ausstellung “Interceptible Flutter. Über das Fotografische”, unter welchen Bedingungen und mit welcher Intention Fotografien entstehen, funktionieren und gespeichert werden. Anhand der Arbeiten von Hong, Cana Bilir-Meier, Philipp Hoelzgen, Jonas Höschl, Valerie Prinz, René Radomsky, Sophie Thun, Michael Wegerer und Anna Witt wird deutlich, wie fotografische Abbilder innerhalb gesellschaftlicher Mechanismen funktionieren.

In ihrer Videoarbeit “Where The Bodies Go” überlagert Hong Aufnahmen aus einer Festplatten-Reparaturwerkstatt, einer Siliziumrecycling-Fabrik und einem Unternehmen zur Goldrückgewinnung aus Computerchips mit Szenen eines jungen Pärchens, das über das Leben der eignen Großeltern spricht. Vergilbte Fotografien bieten die Grundlage für ihr gemeinsames Gespräch. Im Gegensatz dazu wirken die technischen Computerteile im Recyclingprozess kühl und industriell, doch auch sie sind Träger verschiedenster Erinnerungen, eingebettet in einen aufwendigen Kreislauf der Wiederverwertung. Die wertvollen Rohstoffe agieren in ihrer Funktion als Speichermedien auch als Erinnerungshilfe. Damit ist nicht nur ihr materieller, sondern auch ihr ideeller Wert extrem hoch.

Erinnerungen sind schließlich das, was bleibt, wenn Momente vergehen. Wie wichtig dokumentarische Abbildungen im Kontext der gesellschaftlichen Erinnerung sind, macht Cana Bilir-Meier deutlich. Sie verteilt Archivmaterial wie Plakate, Bühnenbildskizzen, Szenenbilder und Drehbuchauszüge an den Wänden des Kunstvereins. Es handelt sich um schriftliche und bildliche Überbleibsel des Theaterstücks “Düşler Ülkesi – Land der Träume”, das 1982 am Theater der Jugend in München uraufgeführt wurde. Jugendliche und Erwachsene, Laiendarstellerinnen und Schauspielerinnen brachten dort eigene Erfahrungen zur sogenannten Gastarbeitergeschichte sowie zu Migration und Rassismus auf die Bühne. Dank Bilir-Meiers umfangreicher Recherche ist nun ein Teil dieser Geschichte im Ausstellungsraum sichtbar.
Michael Wegerer greift dagegen die tägliche Flut an Fotografien und Informationen in seiner Glasarbeit “We have never been modern” auf. Mit dem Titel der Arbeit verweist Wegerer auf Bruno Latours gleichnamige Publikation, in der Latour die klassische Trennung zwischen Natur und Kultur hinterfragt. Wegerer überträgt hierbei fragmentarische Zeitungsseiten auf Glas und kreiert so eine transparent schimmernde Medienlandschaft, in der zahlreiche Querverweise, Lücken und Sprünge zwischen den medialen Geschichten entstehen.

Die Darstellung von Einzelpersonen in den Print- und Sozialen Medien geht mit Macht, Inszenierung und Repräsentation einher, geprägt vom Dualismus der Fremd- und Selbstdarstellung. Das macht Jonas Höschl in seiner Werkreihe “MZ Portrait” deutlich. Darin beleuchtet er den medial intensiv behandelten Fall des ehemaligen Regensburger Bürgermeister Joachim Wolberg, der wegen Bestechlichkeit angeklagt und verurteilt wurde. Zahlreiche Bildunterschriften, die in der Mittelbayerischen Zeitung von der Bürgermeisterwahl bis zum Ende des ersten Prozesses publiziert wurden, umrahmen zwei Videoarbeiten.
Während einer der Bildschirme einen Schauspieler zeigt, der verschiedenen Meinungsbilder der Stadtgesellschaft wiedergibt, ist auf dem zweiten Bildschirm Joachim Wolberg selbst zu sehen. In Videobotschaften, die er selbst auf Facebook veröffentlicht hat, beteuert er seine Unschuld. Höschl macht durch diese Gegenüberstellung der Fremd- und Selbstwahrnehmung deutlich, wie Wolberg sich nicht nur vor Gericht, sondern auch vor der Gesellschaft behaupten muss und verzweifelt versucht, sein eigenes Abbild selbst zu formen.

Sophie Tun rückt sich als Künstlerin selbst ins Bild – bewusst und kontrolliert. Weiße Hände auf schwarzem Papier halten ein Bild im Bild im Bild im Bild. Die Künstlerin macht ihre Mehrfachrolle als Fotografin, Model und Technikerin deutlich und legt damit auch die Inszenierung der Bildproduktion offen dar. Den Auslöser in der Hand, den Blick in die Kamera gerichtet: So sehen Betrachter*innen Tun in ihrer Arbeit “The Image (Contact While Holding (passage closed) (Y110,8M17,4D+59F8m18,142CA3T69,2b100l249) (Middle Bottom Part))”.
Der Umstand der Inszenierung wird in Anna Witts Videoarbeit “Sixty Minutes Smiling” deutlich. Eine Gruppe seriös gekleideter Männern und Frauen lächelt freundlich in die Kamera. Sie scheinen im Rahmen eines Team-Porträts zu posieren. Das in Echtzeit gefilmte und abgespielte Video dauert 60 Minuten. Bereits nach einigen Minuten wird aus dem Lächeln der Protagonist*innen ein gequältes Grinsen. Weitere Minuten verstreichen und auf den Gesichtern der Personen ist deutlich Anstrengung zu erkennen. Aus einer positiven Emotion wird eine Qual in Anzug und in Kostüm. Das perfekte Lächeln der Arbeitnehmer*innen bröckelt.

Fotografie ist mehr als der Klick eines Auslösers. Mit dem Akt der Aufnahme tut sich ein komplexes Geflecht aus Erinnerung, Macht und Inszenierung auf. Welche Absichten verfolgen die Fotografierenden, welche die Abgebildeten? Die Werke der neun Künstler*innen laden ein, die tägliche Bilderflut kritisch zu hinterfragen. Die von Künstler Höschl und Christian Thöner kuratierte Ausstellung “Interceptible Flutter” im Kunstverein Augsburg deutet an, wie Bilder – ob bewegt oder still – nicht nur Momente festhalten, sondern auch gesellschaftliche Narrative prägen, archivieren und infrage stellen.
WANN: Die Ausstellung “Interceptible Flutter. Über das Fotografische” läuft noch bis Samstag, den 15. November.
WO: Kunstverein Augsburg e.V., Holbeinhaus, Vorderer Lech 20, 86150 Augsburg.