Kunst in Quarantäne #34
Die Kunst lebt, es sterbe die Kunst

25. Mai 2021 • Text von

Was hat die Querdenker-Bewegung mit Bertolt Brecht zu tun? Welche Rolle spielt Stalin in dieser Beziehung? Und wie lassen sich Internet-Browser und klassische Gemälde in einem Zuge nennen? Anstoß zu diesen verworrenen Verbindungen geben ein ein Video-Essay der Künstler*innengruppe Frankfurter Hauptschule und eine Ausstellung im Pariser Centre Pompidou. Weniger verworren aber nicht minder kritisch sind die Beiträge des kanadischen Kunstfilmfestivals „Images Festival“ via Online-Stream ebenso wie in einer Ausstellung, die ihre düstere Stimmung bereits im Namen trägt: Gothic Pastoral.

Screenshot Frankfurter Hauptschule “Motor”, Vimeo, nGbK Berlin, Courtesy by the artists. 

“Maßnahme, Mauser, Motor” – in ihrem bissig Video-Essay stellt die Gruppe Frankfurter Hauptschule sich in eine Reihe mit Bertolt Brecht und Heiner Müller. Weiter noch über Stalin und Hegel hinweg starten die Künstler*innen gekonnt vieldeutig und nicht ganz ohne Ironie einen Feldzug durch große Gebiete der modernen und zeitgenössischen Kultur: von modernem Revolutionsgeist bis hin zu “postmodernen Nazis” und der Querdenker-Bewegung. Sie nehmen Postmoderne und Poststrukturalismus dialektisch auseinander, ja zerreißen sie geradezu und setzen sie anschließend wieder zusammen, bis es schließlich heißt: “Die Kunst lebt, es sterbe die Kunst.”

Filmisch ist dies mitunter ganz schön wild, wenn beispielsweise heitere Tanzszenen oder Küsse, wie oben zu sehen, sich mit Weltkriegsmaterial überlagern. Oder aber, wenn ein Ausschnitt aus dem Dschungelcamp den Bildschirm ziert. Klug ist die Filmarbeit dabei auch und wie gewohnt provokant. Beim Frankfurter Lichter-Filmfest hat die Künstlergruppe erst kürzlich den Lichter Art Award dafür bekommen. Hier geht‘s zum Film auf der Vimeo-Page des nGbK Berlin. 

Trailer-Image “Image-Festival”, Toronto, Canada ©images festival.

Toronto ist nicht gerade um die Ecke, weder von Berlin noch anderswo in Deutschland. Die Pandemie allerdings macht‘s möglich, dass das kanadische “Image Festival” quasi auf eure Couch wandert, kostenlos und in Farbe auf imagesfestival.com. Das Kunstfilmfest vereint seit über 30 Jahren Independent-Film mit Filmkunst – von etablierten sowie jungen, neuen Perspektiven aus aller Welt. Mit dabei sind Filmemacher*innen und Künstler*innen wie der Palästinenser Kamal Aljafari, der mit “An Unusual Summer” einen Film aus Überwachungsmaterial zeigt oder aber die libanesische Filmemacherin Nour Ouayda, die mit ihrer dokumentarischen Arbeit 2014 schon einmal auf der Berlinale zu Gast war. In dem bunten Programm finden sich besonders viele kritische Perspektiven, beispielsweise zum Thema Anti-Kolonialismus. Außerdem gibt es Künstler*innen-Gespräche und Performances. 

Screenshot aus Gaspar Willmann „Waste“, Couresy by the artist / Screenshots aus Gaspar Willmann „Waste“, Couresy by the artist.

Mal modernd, mal verworren und verschwommen, mal schrill und surreal liegen sie da, die Skelette der Globalisierung – eine Art Rest, der noch übrig geblieben ist von der Natur in einer Welt des immer schneller, immer weiter. Die Online-Ausstellung “Gothic Pastoral. Slouching in Freefall” zeigt – der Titel lässt es bereits erahnen – verschiedene zeitgenössische, künstlerische Positionen, die allesamt ein recht pessimistisches Bild zeichnen von der Natur und der Welt, in der wir leben. Gaspar Willmann beispielsweise zeigt in seinem knapp 1-minütigen Film brutalistische Großstadtruinen, die die Natur in der Hauptstadt Berlin fast vollständig ersetzen. Beton statt Blumen – das passt gut in eine Zeit, die mehr von Angst vor einem Virus und dem Klimawandel als von blühenden Zukunftbildern geprägt ist.

Juha van Ingen, „Web Safe colourspace“ (1999 – 2000), Courtesy by the artist. 

Was hat ein Internet-Browser mit einem Gemälde gemein? Was klingt wie der Anfang eines schlechten Witzes ist eine Frage, mit der sich eine Online-Ausstellung des Pariser Centre Pompidou auseinandersetzt. In “Sans objet” (frz. „gegenstandslos“) widmet sich das Centre Pompidou heutigen Formen der Netzkunst ebenso wie den Ursprüngen dieser digitalen Form der Kunst in den 1990er Jahren. Zum Frühwerk der Netzkunst gehört auch “Web-Safe” von Künstler Juha von Ingen. Neben dem in Helsinki lebenden Künstler konzentriert sich die Ausstellung auf acht weitere für diese Praxis bezeichnende Künstler*innen: Annie Abrahams, Claude Closky, Juha van Ingen, Carin Klonows, Jan Robert Leegte, Jonas Lund, Miltos Manetas, Rafael Rozendaal und Nicolas Sassoon. Neben dem Ausstellungsbesuch wartet bei “Sans objet” auch eine interaktive Erfahrung: Es gibt die Möglichkeit im Browser selbst zu Künstler*innen zu werden. Der Browser ist in diesem Fall – ähnlich einem Gemälde – ein Fenster zur Welt und auch zur Kunst.