Abtauchen ins Technozän Kiel, Urbach und Vall in den Kunstarkaden München
12. Juli 2024 • Text von Julia Anna Wittmann
Kommunizierende Operatoren und Einblicke in die Tiefsee: Die Arbeiten von Johannes Kiel, Justin Urbach und Tatjana Vall machen Subjekt-Objekt-Beziehungen sichtbar, verhandeln die Rolle von Materialität und gehen der Verflechtung von Mensch, Natur und Technologie auf den Grund. In der Ausstellung “No Mind No Matter” sind neue, ko-produzierte sowie individuelle Werke der drei Künstler*innen in den Kunstarkaden München zu sehen.
Zwei Roboterarme tasten sich im schummrigen Licht vorsichtig voran, umgeben von viel Wasser und dunklem Sand. Was auf den ersten Blick wie die Simulation eines Computerspiels wirkt, ist tatsächlich die Live-Übertragung des “Nautilus Exploration Program”, ein Forschungsprojekt, welches sich auf die Erkundung der zum größten Teil noch unbekannten Tiefsee konzentriert. Projiziert auf acht großformatige Bildschirme ist diese Übertragung das Erste, was die Besucher*innen der Ausstellung “No Mind No Matter” in den Kunstarkaden München sehen.
“Empty Shell” von Tatjana Vall und Justin Urbach ist keine klassische Videoarbeit, vielmehr handelt es sich um eine Videoskulptur. Die Rückseite der freistehenden Monitorwand gibt den Blick frei auf technische Details, die normalerweise verborgen bleiben. Ein Laptop zur Übertragung, eine gravierte Zeichnung, ein blauer Laserstrahl und ein leeres Aquarium komplementieren die kollaborative Assemblage, die auf Verborgenes hinweist und den Blick in die Tiefen der Meere richtet. Dort sichern Unterseekabel in tausenden Metern Tiefe die globale Kommunikation und Internetverbindung.
Der Ausstellung in den Kunstarkaden ging ein mehrwöchiger intensiver, kollektiver Prozess voraus, aus dem das Konzept und die Kuration sowie neue, gemeinsame Arbeiten entstanden sind, die nun auch direkt im Anschluss erstmals gezeigt werden. Die Münchner Künstler*innen Johannes Kiel, Justin Urban und Tatjana Vall zeigen individuelle und kollaborative Werke in jeglicher Konstellation. Die drei künstlerischen Positionen eint die Affinität für zeitbasierte Medien und die Lust am Experimentieren. Zu sehen sind mechanische Skulpturen, computergenerierte Videoarbeiten und visualisierte Datensätze.
Den Blick auf Verborgenes richtet Tatjana Vall auch in ihrer Rauminstallation “Cloudy Vision”. Im Mittelpunkt der Arbeit steht die invertierte Abbildung eines Hai-Auges mit Parasiten, gedruckt auf Seide. Das Tuch wird von einem kleinen Ventilator in Bewegung gehalten und flattert wellenartig im ständigen Luftzug. In der aktuellen Forschung wird das Alter eines Haies nicht mehr anhand seiner Knochen, sondern anhand seiner Augen ermittelt. Menschenbedingte Naturkatastrophen, wie der Abwurf von Atombomben, sind darin zu lesen, aber auch die abnehmende Sehkraft im Alter durch Parasitenbefall wird deutlich. Die Erkenntnis dieses neuen Forschungsansatzes: Die langsam blinder werdenden Meeresriesen ziehen ihre Runden bereits sehr viel länger durch die Ozeane als ursprünglich gedacht.
Justin Urbach stellt die Komplexität des menschlichen Auges und dessen technologische Optimierung in den Fokus seiner Videoinstallation “through the cracks”. Über eine Projektion werden Aufnahmen einer Augenlaserbehandlung verfremdet wiedergegeben, übergroße Augen blicken den Betrachter*innen entgegen. Auf der Projektionsfläche montiert befindet sich ein Bildschirm, auf dessen Oberfläche technische Zeichnungen eingraviert wurden, etwa die Anatomie eines Augapfels oder optische Kalibrierungsmodelle. Die obere Schicht des Monitors wird zur Zeichengrundlage für Urbachs Laser-Gravierungen, in denen er auf die technologische Optimierung des menschlichen Körpers, dem Transhumanismus, anspielt.
Der menschliche Körper wird in Johannes Kiels mechanischen Objekten zum Anhaltspunkt für eine dynamische Subjekt-Objekt-Kommunikation zwischen Betrachter*innen und Kunstwerken. Die Arbeit “Dual – IR – Operator” besteht aus einem zwölf Meter langen, an einer Wand montierten Schiene, auf der sich zwei kleine Roboter nach links und rechts bewegen können. Die beiden Operatoren sind mit einem Infrarot-Detektor ausgestattet, um Wärmequellen – im Normalfall Personen – im Ausstellungsraum ausfindig zu machen. Sobald sie Wärme entdeckt haben, bewegen sich die Operatoren auf der Schiene auf und ab, um der Quelle durch den Raum zu folgen. Sobald Besucher*innen darauf aufmerksam geworden sind, entsteht eine interaktive Choreographie, ein Tanz aus menschlichen und nichtmenschlichen Akteuren.
Kommunikation mit nicht-menschlichen Akteuren ist – wenn auch sonst nicht so offensichtlich – fester Teil des Alltages. Wir stehen in einem ständigen Austausch mit technologischen Systemen, wie der Smartwatch am Handgelenk oder der App gesteuerten Zahnbürste. Ein Zustand geprägt durch das Zeitalter des Technozän. Der Begriff bezeichnet eine geologische Epoche, die durch den tiefgreifenden Einfluss der menschlichen Technologie auf die Umwelt und Gesellschaft gekennzeichnet ist. In den Kunstarkaden gehen Johannes Kiel, Justin Urbach und Tatjana Vall mit ihren Arbeiten den Phänomenen und Auswirkungen dieses Zeitalters nach. Während Menschen versuchen ihre physischen Grenzen mit Hilfe technologischer Neuerungen zu optimieren, werden durch neue Forschungsmethoden die menschlichen Eingriffe und deren Auswirkungen ins Ökosystem immer sichtbarer.
WANN: Die Ausstellung “No Mind No Matter” läuft noch bis Samstag, den 27. Juli.
WO: Kunstarkaden München, Sparkassenstraße 3, 80331 München.