Könnten Sie das übersetzen?
Studierende der Kunstakademie Karlsruhe bei Jeune Création

12. März 2022 • Text von

Wo Sprache an ihre Grenzen kommt, kann sich ein Gedanke dennoch übertragen. Das beweisen Studierende der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe mit der Ausstellung “C’est beau, c’est loin” bei Jeune Création. Nur weil auf Französisch niemand ernsthaft “knutschen” sagen würde, heißt das eben nicht, dass eine in Karlsruhe erdachte Arbeit nicht auch in Paris funktionieren kann. (Text: Theresa Widua)

Installationsansicht “C’est beau, c’est loin”, Jeune Création, 2022.

In Romainville, einem Vorort von Paris, liegt die Galerie Jeune Création. Als älteste französische Kunstvereinigung wurde diese 1949 gegründet, um mithilfe eines Künstler*innen-Netzwerkes junge aufstrebende Kunstschaffende zu fördern.

Die aktuelle Ausstellung “C’est beau, c’est loin” versammelt Studierende der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe. Gezeigt werden Skulpturen, Malereien und Videoarbeiten von Jule Bode, Tamara Goehringer, Yongkuk Ko, Vincent Krüger, Ninya Lehrheuer, Jordan Madlon, Paul Friedrich Millet, Raoul Muck und Miriam Schmitz. Die Kurator*innen Max Coulon und Ludivine Gonthier haben die Künstler*innen während ihres Auslandsaufenthalts in Deutschland kennengelernt. Nun haben sie sie eingeladen, in ihrer Heimatstadt auszustellen.

Arbeiten von Tamara Goehringer und Yongkuk Ko in der Ausstellung “C’est beau, c’est loin”, Jeune Création, 2022.

Mit “C’est beau, c’est loin” widmen sich Coulon und Gonthier der Frage, ob und wie sich Kunst in eine andere Sprache übersetzen lässt und wie sich im Zuge dessen Unterschiede und Gemeinsamkeiten beobachten lassen. Wo trifft man sich, wenn Kunst in einen anderen kulturellen und sprachlichen Kontext überführt wird?
In dem Ausstellungsraum gibt es viel Unterschiedliches zu entdecken: Die Arbeiten befinden sich auf dem Boden, den Wänden und hängen von der Decke. Dabei fällt direkt die künstlerische Vielfalt in Form und Materialität auf und immer wieder spielt Sprache eine Rolle.

Direkt ins Auge springt die Videoarbeit “Shake that Ass (for me)” von Tamara Goehringer. Zu sehen ist ein Zusammenschnitt von Szenen aus verschiedenen Musikvideos, in denen twerkende Frauen zu sehen sind, die Zuschauer*innen werden dabei in die Position des konsumierenden Blickes gebracht. Durch diese überspitzte Fokussierung bekommen die Bewegungen etwas Bizarres, beinah Unnatürliches. Der Körper wird vor den eigenen Augen so weit abstrahiert, bis er nur noch ein Objekt zu sein scheint, das mechanische Bewegungen ausführt.

Arbeit von Ninya Lehrheuer.

Eindrucksvoll sind auch die Glasvitrinen von Ninya Lehrheuer, “V Glut 3”, in die man wie in andere Welten zu schauen scheint. Aus Materialien wie Stahl, Latex und Papier schafft sie ein Sammelsurium an fantastischen, gleichzeitig organischen Objekten, die an Zähne und Haut erinnern. Die Künstlerin versteht sich dabei als Geschichtenerzählerin, die “moderne Märchen” spinnt.

Vincent Krügers Gemälde “Dim, dim dim dim” und “Poetische Gedanken” wirken in ihrer Formsprache surrealistisch, als habe man nach dem Aufwachsen seinen Traum niedergeschrieben. So sieht man Katzen hinter Gittern, darunter schweben Augen und eine Hand. Ergänzt wird dies durch zwei Masken aus Keramik, die Fratzen ziehen und verschiedene emotionale Zustände wiedergeben.

Installationsansicht “C’est beau, c’est loin”, Jeune Création, 2022. // Arbeit von Jordan Madlon.

Die Künstler*innen arbeiten persönlich, indem sie ihre subjektiven Erfahrungen in die Arbeit miteinfließen lassen und den Blick dabei auch auf aktuelle Phänomene der Popkultur, wie Memes, Avatare oder Inszenierung in sozialen Netzwerken richten – dabei zieht sich immer ein ironisches Augenzwinkern durch die Ausstellung. Das beginnt schon beim Auftritt der Kurator*innen. Max Coulon und Ludivine Gonthier, beide selbst Künstler*innen, nennen sich “das Kommissariat”. Bezeichnet dies ursprünglich eine hochoffizielle behördliche Dienstelle, ist es hier als Anspielung auf die eitle Ernsthaftigkeit der zeitgenössischen Kunstszene zu verstehen, die sich oft etwas zu wichtig zu nehmen scheint.

Ein ironischer Ansatz spiegelt ich auch in den Werktiteln und Ausstellungstexten wider. So finden sich dort etwa dadaistische Nonsense-Texte, die auch genauso ins Französische “übersetzt” werden. Es wird mit Worten gespielt, Worte werden verdreht, eigene Wortneuschöpfungen kreiert. Raoul Muck hat seine Skulpturen “Gurgel-August mit Schambolzen” und „Kumpeltod“ getauft, ein paar Worte, die Lesende direkt die ganze Geschichte erfahren lassen wollen.

Arbeit von Jule Bode. // Installationsansicht “C’est beau, c’est loin”, Jeune Création, 2022.

Auch Paul F. Millet setzt Werktitel gezielt ein. Bei seinen Skulpturen “Brûlat” (dt. „Verbrannt“) und “Chandelle” (dt. “Kerze”) handelt es sich um mit Wachs überzogenes Stroh, das verbrannt und in Form geschnürt wurde. Die Titel weisen somit auf den Entstehungsprozess der Arbeit hin. Die natürlichen Materialien dienen Millet sonst als Hilfsmittel, Metallskulpturen anzufertigen. Nun hat er sie ganz bewusst aufgewertet.

Jule Bode kommentiert gewitzt Stereotype der Gegenwart und Formen der Selbstinszenierung. Ihre Malerei “Sportlerkippe” etwa zeigt einen aalglatt aussehenden Tennisspieler in weißer Tennismontur mit Sektglas und Zigarette. Herausfordernd blickt er die Betrachter*innen an.

Wenn man Wörter oder Sätze in eine andere Sprache übersetzt, geht aufgrund der sprachlichen und grammatikalischen Unterschiede manchmal ein Teil der ursprünglichen Bedeutung verloren. Es besteht die Gefahr, dass die Übersetzung im Nachhinein eine andere Botschaft als das Original erhalten könnte.

Installationsansichten “C’est beau, c’est loin”, Jeune Création, 2022.

Der Ausstellungsflyer führt das exemplarisch vor. Ihn ziert ein Graffiti, geschmiert auf ein kleinstädtisches Buswartehäuschen: “Wer will knutschen?” Das Wort “knutschen” dient hier als Beispiel für einen Unterschied der Konnotation der sprachlichen Bedeutung: Die französische Übersetzung “se bécouter” ist ein eher altmodisches Wort, was man heute in Frankreich wohl eher benutzen würde, um sich über jemanden lustig zu machen. Im Deutschen hingegen wird der Ausdruck “knutschen” auch heute ironiefrei benutzt.

Was also nun, wenn man Kunst in einen anderen kulturellen und sprachlichen Kontext überführt? “C’est beau, c’est loin” verzichtet auf exakte Wort-für-Wort-Übersetzungen. Stattdessen lassen die Kurator*innen die Werke für sich sprechen und vertrauen auf deren Wirkmächtigkeit. Die Gefahr der Bedeutungsverschiebung wird umschifft und kann somit als produktives Moment genutzt werden, neue Zugänge zu legen. Besucherinnen werden eingeladen, der Kunst unbefangen zu begegnen, sich ganz auf sie. Keine Angst vor Missverständnissen lautet die Devise.

WANN: Die Ausstellung “C’est beau, c’est loin” läuft bis Samstag, den 26. März.
WO: Jeune Création, 43 Rue de la Commune de Paris, 93230 Romainville.

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