Wie geht es der Kunst im "Lockdown light"?
Ein Stimmungsbild mit Raum www

16. November 2020 • Text von

Raum www sorgt dafür, dass Kunst sichtbar bleibt, obwohl Ausstellungen schließen. Seit dem ersten „Lockdown“ im Frühjahr bestücken Daniel Hahn und Johannes Mundinger ihr Online-Archiv. Dabei stehen sie in engem Kontakt zu Akteur*innen der Kunstwelt. Mit gallerytalk.net teilen sie ihre Einschätzung der gegenwärtigen Lage.

Installationsansicht “due to”, Einblicke in Berliner Positionen des Online-Archivs Raum www. Neurotitan Gallery, 2020.

gallerytalk.net: Die aktuellen Einschränkungen laufen unter “Lockdown light”. Sind die Auswirkungen auf den Ausstellungsbetrieb auch spürbar “lighter” als im Frühjahr?
Daniel Hahn: Ich habe das Gefühl, dass die Situation nicht ganz so chaotisch und unüberschaubar ist wie zu Beginn. Eben weil es nicht zum ersten Mal passiert und diesmal auch der Zeitraum der Beschränkungen – zumindest gefühlt – eingegrenzter ist, begegnet man dem Ganzen mit etwas Routine. Trotzdem sind die Auswirkungen de facto dieselben: Über große Zeiträume intensiv geplante Ausstellungen und Veranstaltungen finden nicht statt, werden im besten Falle verschoben, Museen bleiben geschlossen. “Light” ist das nicht.

Habt ihr Verständnis für die Einschränkungen?
DH: Klar, es passiert, damit insgesamt weniger Leute im Alltag aufeinandertreffen. Dass in diesem vermeintlich ruhigen Monat dann trotzdem Leute bei Ikea in Scharen in der Schlange bis raus auf den Parkplatz stehen müssen – und dürfen, kann aber nicht die beste Lösung sein.
Johannes Mundinger: Ich habe mir selbst einen “Lockdown light” verordnet, auch wenn Berliner Galerien im Gegensatz zu Museen und den zahlreichen spannenden Projekträumen geöffnet sind, konzentriere ich mich aufs Atelier und Wochenenden im Grünen. Eine Ausstellung in Prag Ende des Monats, von der ich dachte, dass sie bestimmt abgesagt würde, findet doch statt. Die braucht noch etwas Last-minute-Vorbereitung. Ansonsten nutze ich die Zeit, um runterzufahren, fokussierter zu arbeiten und mit Herrn Hahn die nächste Raum www Ausstellung zu organisieren.

Die Künstler Johannes Mundinger und Daniel Hahn tragen ein Bild.
Johannes Mundinger und Daniel Hahn. Foto: raum www.

Ihr habt mir bereits erzählt, dass ihr bei Raum www weniger Einsendungen erhaltet als vor einem halben Jahr. Wie erklärt ihr euch das?
JM: Ich denke, im Frühjahr war alles ganz frisch und ungewohnt, alles abgesagt und alle weiteren Entwicklungen offen. Es war neu, nur zu Hause sitzen zu können und ins Internet zu glotzen. Wo keine Resignation einsetzte, wurden alle Möglichkeiten genutzt und durchgespielt, etwas zu machen. Mittlerweile hat vielleicht eine gewisse Ermüdung an Offline-Ersatz eingesetzt.
DH: Genau. Da wir diesen Zustand eben schon ein Dreivierteljahr täglich leben, sind einge Künstler*innen bestimmt etwas müde von den immer wiederkehrenden Umständen und Gedankenschleifen. Man zieht sich lieber still zurück und wartet etwas geduldiger als beim ersten Schwapp, bis es endlich vorbei ist – ohne von erneuten Absagen berichten zu wollen.
JM: Zudem waren wir im Frühjahr über Erwähnungen in Blogs, Radio und Zeitung präsenter außerhalb unserer Kreise.
DH: Wichtig ist, das unser Archiv von vornherein fragmentarisch gedacht war. Wir bilden uns nicht ein, die Gesamtheit der Auswirkungen in Gänze abbilden zu können. Trotzdem wird unser Kontaktformular aber durchgehend aktiv sein! (lacht)

Ihr seid ja beide selbst Künstler. Wie erlebt ihr die derzeitigen Einschränkungen?
DH: Ich beschäftige mich seit circa einem Monat etwas mehr mit Recherche und grafischen Arbeiten. Das hat aber auch persönliche Gründe und nicht unbedingt mit dem „Lockdown“ zu tun. Sobald sich die Umstände bessern und Reisen (nach Hamburg) wieder okay ist, werde ich dort ein Ausstellungsprojekt haben.
JM: Mich nervt eher die Pandemie an sich als die Einschränkungen. Eigentlich finde ich es tatsächlich ganz angenehm, dass die ganzen spannenden Veranstaltungen gerade nicht mehr oder eben online stattfinden. So kann ich schön konzentriert im Atelier sein – ohne das Gefühl zu haben, alles zu verpassen.

Johannes Mundinger. Ausstellungsansicht “Symbols and Signatures”, Yeoju Museum, Korea 2020.

Während des ersten “Lockdowns” tauchten plötzlich Unmengen an Online-Formaten ganz unterschiedlicher Art auf. Wie viel von der anfänglichen Begeisterung für diese neuen Zugänge zur Kunst ist noch geblieben?
DH: Viel. Und ich finde diese Entwicklung super. Sie gefährdet auch nicht das Analoge. Oft wird ja in der Richtung gezweifelt, dass es “nicht dasselbe” ist, dass online da nichts ersetzen kann. Aber das soll es ja auch gar nicht. Es kann sich doch wunderbar ergänzen. Wir merken das auch mit Raum www. Als wir das Archiv gestartet haben, wollten wir einfach nur, dass nichts verloren geht. Wir haben online betroffene „reale“ Ausstellungen gesammelt und ein halbes Jahr später ergeben sich daraus wieder neue analoge Ausstellungsideen und -angebote.

Zum Beispiel?
DH: Herr Mundinger und ich haben im letzten Monat Auszüge aus unserem Archiv in der Neurotitan Galerie in Berlin zeigen dürfen und ab Anfang Dezember wird es wieder etwas zu sehen geben, diesmal Tag und Nacht im HilbertRaum in Neukölln. Online und offline profitieren also voneinander.
JM: Das Digitale ist im Alltag noch viel präsenter geworden. So wie es zum Beispiel für die Schulen plötzlich einen Anstoß beziehungsweiße fast einen Zwang gab, sich mit der Digitalisierung auf einem anderen Level auseinanderzusetzen, haben auch viele Akteur*innen der Kunstwelt hier ihre Skills auf- oder ausgebaut. Was bleibt? Mal sehen. Ich höre mir immer wieder Talks an oder klicke oft auch eher zufällig bei Ausstellungsführungen vorbei. Ersteres kann ganz spannend sein, bei Zweiterem ist es mir meist zu sehr gefiltert. Für wirklich webbassierte Projekte ist es natürlich ein großer Zugewinn, dass nun viel mehr Aufmerksamkeit da ist.

Daniel Hahn: “flowers are ok”, 2020, in Soft Walls, Dry Fruits (Gruppenausstellung), nslasha Gallery, Seoul 2020. Foto: nslasha Gallery.

Habt ihr eine Prognose, welche aus der Not geborenen Denkansätze und Maßnahmen vielleicht auch nach der Pandemie für den Kunstbetrieb relevant bleiben werden?
DH: Es passt nicht ganz zur Frage, aber ein wichtiger, positiver Effekt für mich ist, dass sich Anonymität verringert. Weil Ausstellungsbesuche in Galerien zum Beispiel nur noch sehr geordnet und in Absprache geschehen dürfen, macht man da vieles bewusster. Man verabredet sich und tauscht sich währenddessen mehr aus. Es gibt trotz allem gefühlt mehr Miteinander durch dieses einende Problem.
JM: Ich könnte mir vorstellen, dass Gespräche, die zuvor in kleinen Sälen für wenige Ohren stattgefunden haben, nun häufiger gestreamt werden. Und relevant ist bestimmt auch die Erkenntnis, dass es eben doch etwas ganz anderes ist, eine physische Arbeit ganz in echt und persönlich zu erleben, als sie nur über ein kleines Display zu betrachten.

Daniel Hahn und Johannes Mundinger betreiben das Online-Archiv Raum www. Am Freitag, den 4. Dezember, eröffnet offline die Raum www Ausstellung “play” im Berliner HilbertRaum.

Arbeiten von Johannes Mundinger sind ab Mittwoch, den 25. November, im Rahmen der Ausstellung “Group Chat” in der Prager SPZ Galerie zu sehen.

Weitere Artikel aus Berlin